Initiationsreisen durch die Krankheit und Ästhetik der Grenzerfahrung
Aus Anlass von Thomas Bernhards 15. Todestag
Von Thomas Anz
"Der Kranke, der monatelang von zuhause weg ist, kommt zurück als einer, dem alles fremd geworden ist". Dieser Satz aus Thomas Bernhards Erzählung "Wittgensteins Neffe" steht dem ganz nahe, was der Ethnologe Hans Peter Duerr als "Grenzerfahrung" des Reisenden verstanden wissen will. Duerr verbildlicht die Position des grenzerfahrenen Rückkehrers von einer Reise in ein fremdes Land, dem sich die Heimat zur Kenntlichkeit verfremdet, auch als eine zwischen zwei Welten. Er gehört von nun an beiden Welten an und doch keiner ganz. Das mache die Einsamkeit des Grenzgängers aus, "und diese Einsamkeit ist der Preis, den er für seine Erkenntnis zahlt". So ließe sich treffend auch die Befindlichkeit der im Grenzbereich zwischen Vernunft und Wahnsinn angesiedelten Helden Thomas Bernhards charakterisieren.
Ein Beitrag zur mittlerweile umfangreichen Bernhard-Forschung hat in den seit 1975 in fünf Bänden erschienenen Jugenderinnerungen die Muster von Initiationsgeschichten herauszuarbeiten versucht. Der Titel der Arbeit, "Hölle und zurück" (von Reinhard Tschapke), bringt das Ergebnis auf eine knappe Formel. Erzählt werden von Bernhard in verschiedenen Varianten wahrhaft schauerliche und zugleich irrwitzige 'Fahrten' durch die "Höllen" vor allem von Krankenhäusern und Sanatorien, die knapp am Tod vorbei wieder ins Leben zurückführen - wobei der 'Wiedergeborene' eine höhere Stufe seiner Entwicklung erreicht.
"Der Atem" und der Wille zum Leben
Als Musterbeispiel dafür kann die alptraumartige Episode in dem Band "Der Atem" gelten, in der der Achtzehnjährige mit einer (selbst verschuldeten) Rippenfellentzündung in das schäbige Salzburger Krankenhaus eingeliefert und dort schließlich nach scheußlichsten Torturen in jenes Badezimmer abgeschoben wird, das für die Sterbenden bestimmt ist. Vor ihm im Bett liegt ein Kranker, der erwartungsgemäß stirbt und in einem Zinkblechsarg hinausgetragen wird. "Plötzlich fällt die nasse und schwere Wäsche, die die ganze Zeit an einem quer durch das Badezimmer und gerade über mir gespannten Strick aufgehängt gewesen war, auf mich. Zehn Zentimeter, und die Wäsche wäre auf mein Gesicht gefallen, und ich wäre erstickt." Die Schwester "fängt an, das Bett abzuziehen, in welchem gerade ein Mensch gestorben ist. Dem Atem nach ein Mann. Sie wirft das Bettzeug auf den Boden und hebt, wie wenn sie jetzt auf meinen Tod wartete, meine Hand auf. Dann bückt sie sich, nimmt das Bettzeug und geht mit dem Bettzeug hinaus. Jetzt will ich leben." Die äußerste eigene Gefährdung und der Tod anderer stimulieren in dem Kranken einen Willen zum Leben, der ihn rettet. Doch geht es um mehr als das bloße Überleben. Der Überlebenswille verbindet sich mit einer rebellischen Energie sozialer Art. Das wird in einer rückschauenden Vergegenwärtigung der Szene zumindest angedeutet. "Plötzlich, denke ich, hat der Atem des Mannes vor mir aufgehört. Ich will nicht sterben, denke ich, jetzt nicht. Der Mann hat plötzlich zu atmen aufgehört. [...] Die Schwester hat es nicht mehr erwarten können, daß er zu atmen aufgehört hat, dachte ich. Auch ich hätte zu atmen aufhören können." Der Mann, der zu atmen aufhörte, so legt die Schilderung nahe, hat sich der Erwartung des Krankenhauspersonals gefügt, sein Tod war die Konsequenz eines rollenkonformen Verhaltens. Auch das erzählte Ich hätte sich gemäß der ihm zugewiesenen Rolle des Sterbenden verhalten können, es "hätte zu atmen aufhören können." Doch es entscheidet sich ("Eine Entscheidung" lautet der Untertitel) gegen die an ihn gerichteten Erwartungen. "Ich bestimmte, welchen der beiden möglichen Wege ich zu gehen hatte. Der Weg in den Tod wäre leicht gewesen." So ist sein angesichts des Todes forcierter Wille zum Leben ganz im existenzialistischen Sinn ein Wille zur 'eigentlichen', autonomen, von entfremdenden Rollenzwängen befreiten Existenz: "Ich wollte leben, alles andere bedeutete nichts. Leben, und zwar mein Leben leben, wie und solange ich es will." Die Initiationsreise "durch die Hölle des Salzburger Landeskrankenhauses" ist, zumindest vorläufig, geglückt. Der Zurückgekehrte hat den Willen zur eigentlichen Existenz gewonnen. Die Krankheit bekommt im Sinne Nietzsches als Stimulans des Lebens, die Nähe des Todes im Sinne Kierkegaards oder Heideggers als Stimulans zur Eigentlichkeit ihren Sinn.
Vom Gewinn fiktiver Krankheitsgeschichten
Der philosophierende Großvater des 'Helden', eine der positivsten Figuren in Bernhards gesamtem Werk, der seinen eigenen Aufenthalt im selben Krankenhaus als Herausforderung zu " lebenswichtigen und existenzentscheidenden Gedanken" bewertet, räsoniert dem ganz entsprechend über das produktive Potenzial pathologischer Erfahrungen: "Von Zeit zu Zeit seien solche Krankheiten, tatsächliche oder nicht, wie er sich ausdrückte, notwendig, um sich jene Gedanken machen zu können, zu welchen der Mensch ohne eine solche zeitweise Krankheit nicht komme." Teilhaben an dieser Art von 'Krankheitsgewinn' kann auch der, der nicht "tatsächlich" von ihr betroffen ist. Was Bernhard den Großvater dazu ausführen lässt, ist eine programmatische Rechtfertigung fiktiver Krankheitsgeschichten und legitimiert ästhetisch einen Großteil von Bernhards eigenen Werken. Denn für den phantasierenden Autor wie für den Leser können literarische Krankheitsgeschichten auch ohne das Risiko realer Gefahren die gewünschte Wirkung haben: "Wenn wir nicht auf die natürliche Weise und also von Natur aus ganz einfach dazu gezwungen sind, in solche Denkbezirke, wie sie zweifellos solche Krankenhäuser und überhaupt Spitäler im allgemeinen sind, zu gehen, müssen wir auf die künstliche Weise solche Krankenhäuser und Spitäler aufsuchen, auch wenn wir solche uns in Krankenhäuser und überhaupt Spitäler hineinzwingende Krankheit in uns erst erfinden oder gar künstlich erzeugen müssen, so er, weil wir sonst nicht in der Lage sind, auf das lebenswichtige und existenzentscheidende Denken zu kommen." Die klassizistische Ästhetik mit ihrer strikten Disqualifizierung pathologischer Sujets ist für Bernhard kein Thema mehr. Doch erst die Erinnerung an sie vermag den literarhistorischen Ort von Bernhards 'Lazarettpoesie' angemessen zu kennzeichnen. Die Differenzen sind kaum größer denkbar, wenn Bernhard (mit der Stimme des Großvaters) die Lazaretterfahrung gar zur notwendigen Bedingung künstlerischer Qualität erklärt. Das Pathologische in der Kunst wird nicht nur ästhetisch gerechtfertigt, sondern sogar gefordert: "Der Künstler, insbesondere der Schriftsteller, hatte ich von ihm gehört, sei geradezu verpflichtet, von Zeit zu Zeit ein Krankenhaus aufzusuchen [...]. Der Künstler, insbesondere der Schriftsteller, der nicht von Zeit zu Zeit ein Krankenhaus aufsuche, also einen solchen lebensentscheidenden existenznotwendigen Denkbezirk aufsuche, verliere sich mit der Zeit in die Wertlosigkeit, weil er sich in der Oberflächlichkeit verheddere. Dieses Krankenhaus, so mein Großvater, kann ein künstlich geschaffenes Krankenhaus sein, und die Krankheit oder die Krankheiten, die diesen Krankenhausaufenthalt ermöglichen, können durchaus künstliche Krankheiten sein, aber sie müssen da sein oder müssen erzeugt und müssen immer unter allen Umständen in gewissen Abständen erzeugt werden."
"Der Kranke ist der Hellsichtige, keinem anderen ist das Weltbild klarer", sagt der Großvater, doch auf eine globale Hochschätzung der Krankheit darf daraus nicht geschlossen werden. Bernhard, der in den sechziger Jahren seiner Erzählung "Amras" den Aphorismus von Novalis "Das Wesen der Krankheit ist so dunkel als das Wesen des Lebens" als Motto vorangestellt hatte, ist dem dialektischen Umgang mit den Begriffen "gesund" und "krank", wie ihn dieser Romantiker und seine Zeitgenossen bevorzugt pflegten, trotz einiger signifikanter Differenzen viel zu sehr verbunden, als dass er dichotomisch den Wert der Krankheit gegen den Unwert der Gesundheit auszuspielen bereit wäre. "Von Zeit zu Zeit", hatte denn auch der Großvater erklärt, seien solche Krankheiten notwendig, und ausdrücklich von einer "zeitweisen Krankheit" gesprochen. Auch für das Werk von Bernhard gilt: Nur als krisenhaftes Durchgangsstadium zu einer qualitativ höher stehenden Form von Existenz, zu einer 'eigentlichen Gesundheit', in der das produktive Potenzial der Krise aufgehoben bleibt, ist die Krankheit hoch bewertet. Ihre destruktiven Kräfte werden keineswegs beschönigt.
Die Geisteskrankheiten und der Körper: "Die Billigesser"
Etwas anders scheint es mit der Bewertung der in seinem Werk so überaus häufig erzählten und thematisierten "Geisteskrankheiten" zu stehen. Sie sind stets mit höchster geistiger Potenz assoziiert, die vielen "geisteskranken" Genies in Bernhards literarischer Welt scheinen ein Maximum an Abgehobenheit von dem 'uneigentlichen' Dasein der "Masse" und des "Durchschnittsmenschen" erreicht zu haben, wobei sich diese krankhafte Stärke des Geistes häufig den Beschädigungen des Körpers verdankt. So jedenfalls sieht es zum Beispiel die Hauptfigur mit dem sprechenden Namen Koller in der Erzählung "Die Billigesser"(1980), die zwei Jahre nach "Der Atem" erschienen ist. Koller, der auf den Erzähler der Geschichte, einen ehemaligen Schulkameraden (er erinnert an Thomas Manns Zeitblom, der über Leverkühn erzählt), den Eindruck eines "hochgradig Verrückten" macht, ist ein Krüppel. Nachdem ihn ein Hund gebissen hatte, musste sein Bein amputiert werden. Doch das Unglück bekommt, wie die Krankheit in "Der Atem", einen positiven, "lebens- und existenzentscheidenden" Sinn.
Wie die Krankheit in "Der Atem" dem jugendlichen Bernhard, so forderte die Amputation Koller die "Entscheidung" ab: "aufzugeben" oder "das größtmögliche Geisteskapital aus seinem Unglück herauszuschlagen". Er wählt die zweite Möglichkeit, und so wendet sich sein Unglück zum Glück, "zum Geistestriumph". Von nun an widmet sich Koller ausschließlich seinen physiognomischen Studien und gehört zu den "nur mit ihrem Denken beschäftigten und tatsächlich nur aus ihrem Denken heraus existierenden Menschen", zu den Bernhard'schen "Geistesmenschen", die der Grenze zur Verrücktheit nahe sind oder diese sogar überschreiten.
Hierin unterscheidet sich Koller von der Person des Erzählers, der von sich und ihm sagt: "mir waren die Anstrengungen in Richtung auf diese Geisteswelt immer zu krankhaft gewesen und meiner Natur zuwiderlaufend, während sie ihm, Koller, nicht nur gerade recht, sondern ein Existenzbedürfnis gewesen waren." Koller ist der "Geistesmensch", der Erzähler der "Gefühls- und Tatmensch". Für Koller entspricht dieser Gegensatz dem von Krankheit und Gesundheit - wie auch für den Erzähler, nur mit umgekehrten Wertvorzeichen. Der ehemalige Mitschüler und jetzige Bankangestellte gilt ihm, Koller, "als Der Gesunde, während er selbst sich meistens als Der Kranke bezeichnete, sehr oft auch als Der Geisteskranke, was er aber immer nur als Auszeichnung gegenüber Menschen wie ich, die ihm immer gewöhnlich vorgekommen waren und letztendlich unverständlich geblieben sind, verstanden hatte". Die Krankheit, die körperliche und erst recht die geistige, erscheint aus der Perspektive Kollers, der die schon zum intellektuellen Klischee gewordenen Umkehrungen gängiger Wertmaßstäbe auf die Spitze treibt, zur Auszeichnung, zum Stigma der Außerordentlichkeit. "Die Tatsache, daß er von frühester Kindheit an augenleidend und dann, in der Reife, plötzlich auch noch ein Krüppel gewesen war, hatte ihm tatsächlich eine von ihm so bezeichnete höhere Geistesweihe und Geisteswürde verliehen [...]. Er hatte Menschen, die keine von ihm sogenannten lebenslänglichen heiligen Krankheiten hatten, immer verachtet und sie immer einer sehr niedrigen Kategorie zugerechnet gehabt, mit welcher der Umgang, insbesondere aber der Geistesumgang eine für ihn erniedrigende, wenn nicht schmutzige, aber wenigstens immer charakterschwächende Angelegenheit gewesen war. Er bedauerte die sogenannten Gesunden, weil sie nach seinen Vorstellungen niemals aus den Niederungen der absoluten Geistesdumpfheit herauskommen".
Von Ambivalenz oder Dialektik im normativen Umgang mit den Begriffen "Gesundheit" und "Krankheit" kann im Hinblick auf solche Passagen keine Rede mehr sein. Die Sakralisierung ("heilige Krankheiten") und Nobilitierung (Koller spricht später von der "Krone auf seinem Haupt") des Pathologischen, dem die profane und plebejische Gesundheit gegenübergestellt wird, erfolgt von einem erhabenen, sicheren und eindeutigen Standort aus. Doch dieser ist nicht identisch mit dem Standort des erzählenden Autors. Dass dieser kaum noch auszumachen ist, weil er sich der Identifizierbarkeit gezielt entzieht, macht die irritierende Schwierigkeit der Bernhard-Lektüre aus. Der Standort des erzählenden Autors vermittelt sich, wenn überhaupt, nur über vielfache perspektivische Brechungen und (selbst)ironische Relativierungen. Die Ansichten Kollers erfahren wir nicht direkt von ihm, sondern über den Bericht einer fiktiven Erzählerfigur im Text, die ihre persönliche Sichtweise mehr oder weniger zur Geltung bringt. Zwar ließen sich plausible Gründe dafür anführen, dass die Figur Koller dem Autor näher steht als die des Berichterstatters, doch sind dessen Ansichten durchaus dazu geeignet, die Kollers in ein fragwürdiges Licht zu rücken.
Koller "verachtete" die Gesunden, so heißt es, "ganz offen und schien immer wieder ein Vergnügen an dieser seiner Verachtung gegenüber diesen armseligen, nichtswürdigen, geistschädlichen Kreaturen zu haben, wie er sich tatsächlich einmal mir gegenüber geäußert hatte." Dass Koller ein Vergnügen an seiner Verachtung zu haben "schien", ist eine Vermutung der erzählenden Figur, die über die neutrale Wiedergabe der Ansichten Kollers hinausgeht und in ihrem entlarvenden Charakter durchaus dazu beitragen kann, deren Rang auch für den Leser deutlich abzuqualifizieren. Und auch wenn der Erzähler in einer späteren Szene einmal von dem "erbarmungswürdigen Zustand" Kollers spricht oder von seiner "Geistesüberheblichkeit und Körperarmseligkeit", und wenn er zu erkennen glaubt, "daß sein [Kollers] Denken einen hohen Preis hat, den Höchstpreis", dann sieht er offensichtlich, gemessen an der Optik des ganzen Textes, schärfer als der von ihm beobachtete Physiognomiker. Wenn der Erzähler andererseits vom Standpunkt seiner Gesundheit aus Sätze formuliert wie: "Wir dürfen uns dem Krüppel nicht vollkommen ausliefern, nicht vor dem Krüppel kapitulieren", dann steht er ebenfalls dem Standort des erzählenden Autors denkbar fern.
Die verächtliche Rede vom "Krüppel" ist nur das Pendant zu dem Diskurs, in dem sich die Verachtung gegenüber der Minderwertigkeit des Gesunden artikuliert. Auch wenn dieser Text keine kommentierende und erklärende Erzählinstanz einsetzt, die ausdrücklich darauf hinweist, führt er doch unübersehbar einen psychologischen Mechanismus simpler Art vor: Die Kränkungen, die jemand den anderen zufügt, sind Reflexe der Kränkungen, die ihm von anderen zugefügt wurden. Kollers "Umgebung war, von dem Zeitpunkt seiner Verkrüppelung an, von seiner Geringschätzung niedergehalten und tatsächlich niedergedrückt gewesen und hatte sich dieser seiner Geringschätzung unter keinen Umständen mehr entziehen können." Vom Zeitpunkt seiner Verkrüppelung an, so weiß der Leser dieser Stelle jedoch aus vorangehenden Passagen, sieht sich Koller seinerseits der öffentlichen Missachtung ausgesetzt. Ihm sei bewusst geworden, "was es tatsächlich heißt, ein Krüppel zu sein. Die Öffentlichkeit hatte auf diese Tatsache und also auf sein Kunstbein auf die niederträchtigste Weise reagiert, indem sie so reagiert hatte, wie sie zu allen Zeiten den Krüppeln gegenüber reagiert hat".
Die Diskurse über Gesundheit und Krankheit, derer sich die Figuren des Textes bedienen, sind Bestandteil eines Systems wechselseitiger Kränkungen. Dass der Text dabei gerade auch gegenüber jener im Traditionsraum der literarischen Moderne so ungemein beliebten Strategie, die mit der Umpolung gängiger Wertigkeiten des binären Begriffspaars "gesund" und "krank" operiert, eine so deutliche Distanz vermittelt, ist in der Literatur der Gegenwart, soweit ich sehe, einmalig. Als Leser der Schriften Foucaults hat man den pathologisierenden Diskurs als eine Machttechnik zu durchschauen und kritisieren gelernt, die die Sprache des Wahnsinns als ein unverständliches Geräusch aus dem Territorium gesunder Normalität ausgrenzt, und bekommt in diesem Text nun ein Beispiel vorgeführt, wie der aus der Opposition dazu entwickelte Gegendiskurs analoge Formen der Ausgrenzung und Machtausübung entwickelt: Gesunde Menschen wie der Erzähler seien ihm, Koller, "letztendes unverständlich geblieben" und "mit dem für sich verwendeten Ausdruck Der Geisteskranke hatte er tatsächlich immer mir gegenüber ein Machtmittel in der Hand (und in seinem Kopf) gehabt, mit welchem er von Zeit zu Zeit rücksichtslos hatte gegen mich vorgehen können." Hier ist nun der Gesunde dem Kranken "unverständlich", und das Etikett der "Geisteskrankheit" fungiert auch noch nach seiner Umwertung als diskursives "Machtmittel".
Distanz zu der Art von Diskurs, wie ihn Koller führt, vermittelt der Autor auch noch auf andere Weise: mit den literarischen Techniken der Parodie. Koller desavouiert sich nämlich mit seiner hybriden Nobilitierung des Kranken selbst. Die dichotomischen Gegenüberstellungen von geistloser Gesundheit und genialisierender Krankheit, die der Autor ihm in den Mund legt, sind so beschaffen, dass sie immer wieder in eine groteske Karikatur ihrer selbst umschlagen. Die mit den parodistischen Mitteln der Übertreibung und der Konfrontation diskrepanter Wertsphären erzeugte Komik gibt dabei auch noch die dem Initiationsritual analoge Sinngebung des Übels der Lächerlichkeit preis: Ausgerechnet einem Hund, der in den Werthierarchien von Bernhards Werken den niedrigsten Stand einer 'ungeistigen' Natur repräsentiert, soll Koller seinen "Geistestriumph" verdanken, und ausgerechnet auch noch dem Hund eines 'geistfernen' Industriellen (namens Weller): "die Natur in der Gestalt des wellerschen Hundes hatte ihn in die Lage versetzt, das Unglück des Hundebisses zu seinem Glück und zu seinem alleinigen Geistesgegenstand und gleichzeitigen Geisteskosmos und also Geistestriumph zu machen, so er." Den parodistischen Effekt dieser paradoxen Verschränkung von niedrigster Kreatürlichkeit und höchster Geistigkeit steigert der Text noch durch ihre mehrfache Wiederholung und groteske Überbietung: "Wahrscheinlich, so hatte er einmal zu mir gesagt, habe ich durch den wellerschen Hund die Krone meiner Existenz aufgesetzt bekommen". Dem wellerschen Hund verdankt Koller, so seine Rede, den Triumph "über die Anderen, die die Krone auf seinem Haupt nicht sehen, weil sie dazu zu dumm und ganz einfach zu gewöhnlich und dazu auch noch gemein seien, eben alles andere als Geistesmenschen."
Dass Bernhard seinem Heroen des Geistes das Projekt einer vierbändigen "Physiognomik" zuschreibt, schafft weitere Effekte entlarvender Komik. Komisch allein ist schon das Missverhältnis zwischen dem erhabenen Anspruch dieses Lebenswerkes und der Banalität seines Titels wie Gegenstandes. "Die Billigesser" soll der vierte Band heißen und vier Männer ins Zentrum der Untersuchung rücken, die regelmäßig in der "Wiener öffentlichen Küche" billig zu Mittag essen. Doch komisch wirken vor allem auch Diskrepanzen anderer Art: Der an einer chronischen Augenentzündung Leidende betreibt Studien, die den scharfen Blick des Beobachters voraussetzen. Und der einer Wissenschaft Zugewandte, die aus den Zeichen des Körpers die innere Befindlichkeit eines Menschen zu entziffern sucht, sieht über die Realität seiner körperlichen "Erbärmlichkeit" verblendet hinweg. Als eine tragikomische Figur scheitert Koller denn auch an seinem Körper. Kurz bevor er das im Kopf (angeblich) fast vollendete Werk zu formulieren beabsichtigt, zieht er sich "bei dem Sturz über sein Kunstbein" eine schwere Kopfverletzung zu und kann aus der totalen Bewusstlosigkeit nicht mehr gerettet werden.
Und noch einen anderen Sinn gibt der Text der "Physiognomik". Wohl kaum zufällig soll sie ebenso viele Bände umfassen wie Lavaters "Physiognomische Fragmente" aus einer Zeit, in der die Physiognomik als "Kunst des Genies" galt. Damit ist Koller in die Tradition eines Geniekultes gerückt, der, vermittelt über empfindsam-romantische Sakralisierungen des Dichterberufs, den Geistesaristokratismus aus dem Umkreis Georges und Heideggers Eigentlichkeitsphilosophie, in Thomas Bernhards gesamtem Werk eine zentrale Bedeutung hat. Und zwar keineswegs eine primär negative. Dem Typus des kranken und zugleich genialen "Geistesmenschen", des egozentrischen, misanthropischen und kuriosen Sonderlings, der sich in den rücksichtslosen Tiraden der Verachtung und Wut gegenüber der Geistfeindlichkeit der "Masse" seiner eigenen Außerordentlichkeit versichert, der die soziale Isolation als Bedingung eigentlicher Existenz sucht und zugleich unter ihr leidet, der sich mit obsessiver Ausschließlichkeit seinen eigensinnigen Zielen verschreibt und damit meist kläglich scheitert, diesem Typus gehört zweifellos die Sympathie des Autors Bernhard in einem erheblichen Ausmaß - zeigt sich doch allein schon seine monomanische Sprach- und Erzählkunst affiziert von der Besessenheit seiner Figuren und entspricht dieser Typus doch auch ganz der theatralischen Rolle, die Bernhard selbst mit und neben seinem Werk der Öffentlichkeit vorspielte.
Selbstparodie
Aber schon dadurch, dass Bernhards eigene literarische Produktivität sich von der Unproduktivität und dem Scheitern seiner Figuren demonstrativ abhebt, sind deutliche Unterschiede zwischen dem Autor und seinen Figuren angezeigt. Koller bringt seine physiognomische Schrift "Die Billigesser" nie zustande, Bernhard seine Erzählung "Die Billigesser" sehr wohl. Abgesehen von dieser Differenz ist in der Erzählung die parodistische Distanz des Autors zu dem elitären Diskurs seines geisteskranken Genies als eine Form der Selbstironie unverkennbar. Diese Selbstironie ist dem literarischen Schreiben Bernhards, keineswegs unfreiwillig, schon lange inhärent. Ein Rezensent, der im "Spiegel" seine Kritik des Romans "Auslöschung" zu einer (durchaus gelungenen) Bernhard-Parodie machte, verkannte, dass Bernhard selbst seine Diskurse ständig parodistisch ironisiert - freilich selten so deutlich wie in "Die Billigesser". Mit dieser Erzählung hat er auf die Spitze getrieben, was andere Werke meist versteckter an Selbstironie enthalten.
Auch Bernhard entspricht also noch der in der Literatur seiner Zeit geltenden Regel, derzufolge dem Kranken in polemischer Umkehrung kulturell dominanter Diskurskonventionen hoch bewertete und dem Gesunden niedrig bewertete Merkmale zugeschrieben werden, doch folgt er ihr entweder mit dialektisch differenzierten Relativierungen, die den Mustern von Initiationsszenarien nahe stehen, oder mit ironischer Distanz. Seine Aufwertungen des "Geisteskranken" werden von ihm darüber hinaus auch noch in anderer Weise partiell zurückgenommen. An der auch von ihm gerne verwendeten Grenzmetaphorik lässt sich das besonders gut ablesen. "Ich habe sehr oft in meinem Leben die Grenze der Verrücktheit und auch des Wahnsinns überschritten, aber an diesem Nachmittag glaubte ich, nicht mehr zurückzukönnen." So berichtet in Bernhards Erzählung "Ja" (1978) der an der "Krankheit der Kontaktlosigkeit" leidende Ich-Erzähler, nachdem er durch unvorhergesehene Besucher vor dem Eintritt in "die vollkommene Verrücktheit" gerade noch gerettet wurde. Eine Figur, die im Gegensatz zu ihren ebenfalls dem Wahnsinn nahen Freunden die "Grenzüberschreitung in endgültiges Verrücktsein" vollzogen hat, ist der Mann namens Karrer in der Erzählung "Gehen" oder auch die Titelfigur in "Wittgensteins Neffe". Bernhards Werk führt immer wieder Paare von geistesverwandten Figuren vor, die bei aller doppelgängerartigen Ähnlichkeit vor allem durch ein distinktives Merkmal voneinander abgehoben sind. Die eine überschreitet die "Grenze", was gleichbedeutend mit vollkommenem Wahnsinn, dem völligen Verstummen oder dem Tod beziehungsweise Selbstmord ist, die andere macht vor oder auf dieser Grenze halt.
An der Grenze der Verrücktheit: "Wittgensteins Neffe"
Paul Wittgenstein zum Beispiel, der Neffe des berühmten Philosophen und Freund Thomas Bernhards, gehört in der (angeblich) autobiographischen Erzählung zu dem einen Typus, Bernhard selbst (bzw. der Ich-Erzähler) beschreibt sich als dem anderen Typus zugehörig. "Wir waren gleich und doch völlig anders." Beide profitieren von ihren Krankheiten, aus ihnen beziehen sie ihr "Genie": Paul Wittgenstein hat "seine Verrücktheit lebenslänglich abgesichert und sich erhalten und ausgenützt und unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu seinem Lebensinhalt gemacht, wie ich meine Lungenkrankheit, wie ich meine Verrücktheit, wie ich schließlich aus dieser Lungenkrankheit und aus dieser Verrücktheit sozusagen meine Kunst." Gemeinsam sind den beiden Freunden auch bestimmte Arten der Verrücktheit: "die sogenannte Zählkrankheit" zum Beispiel oder die ebenso krankhafte Unstetigkeit. Beide gehören "zu den Menschen, die im Grunde keinen Ort auf der Welt aushalten und nur glücklich sind zwischen den Orten, von denen sie weg und auf die sie zu fahren." Der Freund hat die "Zählkrankheit" jedoch "in einem noch viel stärkeren Maße", während der Ich-Erzähler wiederholt von sich sagt, dass seine Krankheit nur "bis an die Grenze der Verrücktheit" ging. Ähnlich betont er, dass ihn die pathologische Zwanghaftigkeit seines Bedürfnisses nach Ortswechseln "nicht in die totale Verrücktheit" führte, "sie bewahrte mich tatsächlich vor einer solchen, vor welcher ich mein ganzes Leben lang die größte Angst gehabt habe."
Dieser Angst vor der totalen Verrücktheit entspricht die panische "Angst, mit dem Tod unmittelbar konfrontiert zu sein". Auch im Falle Bernhard bestätigt sich die These, dass in solchen Texten, die dem Wahnsinn positive Werte zuschreiben, die vom Autor nicht abgewertete Angst vor dem Wahnsinn (wie auch vor dem Tod) als Indikator für differenziertere Positionen gelten kann, als sie einer dichotomischen Denkformen folgenden 'Romantisierung' des Wahnsinns (oder auch des Todes) zugrunde liegen. Bei aller Sympathie und freundschaftlichen Bewunderung, die der Autor (und Ich-Erzähler) in "Wittgensteins Neffe" gegenüber der genialen Titelfigur bezeugt, dient diese doch auch dazu, die eigene Person von ihr abzuheben, die eigene Identität ihr gegenüber zu profilieren und als die produktivere zu qualifizieren. Ein wichtiger, auch für Bernhards Ästhetik aufschlussreicher Passus in der Erzählung lautet: "Der Unterschied zwischen dem Paul und mir ist ja nur der, daß der Paul sich von seiner Verrücktheit hat vollkommen beherrschen lassen, er ist sozusagen in seiner Verrücktheit aufgegangen; während ich meine Verrücktheit zeitlebens ausgenützt habe, beherrscht habe, während der Paul seine Verrücktheit niemals beherrscht hat, habe ich die meinige immer beherrscht".
Diese Differenz geht mit einer anderen einher: Paul Wittgenstein ist als philosophischer und literarischer Schriftsteller vollkommen gescheitert. Seine unkontrollierte Verrücktheit bleibt unproduktiv. Bernhards kontrollierte Verrücktheit hingegen ist ungemein produktiv - ähnlich wie die "Verrücktheit" des Ludwig Wittgenstein, dem der Text in dieser Hinsicht eine dem Ich-Erzähler analoge Position zuweist. Die immer wieder angestellten Vergleiche zwischen den beiden Freunden verschiebt der Text an einigen Stellen zu Vergleichen zwischen dem Onkel und dem Neffen. Verrückt waren sie beide. Ludwig ist sogar, behauptet Paul, "der Verrückteste der Familie gewesen". (im Text zum Teil hervorgehoben) Doch: "Ludwig war der Veröffentlicher (seiner Philosophie), Paul war der Nichtveröffentlicher (seiner Philosophie)".
Betrachtet man die Personen dieser literarisch vollkommen durchstilisierten Autobiographik als Kunstfiguren in einer semantischen Struktur, dann sind der Ich-Erzähler (Bernhard) und der berühmte Philosoph durch die Merkmalskombination "verrückt" und "produktiv" gleichgesetzt; sie nehmen in der Relation zu Paul ("verrückt" und "unproduktiv") dieselbe Position ein. Will man die semantische Gleichsetzung psychologisch interpretieren, könnte man auch sagen: Der Text lässt, ohne es explizit auszusprechen, deutlich erkennen, dass sich Thomas Bernhard hier mit Ludwig Wittgenstein identifiziert. So überrascht es auch kaum, dass der Autor in seinem zwei Jahre nach "Wittgensteins Neffe" erschienenen Stück "Ritter, Dene, Voss" Ludwig Wittgenstein Worte zuschreibt, die die zitierte Selbstdarstellung des seine Verrücktheit beherrschenden Schriftstellers in die einschlägige Grenzmetaphorik übertragen und dabei offenkundig programmatischen Charakter haben: "immer an der Grenze der Verrücktheit/ niemals diese Grenze überschreiten/ aber immer an der Grenze der Verrücktheit/ verlassen wir diesen Grenzbereich/ sind wir tot".
Ästhetik der Verrücktheit
Aus solchen Sätzen lässt sich ein ästhetisches Programm ablesen. Ihnen entspricht jedenfalls Bernhards literarische Praxis einer kunstvoll kalkulierten, beherrschten und mit (selbst)ironischer Distanz gespielten Verrücktheit, deren Sprache in all ihren monomanischen und manirierten Eigenheiten, den Paradoxien und Absurditäten den Grenzbereich 'vernünftiger Rede' nicht verlässt. In der partiellen Aufwertung des Wahnsinns und den damit einhergehenden Strategien der Normvermittlung entspricht Bernhards Werk den vor allem von seinen jüngeren Zeitgenossen befolgten Regeln durchaus, doch die vermittelten Norminhalte und Werte weichen von denen, die in den siebziger und achtziger Jahren von der literarischen Intelligenz favorisiert wurden, zum Teil erheblich ab. Schon ein Blick auf das von Bernhard bevorzugte Vokabular kann darauf aufmerksam machen. Während die emphatisch gebrauchten Begriffe des "Lebens" und der "Existenz" sich in die neovitalistischen und -existenzialistischen Tendenzen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gut einfügen, nimmt sich der Begriff des "Geistes" in ihrer Umgebung eher anachronistisch aus. Zwar ist auch der "Geist"-Begriff aus den Traditionen der literarischen Moderne, denen die Gegenwartsliteratur allem Reden über die "Postmoderne" zum Trotz noch weitgehend verpflichtet bleibt, nicht wegzudenken. Allein schon Titel wie "Über das Geistige in der Kunst" (Kandinsky), "Geist und Tat" (H. Mann), "Geist werde Herr" (K. Hiller) oder vor allem auch das emphatische Sprechen von der "geistigen Bewegung" im George-Kreis können davon zeugen. Aber dieser Begriff ist zum Teil schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts und erst recht in Bernhards Werk mit Positionen verknüpft, die auf erhebliche Vorbehalte stoßen.
Der emphatische Gebrauch des "Geist"-Begriffs postuliert nämlich eben jene Souveränität des modernen Subjekts und Bewusstseins, deren Umschlag in neue Formen (un)menschlicher Herrschaft über die innere und äußere Natur gerne als "Dialektik der Aufklärung" beschrieben, kritisiert und pathologisiert wird. Der "Geisteskranke" im aufgewerteten Sinn, der bei Bernhard, zumindest solange er seine Verrücktheit noch zu beherrschen versteht, als Wunschfigur höchster Geistespotenz fungiert, repräsentiert Werte, die in ihrer Natur- und Körperfeindlichkeit denen diametral entgegengesetzt sind, die seit den siebziger Jahren von den meisten Autoren in den Wahnsinn projiziert und mit seiner Darstellung vermittelt werden. Die kranken und genialen "Geistesmenschen" Bernhards stehen der naturwüchsigen "Wildnis" im eigenen Inneren denkbar fern, sie gewinnen vielmehr ihre Größe in einem souveränen Akt der heroischen Entscheidung gegen die Abhängigkeiten von der geistfeindlichen Natur. Höher als alle Natur stehen für sie der Geist und die Kunst. Sie zeichnen sich nicht durch Qualitäten eines entfesselten Unbewussten, sondern durch die des disziplinierten Intellekts aus. Die "Leidenschaften", denen diese verrückten Geistesmenschen frönen, sind die des Kopfes, nicht des Körpers. Die Bernhard'schen Geisteskranken sind keine schizoiden "Wunschmaschinen", sondern 'Denkmaschinen'; sie tauchen nicht hinab in das "tiefe Wahnsinnsmeer", sondern steigen hinauf in die Höhen logischer Abstraktion; sie durchbrechen nicht die isolierende Panzerung des zivilisierten, selbstbeherrschten Subjekts, sondern verstärken sie. Sie suchen nicht das unstrukturierte Chaos, sondern die Ordnung der Symmetrie und des Systems. "Nichts durfte solchen Menschen wie uns beiden", so heißt es in "Wittgensteins Neffe" über die dafür symptomatische "Zählkrankheit", "sozusagen dem Zufall oder der Nachlässigkeit überlassen sein, alles mußte sein ganz und gar ausgeklügeltes Geometrisches, Symmetrisches, Mathematisches haben."
Biographische Gründe für diese 'unzeitgemäße' Hochschätzung des "Geistes" und die damit einhergehende Abwertung der Natur ließen sich leicht anführen. Bernhard hat dafür selbst, auch außerhalb seiner literarisierten Autobiographik, deren dokumentarische Authentizität zweifelhaft ist, deutliche Hinweise gegeben. "Nachdem der Körper kaputt ist, entwickelt sich das Gehirn erstaunlich gut." Und: "Ich war nicht gesund. [...] Es ist mir nichts anderes übriggeblieben, als mich in meinen Verstand zu flüchten und mit dem irgendetwas anzufangen, weil das Körperliche nichts hergegeben hat." (nach Notizen von Asta Scheib in Süddeutsche Zeitung, 17./18. Januar 1987) Eine biographische Interpretation könnte indes übersehen, dass auch noch Konfessionen dieser Art von einer Diskursordnung präformiert sind, deren Bedeutung über eine individuelle Lebens- und Krankengeschichte hinausweist.
Der Beitrag übernimmt leicht modifiziert ein Kapitel aus Thomas Anz: Gesund oder krank? Medizin, Moral und Ästhetik in der deutschen Gegenwartsliteratur. Stuttgart: Metzler 1989, S. 159-169.