Virtuelles Schatzkästlein
Leben und Werk von Johann Peter Hebel auf CD-Rom
Von Klaus-Peter Möller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLeben und Werk von Johann Peter Hebel auf CD-Rom
Mancher mag es ja edel und zum Anfassen, in einer Zedernholz-Schatulle, die wirklich wie ein Schatzkästlein aussieht, mit raschelndem Papier und lederduftendem Einband. Davon hat die CD gar nichts. Dafür kann sie aber mehr. Sie spricht, musiziert, liest vor, zeigt Bilder, vergleicht verschiedene Versionen. Wie andere Autoren, Thomas Mann etwa, kann man nun auch Johann Peter Hebel kennen lernen durch eine interaktive, reich mit Bilddokumenten, Werk-Auszügen und Rezeptionszeugnissen illustrierte Edition, vorgelegt auf CD-Rom. Es handelt sich nicht um eine vollständige Ausgabe der Schriften Hebels oder um eine differenzierte wissenschaftliche Biographie, sondern um eine Einführung in Leben und Werk, die als Informationsquelle für Schüler und Lehrer dienen kann, darüber hinaus für alle, die sich allgemein über Hebel informieren wollen.
Es ist eine Unsitte, dass stets erst einmal etwas auf dem Computer installiert werden muss, wenn man eine CD-Rom benutzen will. Das ist hier nicht nötig. Man klickt einfach das Symbol "Hebel" an, das sich leicht auf der CD finden lässt, und los geht's. Der Acrobat-Reader, der zur Benutzung der mitgelieferten pdf-Datei benötigt wird, ist ohnehin auf den meisten Computern bereits installiert, und wo das nicht der Fall sein sollte, enthält die CD die nötige Software. Die Navigation ist so einfach, dass man ohne weitere Erklärungen auskommt. Alles ist übersichtlich gestaltet und leicht zu bedienen. Die Zwölf Kapitel sind wie die Stunden um das Ziffernblatt einer Taschenuhr angeordnet, beginnend natürlich mit der Kindheit und den Schuljahren in Karlsruhe. Man kann sich das Material der CD vorführen lassen oder nach eigenem Plan ausschreiten, indem man einfach mit der Maus den Zeiger der Uhr auf das betreffende Kapitel stellt. Eine Grundkonstante der Präsentation ist die Zeitleiste, die stets auf etwa einem Viertel der Bildfläche am linken Rand mitläuft. Eine Leiste mit Symbolen am unteren Bildrand ermöglicht die Navigation. Die Uhr als Inhaltsverzeichnis und Navigationsinstrument, der Zeitstrahl als Leitidee, sogar noch das abschließende Impressum wird durch Chronos dominiert. Diese Seite gestattet einen Blick in das Uhrwerk, die Beteiligten, Autoren, Herausgeber, konzeptionelle und mediengestaltende Mitarbeiter werden rund herum mit ansprechenden Fotos vorgestellt. Medienoperator Rolf Reutter beherrscht offenbar sein Metier.
Die Beschäftigung mit dem auf der CD angeordneten Material ist mit einem virtuellen Museumsbesuch vergleichbar. Leider ist dieses Museum nach einem verstaubten inhaltlichen und pädagogischen Konzept gestaltet. Bildung wird hier als Wissensvermittlung betrieben, nicht als Anreiz und Provokation. Es dominieren Lesetexte, die solide gearbeitet sein mögen und eine vielseitige Sicht auf Hebel und sein Werk öffnen, aber genügt das, um den heutigen Leser zu interessieren, einen Schüler, der sich sonst ganz andere Dinge am PC reinzieht? Die Fragen und Probleme, die Hebel und seine Zeitgenossen bewegten, kommen hier gar nicht vor, nichts von alledem, was diese Generation zerriss, in den Wahnsinn trieb, zu begeisterten Ausbrüchen entfachte, nichts von den pantheistischen Abgründen und Zweifeln der Aufklärer, den Höhenflügen und Wirrsalen der Stürmer und Dränger, der radikalen Demokraten, der Himmelsstürmer der Geniezeit, den Träumen und der Schwärmerei der Romantiker, dem nationalen Pathos der Klassiker. Wie ist es möglich, ein Zeitalter zu beschreiben, in dem das Unterste nach oben gekehrt wurde, alles umstürzte, die Throne zitterten, ganz Europa unter den Geburtswehen der neuen Zeit erbebte, ohne das Wort Revolution ein einziges Mal zu benutzen? Das Wort würde völlig auf der CD fehlen, wenn es nicht in Texten und Rezeptionszeugnissen von Hebel enthalten wäre. Geradezu lächerlich ist in dieser Hinsicht das Kapitel "gesellschaftliches Umfeld".
Trotz dieser inhaltlichen Defizite muss man den Autoren der CD bescheinigen, dass die Präsentation der Text-, Bild- und Tondokumente abwechslungsreich und mit guten Ideen erfolgt. Im Kapitel über das Leben Hebels in Karlsruhe wird beispielsweise anhand einer schematischen Karte gezeigt, wo die verschiedenen Wohnungen des Dichters lagen, über Links kann man Seiten zu den einzelnen Wohnstätten aufrufen und historische und gegenwärtige Ansichten miteinander vergleichen. Auch das Gemälde der Lesung Goethes in Karlsruhe von August Pecht wird mit modernen technischen Mitteln erfahrbar gemacht, ohne dass die Verfasser der CD jedoch einen Nutzen für ihr inhaltliches Konzept daraus zu ziehen vermochten. Die Qualität der Dokumente ist recht unterschiedlich. Die Abbildungen der Handschriften sind mehrfach so klein, dass man sie nicht am Bildschirm lesen kann, eine Möglichkeit, sie zu vergrößern, ist nicht vorgesehen. Erik Rastetter liest den Predigttext vom sechsten Sonntag nach Trinitatis 1800 so eintönig, dass man ihm die knapp sieben Minuten lang einfach nicht zuhören kann, während der Vortrag der Alemannischen Gedichte durch Mundartsprecher Richard Gäng lebhaft und gekonnt ist. Für Ungeübte wird das Verständnis durch Text-Einblendungen erleichtert. Leider handelt es sich immer nur um Ausschnitte, keine ganzen Texte. Diese Aufnahmen wurden übrigens der Dia-Ton-Reihe "Johann Peter Hebel, aus Leben und Werk", die aus dem Jahr 1970 stammt, entnommen.
Als hätten die Autoren der CD der multimedialen Darbietung misstraut, haben sie das gesamte Material noch einmal auf die CD gebrannt, in Form eines herkömmlichen Buches (im pdf-Format), das mit seinen 475 Seiten auch noch auf der Silberscheibe Platz gefunden hat. Etwa die Hälfte dieses stattlichen Bandes nimmt eine Auswahl aus dem Werk Hebels ein, weitere 100 Seiten sind der Dokumentation gewidmet und enthalten ausgewählte Rezeptionszeugnisse sowie eine komplette Abschrift des Auktionskatalogs der Bibliothek Hebels (bei der gewählten Darbietungsform wäre es allerdings konsequent gewesen, die Verfasser der lateinischen Werke im Nominativ anzugeben, also Budaeus, Chrysostomus, Grotius, Heinsius usw.). Von jeder Stelle der multimedialen Dokumentation her kann man direkt in dieses Buch springen, um die hier enthaltenen ausführlicheren Informationen abzurufen.
Zunächst etwas in Verlegenheit, da die Autorschaft weder auf der CD noch dem Cover deutlich gemacht wurde, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass die CD-Rom noch ein verhältnismäßig neues Medium ist, noch nicht mal aus dem Inkunabel-Zeitalter heraus, den Windeln also, fand der Rezensent auf der Titelseite der pdf-Datei ganz klein am unteren Rand die Angabe: "Copyright Swantje Rehfeld M. A., 2000". Die auf der Schluss-Seite als Bearbeiterin Genannte ist also die Autorin, während Michael Schödel vom KulturBüro in Reutlingen für Konzeption und Gestaltung verantwortlich zeichnet (www.kulturbuero-schoedel.de).
Das letzte Kapitel des interaktiven Medienteils lädt zu einem virtuellen Rundgang durch die Hebel-Dokumentation im Museum für Literatur am Oberrhein in Karlsruhe ein, in dem die CD erarbeitet wurde und dessen Leiter Hansgeorg Schmidt-Bergmann sie herausgegeben hat (http://www.karlsruhe.de/Kultur/MLO/).
Über den Preis der CD-Rom war leider nichts zu erfahren. In keiner Suchmaschine für lieferbare Literatur inklusive antiquarischen Bücherverzeichnissen ließ sie sich nachweisen. Nicht einmal auf der Internet-Seite des Museums waren Informationen über diese Edition zu finden, die Liste der Veröffentlichungen der Literarischen Gesellschaft / Scheffelbund bot allerdings auch nur den Stand von August 1998. Lediglich in der Deutschen Bücherei fand sich ein Exemplar verzeichnet, natürlich ohne Angabe des Preises. Wer so wenig Werbung macht, braucht sich über mangelnden Absatz nicht zu wundern. Die CD-Rom wurde gefördert durch Mittel von der Arbeitsstelle für Literarische Museen und Gedenkstätten des Landes Baden-Württemberg. Wenigstens in den gängigsten Buchhandelsverzeichnissen sollte sie angezeigt werden. Oder ist sie etwa schon vergriffen?