Treffen in Wolfenbüttel
Schriftsteller lassen sich auf ein Gespräch mit Lessing ein
Von Ursula Homann
Seit zehn Jahren kommen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Lessings Haus in Wolfenbüttel zusammen, um einander aus ihren Arbeiten vorzulesen und miteinander darüber zu sprechen. So trafen sich dort auch im Januar 2004 zu Lessings 275.Geburtstag elf Schriftstellerinnen und Schriftsteller und sprachen nicht nur mit einander, sondern auch, angeregt durch die Lektüre von Texten Lessings, jeder für sich und auf seine Weise, mit dem großen Schriftsteller und Aufklärer. Das Ergebnis ihrer Gespräche liegt nun in einem kleinen schmucken grünen Bändchen vor. Es sind recht unterschiedliche Texte, in denen sich die in Wolfbüttel versammelten Autoren um aktuelle Antworten auf Aussagen und Bücher von Gotthold Ephraim Lessing bemühen.
Hugo Dittberner erzählt kleine Geschichten von Lessing, wie beispielsweise dieser für sich und seine Freunde, darunter Nikolai, den Plan zu einem burlesken Heldengedicht über Gottsched entwarf. Dittberner hebt hervor, dass Lessing im Gegensatz zu den meisten Großen bei persönlicher Bekanntschaft beeindruckt und gewinnt. Freunde hätten von ihm geschwärmt, während sich seine theologischen Feinde erbost um seine Seele besorgt gezeigt hätten. Zudem sei Lessing kein Freund der Prügelstrafe gewesen und habe bei seinem Stiefsohn nur zwei Ausnahmen um der Wahrhaftigkeit und des Mutes willen zugelassen. Dittberner lobt Lessing als Schöpfer dreier Meisterwerke und denkt über dessen Dramentheorie nach.
Patricia Görg wiederum schreibt einen Brief an einen guten Freund über "unseren Lessing" und geht dabei vor allem über seine Untersuchung "Wie die Alten den Tod gebildet" ein. Sie erörtert kurz Lessings Einstellung zur Religion, die auch heute noch bedenkenswert ist. Denn nach Lessings Meinung hat erst das Christentum den Tod als Strafe geoffenbart und die älteren, milderen Ideen von ihm verdrängt. Ferner sei eine Religion, laut Lessing, "die uns nicht auf das Heitere und Schöne bringe.. eine missverstandene Religion."
Daniel Kehlmann, nennt Lessing einen Virtuosen des Ärgers. Was ihn vor allem geärgert habe, war die "zur Macht gekommene Dummheit". Ein Beispiel hierfür war für Lessing ein Herr Klotz. War dieser doch "ein eitler, aufgeblasener und selbstgerechter Literaturpapst." Denn Päpste, welcher Art auch immer, vertrug Lessing ebenso wenig wie Intoleranz oder ihren nächsten Verwandten, die falsche, weil dumme Art von Toleranz. Nicht von ungefähr sah daher Hauptpastor Goetze in vielen Sätzen von Lessing "die stärkste Bedrohung kirchlicher Autorität, die Deutschland je erlebt hatte."
Natürlich darf in einem Gespräch mit und über Lessing die "inzwischen fast zu Tode zitierte Parabel von den Ringen" nicht fehlen. Sie wird von mehreren Autoren in diesem Büchlein gestreift. Lutz Seiler, der in der DDR groß geworden ist, in der lange Zeit der Verweis auf Lessing als ein Politikum betrachtet wurde, schreibt, dass der Nathan-Text innerhalb seiner Wirkungsgeschichte mit den Etiketten der Aufklärung lange Zeit luftdicht gedeckelt und verharmlost worden sei.
Die Japanerin Yoko Tawada, die seit 1982 in Hamburg lebt, hat ein Zwiegespräch mit Lessing entworfen, ebenso die 1961 in Prag geborene Farhad Showghi, während sich Gisela von Wysocki unter dem Titel "Dem Denken ein Gesicht geben" für ein "Stück für e i n e n Sprecher" entschieden hat. Marica Bodrozic zitiert in ihrem Beitrag Hannah Arendt, die 1960 in ihrer Rede über Lessing gesagt hat: "Nicht nur die Einsicht, dass es die eine Wahrheit innerhalb der Menschenwelt nicht geben kann, sondern die Freude, dass es sie nicht gibt und das unendliche Gespräch zwischen den Menschen nie aufhören werde, solange es Menschen überhaupt gibt, kennzeichnet die Größe Lessings."
Aus Hans Eichhorns kleiner Geschichte "Als ich mit Gotthold Ephraim Lessing und zwei Schachteln geräucherter Fische wieder einmal nach Wolfenbüttel reiste" erfahren wir, dass Lessing für einen kleinen Disput mit dem Verfasser auf dieser Fahrt auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat. Marcel Beyer ergeht sich dagegen in Betrachtungen über "Lessings Ofenschirm".
Manche Überlegungen und Skizzen sind durchaus lesenswert. Andere wirken dagegen etwas weit hergeholt. Insgesamt dürfte das Bändchen vor allem jene erfreuen, die selbst daran beteiligt waren.
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