Fußball als Kulturgut

Andreas Höll verortet in "Halbzeiten für die Ewigkeit" König Fußball als Teil der Popkultur

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Über die wichtigste Nebensache der Welt" lautet der Untertitel von Hölls "Halbzeiten für die Ewigkeit". Dem entsprechend ist das Buch mit leichter Hand und einer wohl dosierten Portion Humor verfasst, obwohl das kulturwissenschaftliche Erkenntnisinteresse deutlich spürbar ist.

Zu keinem Zeitpunkt verhehlt der Autor, dass aus ihm der glühende Fußballfan spricht und verfolgt dabei doch konsequent vier Schnittstellen von Fußball und Kultur. Nach einem mehrseitigen Interview mit Erfolgstrainer Ottmar Hitzfeld widmet sich Höll den Fan-Gesängen, die er als die einzig existierenden Beispiele für das lebendige Volkslied ansieht, sowie den Gesangsversuchen der deutschen Fußballnationalmannschaft. Dieser erste Teil des Buches wirkt nur teilweise gelungen. Dem exzessiven Aufzählen diverser Fanfanfaren mag zwar eine detaillierte Recherchearbeit vorrausgegangen sein, und das Ergebnis mag die Sammlernatur beglücken, doch ist das bloße Nennen auf die Dauer ermüdend, gerade weil kaum weitere Einzelanalysen zur Untermauerung der Haupthese vom Fangesang als modernem Volkslied folgen. Wenn Höll versucht, aus den einzelnen Liedern, die anlässlich eines großen Turniers für die deutsche Nationalmannschaft komponiert wurden, Schlüsse auf den jeweiligen Zeitgeist, teilweise auch auf die Leistung der Mannschaft zu ziehen, hilft ihm oft nur das Kalauern. Ähnlich steht es mit den Teilen des Buches, die den Topos Fußball in der Malerei und der Poesie untersuchen. Je mehr man liest, desto mehr beschleicht einen der Verdacht, dass der dürftige Eindruck weniger am mangelnden Talent des Autors liegt, der oft mit kreativen Interpretationen und genauen Beobachtungen erstaunt, als dass vielmehr Fußball in Malerei und Poesie nicht ohne Grund ein eher vernachlässigtes Thema ist. Die Athletik und Dynamik des Sports scheinen bei der Transformation zu einem Kunstgegenstand nicht übertragbar zu sein, und nur wenige Kunstwerke sind in der Lage, Fußball als Metapher für gesellschaftliche Zustände zu gebrauchen. Diese Kapitel des Buches mögen zwar noch unterhaltend sein, fallen aber gerade im Vergleich zum nächsten Teil des Buches deutlich ab. Hier unternimmt Höll eine überaus gelungene visuelle Anthropologie des Torjubels, vollzieht die Geschichte einzelner Gesten bis in das Römische Reich hinein nach und kommt durch seine treffenden Analysen von prototypischen Jubelarten auch vorrherschenden gesellschaftlichen Befindlichkeiten auf die Spur: die puritanisch strengen Briten, die am Anfang des letzten Jahrhunderts beim Torjubel noch verschämt den Körperkontakt zueinander auf ein Minimum beschränkten, und die Individualisierungstendenzen unserer Zeit, in welcher der Spieler als Ich-AG den Mannschaftskameraden entflieht, um sich alleine vor den Kameras zu präsentieren und damit seinen Marktwert zu steigern, gehören zu den markantesten Beispielen.

So geht "Halbzeiten für die Ewigkeit" an manchen Stellen über eine leichte, humorvolle Lektüre für den Fußballfan hinaus und erfüllt nahezu vorbildlich die an anderen Stellen zu hoch gesteckten kulturwissenschaftlichen Fragestellungen.

Titelbild

Andreas Höll: Halbzeiten für die Ewigkeit. Über die wichtigste Nebensache der Welt.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2004.
184 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3378010711

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