Die Widersprüche verdeckt

Hans Heinz Holz zu Hebbels "Nibelungen"

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mehrteiler, sogar anerkannte wie Schillers "Wallenstein", haben es schwer auf der Bühne. Etabliert ist allein Wagners Musikdramen-Tetralogie "Der Ring des Nibelungen", nicht aber, trotz gleichem Ausgangsstoff, Hebbels "Nibelungen". Das überrascht, und doch wieder nicht: denn das monumentale Werk schwankt zwischen der Dramatisierung eines vorgeblich archaischen Epos und moderner bürgerlicher Psychologie, zwischen Nihilismus und der Sinngebung mittels einer Wendung der Geschichte zum Christlichen, zwischen Bestätigung des bürgerlichen Nationalismus und Analyse einer instrumentellen bürgerlichen Warenideologie. Das alles lässt sich nicht stimmig auflösen und schreckt also ab; andererseits müssten solche unbewältigten Widersprüche ein verantwortliches modernes Regietheater reizen, das nicht auf Effekthascherei zielt.

Hans Heinz Holz' Essay ist aus Anlass einer solchen Inszenierung entstanden; Photos einer Sankt Gallener Aufführung in einer Inszenierung von Peter Schweiger durchziehen das Buch, leider in ungefähr chronologischer Reihenfolge statt auf die Argumentation Holz' bezogen, der sich freilich sogar im abschließenden Teil "Inszenierungsprobleme" nur punktuell auf die Vor- und Nachteile von Schweigers Regie bezieht. Bühnenpraktische Erwägungen, das heißt auch: Gedanken, wie ein wie auch immer bestimmter Inhalt das Publikum erreichen könnte, sind in diesem "dramaturgischen Essay" randständig.

"Essay" markiert die Differenz zur Wissenschaft. Holz zitiert nicht, verrät auch nicht, auf welche Arbeiten der umfangreichen Hebbel-Forschung er sich bezieht. Stattdessen bietet er zunächst eine an Hegel orientierte Definition von Tragik und Schuld an, um dann Hebbels Haltung zur nationalen Einheit allzu positiv darzustellen. Den zitierten Tagebucheintragungen, die Hebbel als progressiven bürgerlichen Demokraten erweisen sollen, wären jedoch leicht nationalistische Briefstellen entgegenzuhalten. Holz lässt die Burgunden, die Mörder Siegfrieds, als nationale "Schuldgemeinschaft" untergehen, in der die Fürsten, gleich wie sie zum Mord an Siegfried standen, in Niederlage und Tod an der Seite Hagens ihren Teil am Ende Siegfrieds zu tragen sich entschließen. Der Aspekt der Dramaturgie ist dabei vertreten durch die Analyse, wie Hebbel den Konflikt entwickelt, welche Parallel- und Kontrastkonstruktionen er einsetzt, um dem epischen Stoff eine trotz zeitlicher und personeller Divergenzen geschlossene dramatische Form zu verleihen.

Von heute aus erscheint als größtes Problem, dass das Nibelungenlied so gar nicht deutschnational ist und das Epos, aus dem nur schwer eine moralische Überlegenheit Deutschlands herzuleiten ist, Gewalt, Betrug und Mord zeigt - einmal abgesehen von der Frage, wer unter den Handelnden eigentlich deutsch sein soll. Zwischen 1800 und 1945 stellte sich die Frage nicht; recht umstandslos wurden einzelne Elemente aus dem Epos herausgelöst und je nach Bedarf politisch funktionalisiert; das Schlagwort von der "Nibelungentreue" zwischen Deutschlands und dem Habsburgerreich, die auf der Rechten populäre Lüge vom "Dolchstoß", der von hinten die Front im Ersten Weltkrieg zerstört habe, sah als Opfer den zum Deutschen erklärten Siegfried. Das aber hinderte dieselben politischen Kräfte nicht, die Verlierer von Stalingrad als die Burgunden in König Etzels Halle, die jenen Siegfried töteten, als ihrerseits todesbereite Kämpfer im Untergang zu heroisieren.

Hebbel kann sich mit solch eilfertiger Propaganda nicht begnügen, denn er will das ganze Epos in Form zwingen, er will eine scharfe Motivierung der Handelnden herausarbeiten und gleichzeitig eine Sinngebung der Geschichte erreichen, die am Ende nur einen Haufen von Toten kennt. Kurz: Er muss scheitern, aber er scheitert auf einem Niveau, das Interesse weckt.

Zwischen Nation und Fortschritt etwa besteht ein Spannungsverhältnis. Holz hebt das hervor und benennt ganz richtig Goethe und Hegel als Personen, die diese Spannung auszuhalten vermochten und den französischen Sieger Napoleon als Repräsentanten des Fortschritts anerkennen konnten. Hebbel aber habe nach den politischen Niederlagen, die er erlebte, nicht mehr über diesen Optimismus verfügt. Darum gehe seine deutsche Schuldgemeinschaft unter. Warum dann aber die Zeiten-Wende hin zum Christlichen, die Holz im Titel seines Essays betont? Ist sie kein Fortschritt - gegen oder doch ohne die Nation?

Und wie - damit beginnt das Problem nicht auf der Ebene der Poetologie, die Holz genau bestimmt, sondern auf der Ebene der theatralischen Umsetzung -, wie lässt sich ein Sieg einer dramatisch nicht wirksamen Anschauung vermitteln? Durch den Schlussvers Dietrich von Berns: "Im Namen dessen der am Kreuz erblich"? Das bleibt arg blass. Der heroische Kriegswille eines Hagen, der Wille Kriemhilds zur Rache, beherrschen weitaus mehr Raum, zwingen allen anderen Beteiligten die Notwendigkeit zum Krieg auf, und dann den Untergang. Gestützt durch ein Jahrhundert voller Texte, die gerade den Tod fürs Vaterland sowohl als dessen wie auch als Erfüllung des individuellen Lebens feierten, dürfte die dramatische Hauptsache mehr an Wirkung ausgeübt haben. Solcher Kampfeswille verschiebt allein durch seinen Effekt auf der Bühne eine mögliche Erinnerung an Schuld ins Vorbildliche.

Doch die Träger dieses Heroismus sind fragwürdig von Beginn an. Siegfried, durch Drachenblut vor fast jeder Verletzung geschützt, kann leicht als munterer Provokateur auftreten; Hagen, von Holz allzu sehr auf tradierte Ritterehre und Gefolgsmannstreue festgelegt, befördert wissend um die Folgen seines jeweiligen Handelns: den Untergang seiner Könige. Spätestens vom Entschluss an, Siegfried zu töten, berät er nicht seinen Herrn, sondern manipuliert er ihn.

Überhaupt hat Hebbel viele Züge des Epos übernommen, die nicht recht zu einem an Hegel orientierten Tragikverständnis vom Zusammenprall zweier sittlich gleichermaßen begründeter Weltordnungen passen wollen. Ein Element hat Hebbel sogar deutlich verschärft: Fast alle Personen, sogar die bei Holz allzu harmlos skizzierte Kriemhild des Dramenbeginns, sind auf Besitz fixiert. Hier kann man unsicher werden, ob es Hebbel, wie er beteuerte, um den geschichtlich bestimmten Mythos ging. Ebenso wenig scheint die Zeitenwende vom archaischen zum christlich bestimmten Zeitalter, die Holz hervorhebt, zentral. Ein solches historisches Interesse müsste sich stets von der Gegenwart aus begründen lassen - und dass für Hebbel die "dogmatische Seite des Christenthums eine Mythologie neben anderen Mythologien" war, betonte er selbst 1857 in einem Brief.

Der Fokus der Darstellung scheint demgegenüber auf Darstellung und Kritik des Bürgerlichen zu liegen. Wie bei Wagner sind es Bürger, die auf der Bühne agieren - und so sind denn auch die Schauspieler in der Inszenierung, die Holz zum Schreiben veranlasste, bürgerlich gekleidet. Gunthers instrumentelles Denken ist so bürgerlich wie die Vertragspolitik von Wagners Wotan, dessen Walhall nicht zufällig mit der Wallstreet verglichen wurde. Hebbels Versuch, das Gegenwärtige mythologisch einzukleiden, führte auf Brüche, die zu beleuchten produktiv wäre - denn es sind die noch heutigen Widersprüche, die Hebbel, vielleicht wider Willen, betont.

Der Wille zu Kampf und Untergang, der am Ende die Bühne beherrscht, stellt sich in dieser Sicht als Ausweg dar: Die archaische Geste, die zum Tod führt, enthob vielleicht den Autor, enthebt die Figuren, nie jedoch den aufmerksamen Zuschauer genauerer Anstrengungen.

Die allzu harmonisierende Dramentheorie Hebbels nachzuzeichnen, wie es Holz unternimmt, kann daher nur ein erster Schritt sein. Das Drama dann als Umsetzung der Theorie zu lesen und Parallelen zu Hebbels Gegenwart, die noch unsere ist, nur vage zu benennen, verstellt dann den Blick auf Hebbels Leistung: gerade das Scheitern einer Synthese konsequent durchgeführt und so Arbeitsmaterial noch für uns bereitgestellt zu haben.

Kein Bild

Hans Heinz Holz: Zeiten-Wende. Ein dramaturgischer Essay zu Hebbels "Nibelungen".
Übersetzt aus dem ## von ##.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2004.
75 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 3895284645

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch