Der kanonisierte Heine

Zur dritten Auflage von Gerhard Höhns "Heine-Handbuch"

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Heine ein umstrittener Autor war, dem sich die germanistische Literaturwissenschaft nur zögerlich und nicht ohne Vorbehalte zugewandt hat, klingt heute wie ein Märchen aus alten Zeiten. Die in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende Heine-Renaissance war durchschlagend: Spätestens Ende der achtziger Jahre war seine Kanonisierung vollzogen. Das bezeugt nicht zuletzt Höhns "Heine-Handbuch", das 1987 erstmals erschien. Dass es 1997 zu einer zweiten Auflage kam und jetzt die dritte notwendig wurde, zeigt zum einen, wie anhaltend das Interesse an Heine ist, und zum andern, wie sehr sich das Handbuch bewährt hat. Es ist ein Standardwerk der Heine-Philologie und nötigt allein schon deshalb Respekt ab, weil es die Leistung eines einzigen Autors ist und nicht - wie bei Handbüchern üblich - ein Sammelband, an dem eine Mehrzahl von Autoren mitgearbeitet hat.

Dennoch begrüßt man die Neuauflage nicht vorbehaltlos, denn es liegt zwar eine erweiterte Auflage vor, aber streng genommen keine überarbeitete: Die dritte Auflage übernimmt unverändert den Text der zweiten. Hinzugefügt wurde lediglich eine "Bibliographie 1996-2003 mit Nachträgen", die zudem etwas unübersichtlich angelegt ist (z. B. ist das Siglenverzeichnis nicht alphabetisch geordnet). Der Benutzer muss blättern und suchen, um auf den aktuellen Stand zu kommen. Außerdem hätte eine Überarbeitung dem Text einiger Artikel nicht geschadet, obschon "in jüngster Zeit keine maßstabsetzende, neue Heine-Interpretation erschienen ist". Das Heine-Bild des Handbuchs basiert auf der "Erkenntnis der kontinuierlichen, unversöhnlichen Gegenstellung des Dichters und Schriftstellers zur gesellschaftlichen Wirklichkeit seiner Zeit". Ein solches Heine-Bild verdient weiterhin Zustimmung, doch gemahnt manche Passage an die undifferenzierte Sozialkritik, wie sie um 1968 und den dann folgenden Jahren üblich war. Etwas angestaubt wirkt weniger die Sache selbst als der Sprach- und Argumentationsduktus. Zuweilen fragt man sich, ob die einschlägige Literatur neutral oder mit Zustimmung referiert wird.

Dankenswerterweise informieren Einleitung und die Vorbemerkung zur Zusatzbibliographie über die jüngsten Forschungstendenzen. So bietet z. B. die Wirkungsgeschichte reichlich Stoff für Arbeiten mit Titeln, die nicht gerade auf Originalität schließen lassen ("Heine und Nietzsche", "Heine und Baudelaire" oder auch "Heinrich Heine in der Ukraine"). Interessanter ist da schon die geistesgeschichtliche Frage, inwieweit der streitbare Intellektuelle mehr ein Erbe der Aufklärung als der Romantik war. Dazu gegenläufig scheint der Trend, die Essayistik etwas weniger zu beachten und dem jungen Heine mit seinem "Buch der Lieder" mehr Aufmerksamkeit zu schenken als eine Zeitlang üblich. Das momentan weitaus wichtigste Forschungsgebiet jedoch ist die deutsch-jüdische Problematik im Werk und in der Persönlichkeit Heines. Damit betritt man zwar kein Neuland, "neu sind dagegen Dichte und Breite der Debatte". Es bestätigt sich eine Selbstverständlichkeit: Literaturwissenschaftliche Fragestellungen sind nicht abgekoppelt von dem, was Politik und Gesellschaft allgemein beschäftigt.

Ungeachtet aller Aktualität ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass sich im Umgang mit Heine Routine breit macht. Ihm ist der Aufstieg zum Klassiker nicht unbedingt bekommen, selbst wenn das Paradox "anti-klassischer Klassiker" seiner Inkommensurabilität Rechnung tragen soll. Schon in der Einleitung zur zweiten Auflage verbirgt Höhn nicht sein Unbehagen an der "schier unüberblickbar gewordenen Masse an Forschungsbeiträgen" und diagnostiziert "unleugbare thematische Erschöpfung". Heines Wirkung war lebendiger, als noch um Heine-Denkmäler gestritten wurde oder darum, ob die Düsseldorfer Universität nach ihm zu nennen sei. Wer ihn auf den Schild hob, durfte sich schmeicheln, nonkonformistisch zu sein, während heute die Beschäftigung mit ihm nicht weniger konform ist als der größte Teil der Literaturwissenschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass die Interpreten seiner Texte nicht immer das vermieden haben, was für diese tödlich ist, den Bierernst. Höhn vermerkt dankbar, dass ihm bei der Arbeit das Lachen über Heines Texte nicht vergangen sei und beruft die "gaya scienza". Er dürfte wissen warum. Man tut sich schwer mit Heines Leichtigkeit. Zu denken ist an Adorno und sein abschätziges Urteil über Heines "der kommunikativen Sprache erborgte Geläufigkeit und Selbstverständlichkeit". Die in der Germanistik herrschende Neigung, vom sprachlichen Kunstwerk Widerständigkeit zu verlangen, hat kulinarische Lektüre in Verruf gebracht. Aber gerade, dass man Heine mit Vergnügen liest und seine Schreibweise ein nahezu sinnliches Behagen hervorruft, ist entscheidender als das Gedankliche. Deshalb hat er gewirkt. Das ist auch die Meinung von Höhn, der eine Antwort zitiert, die Heine gab, als er kurz vor seinem Tod nach dem Grund aller seiner Verfolgungen gefragt wurde: "Nein, ich gestehe bescheiden, mein Verbrechen war nicht der Gedanke, sondern die Schreibart, der Stil."

Titelbild

Gerhard Höhn: Heine-Handbuch. Zeit - Person - Werk.
Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2004.
590 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-10: 3476019659

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