Vom Guten das Beste

Zwei Bände mit "Gesammelten Untertreibungen" erinnern an Matthias Beltz

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch wenn die ganz große Zeit - Gott sei's gedankt! - der Spaß- und Comedyzumutungen bereits vorübergegangen zu sein scheint, der von ihnen verursachte Niveauverlust peinigt allemal. Wer von den jungen amüsierfreudigen Menschen, die sich in selbstkasteiender Manier den professionellen Spaßmachern aussetzen und dies - Gott sei's geklagt! - auch noch zu genießen scheinen, kennt noch den Unterschied zwischen Comedy und Kabarett? Wohl hat das Kabarett selbst einiges beigetragen zur 'Spaßkultur', als in den 80er Jahren vor allem das neue private Fernsehen immer mehr und immer schneller Witze wollte, die einstweilen nur von den 'ausgebildeten' Kabarettisten geliefert werden konnten. Die taten's, gelockt verständlicherweise auch vom schnellen und guten Geld, und produzierten zunächst im Grenzbereich von Kabarett und Comedy. Die Besseren unter ihnen wussten beide Genres im Falle des Falles auseinander zu halten. Die Übrigen entschieden sich - letztlich für den einfacheren Weg. Freilich nun nicht mehr allein auf der Bühne, denn da waren die neuen jungen Comedians. Mit Kabarett hatten die nichts mehr am Hut. Aber Comedy machen, will sagen: Witze erzählen, das konnten sie besser als die sich aufreibenden Kabarettisten.

Und so recht will man sie auch nicht bedauern. Es umweht sie doch allzu oft der Hauch des Altbackenen, wenn sie, von allererster Fernsehinstanz zu ernst-pädagogischem Anlass angehalten, uns scheibenwischend Durchblick verschaffen sollen. Trotz aller Professionalität bleibt da etwas Bemühtes, 'lustige' Persiflagen auf Politiker in immer neuer Verkleidung muten in ihrer theatralischen Aufführung dilettantisch an und lassen Wehmut aufkommen bei denjenigen, die die Protagonisten noch anders kannten. Mitleidend schaut man auf Kamphausens Niedergang ... Dass man hier freilich im Grenzbereich auch hip sein kann, beweisen Radio-Dauerbrenner wie "Ullallalla Schmidt" oder die "Gerd-Show".

Matthias Beltz war von anderem Kaliber. Der 1945 im Hessischen Geborene erhielt eben in diesem hessisch-linken Milieu der 60er Jahre jene Prägung aus "politischer Gewerkschaftsarbeit, linker Utopiepflege, Erforschung des Skatspiels und der lockeren Biertrinkerei in absonderlichen Männerkreisen", die zum "Studium des Klassenkampfes" befähigte. Dies Studium ging mal so und mal so. Manche der Frankfurter Klassenkämpfer wurden später Minister, andere blieben als "Vollidioten" der neuen Frankfurter Schule in den Kneipen klebend verpflichtet. Daneben aber qualifizierte sich Beltz als Jurist: Examen, Gerichtsreferendar. Es war 1970 und schon Zeit für einen neuerlichen Berufswechsel "im Rahmen der weltrevolutionären Bestrebungen der Gruppe 'Revolutionärer Kampf' in Frankfurt" zum Zwecke nun des "Studiums der Weltrevolution". Studienobjekt: das Fließband bei Opel in Rüsselsheim. So richtig kommt man aber weder dort noch in den "Putztruppen", die tapfer als revolutionäre Avantgarde Häuser besetzen und sich mit Polizisten schlagen, weiter. Irgendwie verständlich, dass Beltz sich dem Theater zuwendet.

Vom Straßentheater kommt Beltz, man gründet "Karl Napps Chaos Theater". Diese Aufführungsform, die nach dem Auseinanderbrechen der "Chaos Theater-Truppe" im "Vorläufigen Frankfurter Fronttheater" mit Dieter Thomas und Hendrike von Sydow eine Fortsetzung findet, bringt spontane Spielfreude und kontrollierte Textarbeit in ein fruchtbar reizvolles Spannungsverhältnis. Gerade recht für Beltz, dessen dialektisch geschultes Bewusstsein besonders die Macht der Sprache einzusetzen weiß. Wie auch in den Programmen, die Beltz seit 1986 mit dem ihm ebenbürtigen Heinrich Pachl auf die Bühne bringt. In bester Brecht-Tradition, der einstmals sprach: "Es ist nicht genug verlangt, wenn man vom Theater nur Erkenntnis, aufschlußreiche Abbilder der Wirklichkeit verlangt. Unser Theater muß die Lust am Erkennen erregen, den Spaß an den Veränderungen der Wirklichkeit organisieren. Unsere Zuschauer müssen nicht nur hören, wie man den gefesselten Prometheus befreit, sondern auch sich in der Lust schulen, ihn zu befreien."

Der Wege sind da viele. 1988 gehört Beltz zu den Gründern des Frankfurter Tigerpalasts, einem Varieté-Theater in der Tradition einer verloren geglaubten Großstadtkultur. Der Conférencier des Programms hieß Matthias Beltz und er rief die "Pflicht zur Unterhaltung" aus: "Liberté, Egalité, Varieté!" Fernsehauftritte und Soloprogramme machen Beltz in den 90er Jahren auch einem breiten Publikum bekannt. Dann, am 27. März 2002, stirbt Matthias Beltz.

Kann man einen Kabarettisten mit einem Buch würdigen? Der Herausgeber der beiden Bände, Volker Kühn, wie auch Heinrich Pachl, der ein hellsichtiges Nachwort beisteuert, wissen, dass der Zauber eines Bühnenauftritts nicht in einem Buch wiedergegeben werden kann. Deshalb sei bereits an dieser Stelle auf die den Bänden beiliegende MP3-CD mit den ungekürzten Live-Mitschnitten der beiden Programme "Notschlachten. Die sieben Weltverbrechen" (1997) und "Eigenes Konto. Wenn alles sich rechnet und niemand bezahlt" (2000) aus dem Kölner Comedia-Theater verwiesen. Hier ist sie zu hören: die unnachahmliche Art des Interpreten Beltz, der das Lachen so hintergründig zu provozieren wusste. Zu hören ist freilich auch die Sprachmächtigkeit des im besten Sinne gebildeten wie belesenen Matthias Beltz. Die Texte lesend, erfährt man ihre literarische Qualität und Vielfalt. Denn Beltz schrieb nicht nur die Texte seiner Programme, er war Buchautor, schrieb für Zeitungen und Zeitschriften und war ein Stückeschreiber. Aus all dem wurden, so erläutert der Herausgeber, "Teil- und Bruchstücke" gesammelt, "seine Programme geplündert; wir haben uns außerdem nach Gusto aus seinen Büchern und längeren Abhandlungen bedient, haben Gedankensplitter, unveröffentlichte Notizen und irgendwo abgelegte Verse zusammengetragen. Wir wollten die bunte Mischung ..." Entstanden ist ein überaus reizvolles Lesebuch. Eins zum Schmökern ebenso wie zum Sich-Versenken. "Zwei Bände vom Besten des Guten sind es geworden." Oder wie es Heinrich Pachl im Nachwort formuliert: "Wir waren geschockt und traurig wegen seines Todes und können nun gleichzeitig mit diesem Wälzer in den Händen mit Matthias über seine Witze lachen."

Titelbild

Matthias Beltz: GUT und BÖSE. Gesammelte Untertreibungen in zwei Bänden mit einer MP3-CD.
Herausgegeben von Volker Kühn.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2004.
973 Seiten, 44,80 EUR.
ISBN-10: 3861506262

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