Mut zum Absturz

Oder: Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller?

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alle Welt schreibt. Die Klage über den angeblichen Untergang der Schriftkultur lässt sich mit einem Blick auf jede beliebige Fußgängerzone Lügen strafen. Dutzendweise tippen da Menschen unterschiedlichen Alters wie wild auf ihre Tastaturen ein, verschicken, empfangen alle paar Minuten E-Mails und SMS, und viel schneller als der Buchumsatz steigt die Zahl derer, die selbst Autoren werden wollen.

So rasch eine E-Mail geschrieben ist, so lange dauert es doch, ein Drama, einen Roman, ein Drehbuch oder ein Gedicht zu verfassen. Zu allem Unglück kennen nicht einmal die Schriftsteller ein Patentrezept fürs erfolgreiche Schreiben. Können wenigstens die Autorenworkshops, Schriftstellerschmieden, Schreibschulen und "creative-writing"-Kurse - aus Amerika importiert oder von der DDR übernommen - helfen, die Frage zu beantworten: "Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller?"

Ironisch wollen Josef Haslinger und Hans-Ulrich Treichel diesen Titel ihrer Anthologie, die kein Lehrbuch ist, verstanden wissen. Dennoch hat es der Leser nicht mit einer Mogelpackung zu tun. Die drei Autorinnen und elf Autoren, alles ehemalige oder aktuelle Dozenten des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, geben in ihren Texten kluge Ratschläge, stellen klare Regeln auf, warnen, empfehlen und erzählen exemplarisch ihre Geschichten; natürlich ohne Erfolgsgarantie. "Ich muss frei schreiben können, nur für mich selbst, nur für jenen Moment." So erklärt es Juli Zeh in ihrem herausragenden Text "Heimlich schreiben", der viel über ihr Schriftsteller-Werden und -Sein verrät. "Schreiben können setzt, wie wir seit anno Schnee wissen, Lesen können voraus." Darin ist sich Katja Lange-Müller mit allen einig. Dass Talent nicht, wohl aber Technisches lehrbar sei, dass es am Literaturinstitut darum gehe, "den Blick des Autors auf die eigenen Texte zu schulen" und der Autor zu seinem eigenen Lektor werden müsse, unterschreiben alle Dozenten.

In anderen Punkten ergänzen oder widersprechen sich die sehr heterogenen Texte zum Glück, denn Individualität ist ein Pfund, mit dem Autoren wuchern können; auch kritische Passagen zum Literaturinstitut fehlen nicht. Alfred Behrens scheint in seinem recht wirren Text über das Drehbuchschreiben Josef Haslingers Diktum bestätigen zu wollen, dass Dozenten nicht unbedingt gut schreiben müssen, Werner Fritsch preist in seinem sehr klaren Text die unausschöpfbaren Möglichkeiten der gesprochenen Sprache, Burkhard Spinnen legt überzeugend die Chancen und die Aporien dar, literarisches Schreiben zu lehren und unterscheidet das kategorisch von "creative writing", Tilman Krause plädiert für rhetorische Schulung, nicht nur in der Literaturkritik.

Der Leser erfährt ohne Zweifel viel aus diesem Buch: Wie man am Literaturinstitut lernt oder lehrt und warum das sinnvoll sein kann, aber nicht sein muss. Er erfährt, wie angesehene Autoren zu dem wurden, was sie sind und wie eigenartig sich ihre Wege zur Literatur winden. Er erfährt, was für unterschiedliche Ideen es über das Schreiben gibt, wie individuell der Schreibprozess aussieht und wie man Schreiben verbessern kann. Schließlich erfährt er, wie klein - selbst in Leipzig - die Lobby für Lyrik ist.

Viele Fragen bleiben natürlich offen; Michael Lentz stellt sie in seinem spannenden Essay gleich dutzendweise, aber er gibt auch zahlreiche praktische Tipps und formuliert eine Überzeugung, die sich alle Leser von ihren Autoren nur wünschen können: "Das Wichtigste aber ist, mit Hingabe zu schreiben, mit Enthusiasmus und dem Mut zum Absturz."

Titelbild

Josef Haslinger / Hans-Ulrich Treichel (Hg.): Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller? Berichte aus der Werkstatt.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
210 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3518123955

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch