Da war nichts Schönes

Galina Breitkreuz besucht Afghanistans mutige Frauen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frauen Afghanistans sind schon längst aus den Schlagzeilen der Weltpresse verschwunden. Will man sich kundig machen, wie sich ihre Lage nach dem Ende der Talibanischen Tyrannei entwickelt hat, muss man im Internet recherchieren oder ist auf die nicht sehr zahlreichen Buchpublikationen zum Thema angewiesen. Eine von ihnen stammt aus der Feder der Fernsehjournalistin Galina Breitkreuz. In dem im Herbst 2005 erschienen Band porträtiert sie acht Afghaninnen, die im Inhaltsverzeichnis als Journalistin, Dozentin, Bäuerin, Generalin, Polizeioffizierin, Tochter eines Hamambesitzers, Mutter von fünf Kindern und als Teppichknüpferin vorgestellt werden. Erzählt wird jedoch nicht von etwaigen spektakulären Heldentaten dieser Frauen, wie der Untertitel vielleicht vermuten lassen könnte, sondern eher von den Mühen des Alltags, denen sich täglich zu stellen den Frauen nicht eben wenig Mut, Kraft und Ausdauer abverlangt.

Bevor die Autorin sich jedoch ihren Protagonistinnen zuwendet, polemisiert sie in einigen vorgeschalteten Abschnitten gegen "die politischen Missionarinnen dieser Welt" mit "[i]hre[n] pludrigen Hosen und d[en] farbenfrohen, knielangen Gewänder samt passendem Schleier", die nach Afghanistan gingen, um - wie die Autorin meint - den Frauen dort zu sagen, wie sie leben sollen. Westliche Hilfsprojekte werden kaum oder allenfalls als "zweifelhaft" und gescheitert geschildert. Gegen wen sich Polemik und Kritik konkret richten, lässt die Autorin geflissentlich im Dunkeln.

Insgesamt fallen die Porträts sehr subjektiv aus. Frauen, die sie mag - und das sind die meisten der acht Vorgestellten -, glorifiziert die Autorin fast schon. Ist ihr jedoch einmal eine unsympathisch, lässt sie kein gutes Haar an ihr. So fühlt sie sich bei einer Generalin, die von sich behauptet, sie liebe ihr Volk, sogleich an Erich Mielkes letzte öffentliche Ansprache als Staatssicherheitsminister der DDR erinnert. Etwas, das eine derartige Erinnerung auch nur annähernd begründen könnte, bringt sie allerdings nicht vor.

Insgesamt leiden die Porträts daran, dass Breitkreuz gerne - und daher auch ein bisschen viel - von sich selbst erzählt, von eigenen Erlebnissen und Kindheitserinnerungen, die durch die Berichte der Afghaninnen evoziert werden. Peinlich deplaziert wirken zudem ihre gelegentlichen literarischen Anwandlungen.

Unabhängig davon sind die Porträts und Berichte von unterschiedlicher Qualität. Völlig überflüssig etwa ist ihre Reportage aus einem Hamam, einer Badeanstalt nur für Frauen, in der die Autorin freimütig eingesteht, dass sie nur gekommen sei, "um zu gucken, um Frauen zu beobachten, wie sie ein Bad nehmen". So gelangt Breitkreuz denn auch nicht darüber hinaus, die Lesenden an ihrem Voyeurismus teilhaben zu lassen. In anderen Porträts erfährt man jedoch tatsächlich etwas über das Leben afghanischer Frauen in verschiedenen Teilen des Landes. Und zwar immer dann, wenn diese selbst zu Wort kommen. So fasst eine etwa achtzig Jahre alte Bäuerin, die bereits 15-jährig mit einem Mann verheiratet wurde, der älter als ihr Vater war, ihre Ehe lapidar mit den Worten zusammen: "Da war nichts Schönes. Es gab kein Glück." "Zwei Sätze, die jede Hoffnung so endgültig begraben", kommentiert Breitkreuz zu Recht. Und zwei Sätze, so fügt sie an, die sie von vielen Afghaninnen hören musste.

Nasrin Gross, Professorin an der Universität Kabul, wiederum analysiert die unter dem Taliban-Regime herrschende "Restriktionen" gegen die Frauen als "Grundpfeiler" der Taliban-Diktatur und als Instrument der "Disziplinierung aller Afghanen". Eine Einschätzung, die zu mancher Frage und so zu mancher erhellenden Antwort hätte Anlass geben können. Doch die Autorin ist derart erfreut über das mit der Dozentin geteilte Laster des Rauchens - das bei Breitkreuz allerdings zur Tugend mutiert: "eine Handlung, die Grazie mit Verstand versöhnt" -, dass sie das Fragen darüber zu vergessen scheint.

Den besten Einblick in das gewöhnliche Leben und Leiden der meisten Afghaninnen gewährt ausgerechnet der Abschnitt über die wohl außergewöhnlichsten der von Breitkreuz porträtierten Frauen. Malalai Kakar, eine Polizistin, die nicht etwa in der Hauptstadt Kabul Dienst tut, sondern in Kandahar, einer der Hochburgen islamistisch-patriarchalischer Frauenverachtung. Breitkreuz hat sie dort für einige Tage besucht. Immer wieder muss die Polizeioffizierin Frauen verfolgen, die vor ihren Männern geflüchtet sind. Sehr häufig, erläutert Kakar, waren sie als junge Mädchen von ihren Vätern gezwungen worden, diesen Mann zu heiraten. Natürlich sind sie in der Ehe "sehr unglücklich und empfinden ihr Leben als schlecht und hoffnungslos". Manche von ihnen fliehen daher. Spürt die Polizistin eine von ihnen auf, muss sie die Unglückliche verhaften. Auf freiem Fuß bleibt hingegen ein Mann, der seine Frau zehn Monate in einem dunklen Verließ angekettet hatte, weil auch sie früher einmal geflohen war. "Wenn man es genau betrachtet", versucht die Polizistin diese nicht nachvollziehbare Rechtspraxis zu erklären, "dann hat sie ihn verlassen, und das ist gegen das Gesetz. Der Mann hat nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht, für seine Frau zu sorgen. Wenn er es für besser hält, sie im Haus zu behalten, kann ich als Polizistin nichts dagegen unternehmen."


Titelbild

Galina Breitkreuz: Erst kommt die Angst. Afghanistans mutige Frauen.
dtv Verlag, München 2005.
240 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3423244879

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