Unbekannte österreichische Künstlerinnenpersönlichkeit vorgestellt
Christine Roiter über die Komponistin, Dichterin, Frauenrechtlerin Hedda Wagner (1876-1950)
Von Astrid Franzke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseChristine Roiter widmet sich dem Leben und dem literarischen, musikalischen und frauenrechtlerischen Wirken von Hedda Wagner (1876-1950), einer bislang weitestgehend unbekannten Persönlichkeit aus Oberösterreich. Überwiegend chronologisch zeichnet sie Lebensgang und Wirken entlang der inhaltlichen Schaffensperioden, verwoben in die Zeitgeschichte und ihre regionalhistorische Ausprägung in Linz nach.
Noch in der Habsburger Monarchie geboren, erlebte Hedda Wagner den Ersten Weltkrieg, die Erste Republik, die NS-Diktatur, den Zweiten Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit. Die Autorin möchte "ein Gesamtbild erstellen, das möglichst viele Facetten des Lebens von Hedda Wagner umfasst". Sie wählt den Zugang, sich die Person über ihr Werk zu erschließen, aus der Blickrichtung der historischen Frauen- und Geschlechterforschung, verortet sie in den geistigen Strömungen (Expressionismus) und den politischen Auseinandersetzungen (Sozialismus) ihrer Zeit.
Hedda Wagners große Leistung lag darin, so erfahren die Lesenden, "ein Leben abseits aller Konventionen zu leben, sich nicht von den Parolen ihrer Zeit verwirren zu lassen und ihren Idealen bis an ihr Lebensende treu zu bleiben". Die Autorin sieht sich der Schwierigkeit gegenüber, dass nicht nur die zu porträtierende Person sehr vielseitig ist, sondern sie in Zeiten verschiedener historischer und politischer Umbrüche lebte, deren historische Koordinaten aufgezeigt werden und die auch zu Brüchen im eigenen Leben und Wirken führten. Darauf will diese Rezension aufmerksam machen und zur Lektüre von Christine Roiters Arbeit einladen.
Hedda Wagner, eigentlich Hedwig Elisabeth Maria, entstammte dem Bildungsbürgertum. Der Vater war Arzt, antiklerikal eingestellt, Freidenker, hatte engen Kontakt zum Führer der Linzer Arbeiterbewegung. Sie erlebte eine von materiellen Sorgen freie und unbeschwerte Kindheit. Als begabtes Kind und in einem aufgeschlossenen Elternhaus aufgewachsen, erhielt sie eine fundierte Bildung und Ausbildung. Hedda beherrschte 7 Fremdsprachen: Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Tschechisch, Latein, Griechisch, etwas Hebräisch, im Alter lernte sie Sanskrit. 1896 absolvierte sie die Staatsprüfung für Klavier, Musiktheorie und Kompositionslehre nach eigenen Angaben mit Auszeichnung in Wien, offensichtlich an einer privaten Ausbildungsstätte, da Frauen zu diesem Zeitpunkt ein universitäres Studium regulär nicht möglich war.
Erste künstlerische Arbeiten fallen in die Zeit vor den Ersten Weltkrieg. Zunächst entstanden dramatische Erzählungen, später war sie eher dem Roman und der Lyrik verbunden. Klar bezog sie zu den politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit Stellung, kam zu sozialistischen Positionen, ihre Abneigung gegen soziale Ungleichheit und Gewalt wurde durch die Kriegsereignisse verstärkt. Sie formulierte ihre Friedenshoffnungen in sozialdemokratischen Zeitungen, teilweise waren ihre Gedichte mit Verbot durch Zensur belegt, sie engagierte sich für den Arbeiterinnenschutz, schrieb Gedichte und Lieder zum Frauentag. "Der Sozialismus gestaltete sich für Hedda Wagner als möglicher Lösungsweg zu einer besseren, gerechteren und friedlicheren Gesellschaft für alle Menschen unabhängig von Herkunft und Geschlecht." Hedda Wagner problematisierte die Harmonie der Geschlechter während des Kriegs, so den Mythos vom tapferen Soldaten, der seine Heimat, seine Familie beschützt und der Ehefrau, die die Rolle der Hausfrau und Mutter übernahm. Frauen mussten, bedingt durch die Abwesenheit der Männer, männliche Rollen übernehmen, als Familienoberhaupt, als Arbeiterin in der Rüstungsindustrie, nach Kriegsende beanspruchten die Männer ihre Positionen wieder.
Wahrscheinlich war sie seit 1912 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und im Landesbildungs-Ausschuss aktiv. Von 1912 bis 1929 fand sie als freie Mitarbeiterin des sozialdemokratischen "Tagblatts" in Linz Beschäftigung und bis 1934 als feste Mitarbeiterin. Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Linz wurde zu ihrer eigentlichen politischen und sozialen Heimat. 1923 übernahm sie die Redaktion der sonntäglichen Frauenbeilage, die ihr großes Ansehen innerhalb der sozialdemokratischen Frauenorganisation sicherte. "Hedda Wagners Fortsetzungsromane, Zeitungsartikel und Kurzgeschichten bildeten ein Medium, das eine Alternative zur weit verbreiteten Trivialliteratur darstellte." Sie wirkte im Kultur- und Bildungsbereich ihrer Partei. Offensichtlich gelang es ihr durch einfache Sprache und das Aufgreifen von Alltagsthemen, sowohl das Unterhaltungsbedürfnis der LeserInnen zu befriedigen als auch Zukunftsvorstellungen, Werte, Hoffnungen der Frauen anzusprechen, mit ihnen in Dialog zu treten und über soziale und politische Fragen aufzuklären.
51-jährig erlebte Hedda Wagner den Tod der Mutter, mit der die zeitlebens unverheiratete Frau den gemeinsamen Haushalt teilte, auch als Verlust ihrer finanziellen Absicherung. Als unvermögende Frau musste sie ihren Lebensunterhalt nun selbst verdienen. 1928 erschien Hedda Wagners Sammelband mit 65 Gedichten für die Sozialdemokratie unter dem Titel "Im Zeichen der roten Nelke", von denen einige vertont wurden. Insgesamt schrieb sie 15 Romane, im Nachlass befinden sich 259 Lieder. Nur wenige ihrer musikalischen Werke wurden aufgeführt, so "Das Spiel vom letzten Krieg", 1924. In den 20er Jahren dominierte ihre Arbeit für die Sozialdemokratie, vor allem ihre Gedichte waren von Optimismus und Engagement für die Sache getragen, in ihren eher persönlich gehaltenen Arbeiten überwog der traurig-melancholische Grundton, in dem sie sich durch die Lektüre von Arthur Schopenhauer bestärkt fühlte.
Spätestens 1933 konvertierte Hedda Wagner zum Buddhismus, der die Welt als vergänglich und leidvoll definiert und für den es eine Wiedergeburt gibt. 1934 wurde die 59-Jährige in Pension geschickt. Mit dem Verbot der Sozialdemokratie im gleichen Jahr stellte Hedda Wagner ihre aktive politische Arbeit ein. In den 30er Jahren beschäftigte sie sich vermehrt mit Literatur und Musik. 1935/36 widmete sie ihrem jüdischen Hausarzt Dr. Eduard Bloch, der früher Hausarzt von Adolf Hitlers Mutter war, einen Roman. Ihm wurde 1941 die Auswanderung in die USA gestattet, er nahm dieses Werk mit ins Exil. Es gelang Hedda Wagner, im "Tagblatt" noch bis 1938 einzelne historische und heimatkundliche Beiträge zu veröffentlichen - offenkundig auf Grund ihrer freundschaftlichen Beziehung zu Franz Lettner, der bis dahin dessen Schriftleiter war. Während der Zeit des Nationalsozialismus befand Hedda Wagner sich in der inneren Emigration, "denn sie konnte sich nicht mit einem Regime arrangieren, das sie zutiefst verachtete." Ihre beste Freundin, Annie Wilensky, war Jüdin, sie musste Linz 1938 mit ihrer Familie verlassen, siedelte nach England über. Trotz brieflicher Kontakte wurde es in dieser Zeit einsamer um Hedda Wagner. Nach 1938 lebte sie von Mieteinnahmen aus ihrem Hause, von Nachhilfestunden und Musikunterricht.
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren wurde Hedda Wagner die lang ersehnte öffentliche Anerkennung zuteil. 1946 erschien als einziger Roman "Stadt der Flammen", geschrieben 1936. 1947 erfuhr ihr künstlerisches und sozialdemokratisches Schaffen auf der Hedda Wagner-Feier in Linz eine Würdigung. Nach dem Krieg erhielt sie als Heimatdichterin regionale Aufmerksamkeit. Über diese späte Anerkennung konnte sie sich ob ihrer Krankheit und vieler Entbehrungen nicht mehr richtig freuen.
Das Verdienst von Christine Roiter besteht darin, die Person Hedda Wagner und ihr Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Die Schrift von Christine Roiter empfiehlt sich all jenen, die an Biografieforschung, verknüpft mit dem zeitgeschichtlichen Kontext im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in der oberösterreichischen Provinz und eingebunden in die Geschlechtergeschichte arbeiten. Interesse dürfte die Publikation auch bei Personen finden, die sich mit speziellen Themen wie Bildungs- und Sozialgeschichte, Entstehung der ArbeiterInnenbewegung, der Geschichte der Mädchenschulbildung und der Frauenbewegung sowie den Anfängen des Frauenstudiums in Österreich beschäftigen. Deutliche Parallelen, z. B. zur Etablierung der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland, lassen sich ziehen. An einigen Stellen erfahren wir identische Informationen mehrfach hintereinander, diese kleine redaktionelle Schwäche schmälert die Pionierleistung der Autorin jedoch nicht.