Musikgeschichte revisited

Briefe über Musik von Roberto Cotroneo

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Schriftsteller schreibt seinem neugeborenen Sohn ein Buch, in welchem steht, wie man die Liebe zu Büchern vermitteln könnte und warum diese Leidenschaft für Bücher gut ist. Dieses Buch hat Cotroneo vor ungefähr zehn Jahren für sein erstes Kind geschrieben. Jetzt schreibt er für seinen zweiten Sohn ein weiteres Buch, um zu erklären, warum Musik ein wesentlicher Bestandteil des Lebens sein sollte. Oder warum man für Musik eine Leidenschaft entwickeln kann und sollte. Das Ergebnis seiner Überlegungen liegt auf ungefähr 150 Seiten vor.

Der Verlag kündigt den Band als eine Art erzählte Musikgeschichte an, als persönliche Historie und Reise durch das Erlebnis "Musik". Der Titel des Bands suggeriert, dass die "Beatles" zumindest Bestandteil dieser Exkursion sein könnten. Was erfährt der Leser nun über die Bedeutung der klassischen Popgruppe im Allgemeinen und im Besonderen und in welcher Beziehung steht dies zum Autor und seinem Sohn?

Erwartet man etwas über die Beatles, wird man enttäuscht sein. Der einzige Bezug ist ein Popsong, und dieser ist erklärtermaßen nicht einmal von den ,Fab Four', sondern von John Lennon und trägt den Titel "Imagine". Und es ist laut Definition des Autors ein "guter" Song, weil er etwas bedeutet, eine Botschaft hat. Oder weil er von seinem Sohn im Kindergarten gesungen wird. Wie dem auch sei, "Imagine" ist zumindest nicht der Kristallisationspunkt der Popmusik und zu diesem wird er erfreulicherweise auch nicht gemacht. Aber diese Freude über eine nicht erfolgte Glorifizierung von "Imagine" weicht relativ schnell einer gewissen Ernüchterung. Die persönliche Ansprache des Erzählers an seinen Sohn Andrea wirkt etwas aufdringlich. Der Namen wird immer wieder - mindestens einmal pro Seite - in die Formulierungen eingebaut. Dabei versucht Cotroneo seinen Gefühlen über Musik Ausdruck zu verleihen, aber es ist eine durch Ressentiments gegenüber der populären und kommerziellen Musik geprägte Haltung, die die Beschreibungen und Schilderungen entbirgt: "Alles, was nicht leicht mittelbar ist, wird gestrichen. Es wird gestrichen, weil man es nicht verkaufen kann. [...] Es ist der Markt, der den Geschmack vorgibt, und es ist der Markt, der entscheidet." Schade, dass hier so einseitig kategorisiert wird. Denn kommerziell erfolgreiche Musik muss nicht qualitativ minderwertig sein. Und sind nicht auch die von Cotroneo erwähnten Anne-Sophie Mutter und Herbert Karajan kommerziell erfolgreich - von "Imagine" ganz zu schweigen?

Diese vermeintlichen Widersprüche überraschen den Leser und mindern das Lesevergnügen. Zwei hier noch zu erwähnende Passagen des Buchs sind davon nicht betroffen. Die erste enthält ein Zitat von Arthur Schopenhauer: "Weil die Musik nicht, gleich allen andern Künsten, die Ideen, oder Stufen der Objektivation des Willens, sondern unmittelbar den Willen selbst darstellt; so ist hieraus auch erklärlich, daß sie auf den Willen, d. i. die Gefühle, Leidenschaften und Affekte des Hörers, unmittelbar einwirkt, so daß sie dieselben schnell erhöht, oder auch umstimmt. / So gewiß die Musik, weit entfernt eine bloße Nachhülfe der Poesie zu seyn, eine selbständige Kunst, ja die mächtigste unter allen ist und daher ihre Zwecke ganz aus eigenen Mitteln erreicht; so gewiß bedarf sie nicht der Worte des Gesanges, oder der Handlung einer Oper. Die Musik als solche kennt allein die Töne, nicht aber die Ursachen, welche diese hervorbringen."

Die zweite Passage ist ein "Kurzessay" über den Musiker Keith Jarrett. Hier schafft es Cotroneo das zu vermitteln, was ihm scheinbar Intention des Buches war: die Verbindung von Intellekt und Gefühl, von Meisterschaft und Intuition zum Ausdruck zu bringen, und wie diese sich in dem intuitiv komponierten Werkes eines Ausnahmemusikers manifestieren kann. Und wie diese Art des Umgangs mit Musik zu einem Paradigma werden und die Musik damit zu einer Form der Wahrheit machen kann. Wenn überhaupt, dann ist Cotroneo dies auf den letzen Seiten seines Buches gelungen. Manchmal zahlt sich Lektüre eben doch aus. Aber mit den Beatles, mit denen hat das Buch nichts zu tun!


Titelbild

Roberto Cotroneo: Frag mich, wer die Beatles sind. Brief an meinen Sohn über die Liebe zur Musik.
Übersetzt aus dem Italienischen von Karin Krieger.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
160 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 3458173048

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch