Momentaufnahmen des Verfalls

Thomas Rothschilds Kolumnen wider den Zeitgeist

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In tristen Zeiten wie diesen sind traditionelle Zeitschriften und Magazine, die früher einmal den intellektuellen Diskurs bestimmten, an den Rand gedrängt und gezwungen, eine prekäre Existenz zu führen, wenn sie nicht ganz und gar von den Vollstreckern einer engstirnigen Betriebswirtschaft liquidiert werden. Während das einstige Hausorgan der amerikanischen Intelligenzija, die "Partisan Review", vor einigen Jahren kaltblütig in den Orkus verabschiedet wurde, lassen die neuen Besitzer von Medienruinen wie "Village Voice" oder "Kursbuch" ihre erworbenen Objekte würdelos dahinsiechen: Anstatt diese Unternehmen einzuebnen, existieren sie wie Verstümmelte, Zombies oder Mutanten fort. Vor dem Untergang fiel auch die altehrwürdige "Frankfurter Rundschau" sozialdemokratischen Heuschrecken anheim, die nicht allein rigide destruktive Sparmaßnahmen durchsetzten, sondern auch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den gewerkschaftsfreundlichen Chefredakteur Wolfgang Storz über die Klinge springen ließen. Am Ende west eine einstige linksliberale Tageszeitung als Karikatur ihrer selbst vor sich hin.

Nicht zufällig eröffnet der österreichische, seit 1968 in Deutschland lebende Literaturwissenschaftler und Essayist Thomas Rothschild sein Buch "Alles Lüge: Das Ende der Glaubwürdigkeit", das Kolumnen für das Online-Kulturmagazin "Titel" aus den Jahren 2002 bis 2006 versammelt, mit einem Abgesang auf die "Frankfurter Rundschau" als "Zeitung der 68er", die in lange zurückliegenden Zeiten Öffentlichkeit für nicht gesellschaftsfähige Themen schuf. Mittlerweile existiert diese Zeitung nicht mehr - wenn auch weiterhin der Titel auf dem Markt erwerbbar ist. Noch immer steht sie im Ruf, "gewerkschaftsfreundlich" zu sein. "Für freie Mitarbeiter war dieser Ruf nie gerechtfertigt", konstatiert der ehemalige FR-Mitarbeiter Rothschild. "Er verdankte sich gedruckten Kommentaren, gewiss nicht dem Umgang mit Menschen und ihrer Arbeit." Der Raum des kritischen Denkens wird zunehmend verengt, lautet das Resümee Rothschilds.

Neben traditionellen Medien wie Zeitung und Zeitschrift verprellt auch der zunehmend verrottende öffentlich-rechtliche Rundfunk seine letzten Anhänger, "weil er von seinen eigenen Funktionären systematisch und in fast krimineller Weise ruiniert" werde. In einer wunderbaren, an Siegfried Kracauers "Kalikowelt" erinnernden Miniatur über den Verfall der Babelsberger Filmstudios allegorisiert Rothschild die Migration einer geschlagenen Linken zum gängigen Konservatismus des Mainstreams in dem griffigen Terminus "von Ernst Busch zu Tammy Wynette". In Zeiten der Fahnenschwenker erinnert Rothschild daran, dass es eine Illusion sei, "es könne einen Nationalismus ohne Chauvinismus geben". Für solche Meinungen gibt es in den traditionellen Medien jedoch immer weniger Artikulationsmöglichkeiten. "In einer Zeit der immer enger werdenden Publikationsmöglichkeiten in den Printmedien und im Rundfunk", schreibt Rothschild, "in einer Zeit des vorauseilenden Gehorsams junger Redakteure gegenüber Vorgesetzten, Anzeigenkunden und Lesern, die ihnen Schwierigkeiten bereiten oder minimale Konflikte auftischen könnten, angesichts des zunehmenden Zynismus und der Bereitschaft, sich dem Status quo anzupassen, den Mainstream der öffentlichen Meinung zu reproduzieren, statt ihn kritisch zu begleiten und notfalls Widerspruch einzulegen, ist jedes Forum von unbezahlbarem Wert, das unzensierte Meinungsäußerungen ermöglicht."

Dabei ist jedoch das Medium des Online-Magazins lediglich eine Form des Exils, während der reale Kampf um Öffentlichkeit ins Virtuelle verlagert wird. Je mehr kritische Öffentlichkeit in den traditionellen Medien preisgegeben wird, umso mehr verliert die demokratische Gesellschaft an Raum. Am Ende wartet das "blanke Nichts" der Kalikowelt und des nachfolgenden Alptraums der Terrorherrschaft.


Titelbild

Thomas Rothschild: Alles Lüge. Das Ende der Glaubwürdigkeit.
Promedia Verlag, Wien 2006.
159 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-10: 3853712525

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