Wenn Frauen zu sehr lieben

Julia Francks Roman "Liebediener"

Von Julia SchöllRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schöll

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich bin sicher, sein Auto berührte die Frau nicht einmal", fasst Beyla den Vorfall zusammen. Doch die Frau, die von dem roten Wagen nur beinahe berührt wird, springt erschrocken zur Seite und direkt vor die Straßenbahn. Ihr Blut sammelt sich in den Schienen, und noch auf der Straße liegend stirbt sie, gleich auf den ersten Seiten des Romans. Obwohl die Ich- Erzählerin Beyla die Verunglückte kennt - es ist Charlotte, ihre Nachbarin -, sagt sie der Polizei, sie habe nichts gesehen. Den Fahrer des roten Wagens erwähnt Beyla nicht - aus Bequemlichkeit, wie sie erklärt.

Vielleicht wäre die Sache damit erledigt, wenn nicht der Erzählerin auf der Beerdigung Charlottes Wohnung angeboten würde. Und so zieht sie aus ihrer muffigen Kellerwohnung in die luxuriöse Vorderhaus-Wohnung. Dort lernt sie Albert kennen, einen verkappten Musiker mit undefiniertem Broterwerb, der unter ihr wohnt und das Haus des Nachts mit mittelmäßigem Klavierspiel nervt. Doch das stört Beyla schon nicht mehr, denn sie hat sich in Albert verliebt, noch bevor sie ihn richtig kennt. Es beginnt eine Beziehung, in deren Verlauf sich die Frau in immer stärkere emotionale Abhängigkeit begeben wird. So weit, so unklar.

Schon früh hat Beyla die vage Vermutung, Albert könnte der Mann im roten Auto gewesen sein, das Charlotte vor die Straßenbahn trieb. Doch dies stört sie ebenso wenig wie Alberts gelegentliche Schroffheit, sein ausgeprägtes Freiheitsbedürfnis und seine auffällige Weigerung zu telefonieren, wenn sie im Zimmer ist. Dass er sich mit anderen Frauen trifft, bleibt ihr nicht verborgen. Dies alles wird von der Ich-Erzählerin registriert und analysiert. Aber es bringt sie nicht dazu, sich dem musikalischen Helden etwas weniger stürmisch an den Hals zu werfen.

Die Autorin versäumt es, ihrer Hauptfigur ausreichende Handlungsmotivationen mit auf den Weg zu geben. Wir erfahren nicht, aus welchem Grund die Erzählerin der Polizei die Aussage tatsächlich verweigert, warum sie in eine Wohnung zieht, die sie nicht haben will und in der sie sich vor den Vermächtnissen der Toten ekelt. Wir erfahren auch nicht, was an diesem Albert dran ist, dass man ihm bis zur Selbstaufgabe verfallen muss. Dass manche Frauen "zu sehr lieben", ist nichts Neues und wurde von entsprechenden Ratgebern bis zum Überdruss diskutiert. In einen Roman verpackt werden Binsenwahrheiten nicht spannender. Um die unkluge Hingabe zu erklären, muss die Familie herhalten. Die Protagonistin erzählt von einer Mutter, die Prostituierte war und die sie nie kennengelernt hat, sowie einem trinkenden und die Kinder prügelnden Vater, der natürlich ebenfalls Musiker war. Dies alles ist ebenso absurd wie einfach.

Nur an manchen Stellen glückt es Julia Franck, ein kleines Drama aus der Beziehungskonstellation zu inszenieren. Gelegentlich würde man tatsächlich gerne wissen, ob dieser Albert der Mann aus dem roten Auto ist und ob er am Ende seine gerechte Strafe erhalten wird. Leider gelingt es der Autorin nicht, diese Spannung bis zum Ende durchzuhalten. Zu lange zieht sich das Drama hin, zu viele stilistische Unstimmigkeiten begleiten es. Überzeugende Innensichten der Hauptfigur und Binnenerzählungen von subtiler Poesie zerstört sich Franck mit einem Plot, der das psychologische Niveau einer Soap hat. Der Unfall und das Schuld-Problem interessieren die Erzählerin bald weniger als die Frage, mit wem Albert nachts stundenlang telefoniert. Und als am Ende alles ganz anders kommt, als man dachte, will man es schon nicht mehr wissen.

Titelbild

Julia Franck: Liebediener.
DuMont Buchverlag, Köln 1999.
240 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 377014970X

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