Geschrieben wie von Geisterhand
Heide Volkenings innovativer Neuansatz in der Autobiografieforschung
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Dienste eines Ghostwriters werden nicht nur von Politikern gerne in Anspruch genommen, sondern auch von stinkefingernden Sportlern, die zwar früher Fußball spielten, aber darum heute noch lange nicht schreiben können, oder von moderationspöbelnden Ex-Schlagersängern, die je weder Singen noch schreiben konnten. Ghostwriter einerseits und Politiker, Sportler und Schlagersänger andererseits lassen sich dabei in aller Regel leicht auseinanderhalten.
Schreibt der Mensch, von dessen Leben die Autobiografie handelt, diese jedoch tatsächlich selbst, so ergibt sich für die Autobiografik ein methodisches Problem, da sich das Selbst des Autobiografen in ein Selbst, "das der Seite des bios, und in ein Selbst, das der Seite der graphie zugeordnet werden kann", spaltet. Heide Volkening unternimmt nun einen Lösungsversuch, der "Ghostwriting" und die Figur des Ghostwriters als theoretisches Modell entwirft und es ermöglicht, die Frage der Referentialität des autobiografischen Texts nicht nur als zeichentheoretische Problemstellung zu erörtern, sondern sie darüber hinaus literaturtheoretisch, urheberrechtlich und narratologisch zu reformulieren. Hierzu bestimmt sie Ghostwriting als "Schreib- und Lektüremodus, der das Verhältnis von Stimme und Schrift, Erzählen und Zitieren, Verfasser und Figur, Name und Signatur, Leben und Tod in (auto-)biographischen Texten inszeniert".
Die Kategorie des 'Autors' einer Autobiografie durch das Ghostwriting-Modell zu ersetzen, trägt der Autorin zufolge "der Aufspaltung des autobiographischen Subjekts" insofern Rechnung, als sich so nicht nur zwischen Schreibendem und Beschriebenem, sondern auch zwischen Verfasser und Signatur unterscheiden lasse. "Den Ghostwriter in die Autobiographie-Diskussion einzutragen", bedeute daher, "den Fokus auf die Diversität des autobiographischen Subjekts zu legen".
Ein besonderes Augenmerk richtet Volkening auf den Zusammenhang zwischen Autorsignatur und Geschlecht. Handelt es sich bei der Autorsignatur um den Namen einer Frau, werde die Signatur als "Garantin" von Identität und Kontinuität "zusätzlich fragwürdig", da der Name der Autorin "strukturell ein 'falscher' Name" sei, wie Volkening im Anschluss an Barbara Hahn argumentiert.
In zwei ausführlicheren Kapiteln wendet Volkening ihren methodischen Neuansatz auf Gertrude Steins "'Autobiography of Alice B. Toklas'" und Hannah Arendts "Lebensgeschichte" der Rahel Varnhagen an. Da sich beide Werke nicht "nahtlos" in eine "streng gefasste Kategorie der Autobiographie" einpassen lassen, sind sie Volkening zufolge besonders geeignet, "die Implikationen des Ghostwriting" hervortreten zu lassen. So stünden sie einerseits am Rande der Autobiografie, bearbeiteten diese Grenzziehung aber zugleich, indem sie Autobiografie selbst thematisierten.
Überraschenderweise will Volkening mit der Untersuchung der beiden Texte gar nicht so sehr die Anwendung ihres theoretischen Modells erproben, sondern das "Konzept des Ghostwriting" vielmehr nutzen, "um Texte auf ihre narrativen Verfahren und das in ihnen enthaltene Wissen um Autorschafts- und Identitätsthematik hin zu beobachten".
Volkening hat eine durchaus innovative Idee entwickelt. Ob und wie weit sie allerdings trägt, darüber können die beiden Beispiele noch keine verlässliche Auskunft geben. Es gilt also, sie weiter anzuwenden und zu erproben.
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