Neues aus der Aristokratieforschung
Zwei Tagungsbände behandeln den Wandel des südwestdeutschen Adels zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert
Von Mathis Leibetseder
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSchon immer übte der Adel eine enorme Anziehungskraft auf die Vorstellungskraft anderer gesellschaftlicher Gruppen aus. Wie einschlägige Fernsehsendungen und Yellow Press zeigen, ist das auch in der Gegenwart nicht anders. Egal ob das Treiben eines englischen Königssohns oder eines Prinzen von Hannover, ob die Lebensbetrachtungen eines von der Schulenburg oder die Publizistik einer Gräfin Dönhoff, der Adel ist in der Öffentlichkeit nach wie vor präsent und leistet seinen Beitrag zu Unterhaltung und Belehrung. Wen wundert es da, dass auch die Geschichtswissenschaft den Adel als Forschungsgegenstand entdeckt hat.
Der Aufschwung, den die Adelsforschung in den letzten Jahrzehnten genommen hat, zeigt sich in einer Reihe von Tagungen zum südwestdeutschen Adel; Veranstalter sind das Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen und der St. Georgenverein der Württembergischen Ritterschaft. In vier Tagungen und Tagungsbänden wird die Geschichte des Adels im heutigen Baden-Württemberg und Bayern zwischen dem Hochmittelalter und der Gegenwart untersucht. Bereits 2002 ist der erste Band mit dem Titel "Herrschaft und Legitimation" erschienen; nun gilt es zwei Folgebände anzuzeigen, die unter dem Titel "Gelungene Anpassung?" und "Zwischen Stagnation und Innovation" die Zeit zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert behandeln.
Als heuristischen Rahmen geben die Herausgeber des zweiten Bandes die Frage vor, weshalb der Adel "über einen solch langen Zeitraum eine gesellschaftliche Führungsposition behauptet hat"; das "Obenbleiben" des Adels im bezeichneten Zeitraum steht also im Mittelpunkt der beiden Bände. Im Einklang mit der Forschung der letzten Jahre wird dabei davon ausgegangen, dass es eine "Adelskrise" zu Beginn der Neuzeit nicht gab; stattdessen wird nach Strategien gefragt, "mit denen der Adel seine materiellen, vor allem aber auch immateriellen Ressourcen mobilisierte, um seine Position in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen zu behaupten".
Diese Fragestellung wird anhand einer Reihe von Themengebieten verfolgt, die man mit den Schlagwörtern Legitimation, Erziehung, Reisen, Lebenswelt, Verfasstheit und Konfessionswahl umschreiben könnte. So findet der Leser einiges über die Sozialisation adliger Jungen und Mädchen im 14. und 15. Jahrhundert, über die Auswirkung des Universitätsstudiums auf die Karrieren des geistlichen Adels sowie über Wallfahrten und Kavalierstouren. Andere Beiträge untersuchen, wie der Adel über bestimmte Werte und Erinnerungstechniken oder aus landesherrlicher Machtfülle heraus als Stand definiert und legitimiert wurde, wohingegen andere herausstellen, dass der Adel dem entstehenden Geld- und Kapitalmarkt keineswegs so ablehnend gegenüberstand, wie lange angenommen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Beiträge, die den Motiven für die Konfessionswahl einzelner Adeliger oder ganzer Adelsfamilien nachspüren.
Das Spektrum der behandelten Themen ist also beachtlich. Ein Überblick über die Geschicke des süddeutschen Adels im fraglichen Raum kann sich deshalb nicht ergeben und lag wohl auch nicht in der Absicht der Herausgeber. Bedauerlich bleiben die zahlreichen kleineren handwerklichen Mängel, die gerade den Autoren der Artikel zum 15. und 16. Jahrhundert unterlaufen sind; so werden beispielsweise Begriffe wie "Leitbild", "Modernisierung" usw. völlig unreflektiert aus der Alltagssprache übernommen und können daher ihre heuristische Funktion nur unzureichend erfüllen. Deshalb hinterlässt die Lektüre einen bestenfalls zwiespältigen Eindruck: Die Beiträge sind zwar teilweise nicht besonders sorgfältig gearbeitet, können aber unserem Bild vom Adel in der frühen Neuzeit trotzdem einige Details hinzufügen und stellen den Anschluss der landesgeschichtlichen Forschung an aktuelle Fragestellungen her.
|
||||