Der komische Kafka
Nicolas Mahler hat „Kafka für Boshafte“ ausgewählt und gezeichnet
Von Wilfried Ihrig
Der österreichische Comic-Zeichner Nicolas Mahler arbeitet für deutsche, österreichische und schweizerische Zeitungen und Zeitschriften. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2010 mit dem Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic-Künstler, 2015 mit dem Preis der Literaturhäuser. Thomas Bernhards Alte Meister (2011) war Mahlers erster Literatur-Comic in Buchform. Es folgten Musils Der Mann ohne Eigenschaften (2013), Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (2017), Ulysses (2020) von Joyce und andere.
Es wurde schon festgestellt, Mahlers Werke wären minimalistisch. Das trifft den Zeichenstil und die Verwendung von Texten. Die Literatur-Comics sind nicht nur formal minimalistisch, es sind minimalisierte ‚große‘ Werke der literarischen Moderne. Er wählt Werke, die sich von der traditionellen Form des Romans gelöst, aber die Vorstellung des Meisterwerks bewahrt haben, im bildungsbürgerlichen Kanon neben große Werke der Tradition gesetzt wurden. Wie manche Graphic Novels untergraben Mahlers Literatur-Comics die nahezu unzugängliche Autorität dieser Werke, um mit einer minimalisierten Adaption mehr Leser zu gewinnen. Wenige Menschen haben Musil, Proust und Joyce gelesen. Die Literatur-Comics sprechen ein Publikum an, das über sie einen Zugang zu Meisterwerken der Moderne findet.
Die Entzauberung der Welt ist immer schon eine Voraussetzung für die Werke der literarischen Moderne, Literatur-Comics entzaubern auch die modernen Werke. Was an ihnen noch Fetisch für das Bildungsbürgertum war, wird nicht in Comics übertragen. Man könnte, wie Adorno, zu bedenken geben, dass damit die Position der Werke als kritische Antithese zur Kulturindustrie geschwächt wird, aber es scheint möglich, dass ein Gewinn an Volkstümlichkeit diesen Verlust aufwiegt. Auch ist die intellektuelle Anstrengung, die es kostet, einen Roman wie Ulysses in eine durch die Generation der Comic-Leser rezipierbare Form zu minimalisieren, nicht zu unterschätzen. Die Zahl der Leser des Romans wird dadurch nicht kleiner, vielleicht größer, weil manche angeregt werden, den Roman zu lesen.
Ein Jahr vor dem Kafka-Jahr hat Mahler zwei Bücher zu Kafka vorgelegt, der als Klassiker der Moderne in der deutschsprachigen Literatur nahezu konkurrenzlos wirkt, meist auf eine Ebene mit Proust und Joyce gestellt. Es sind die Comic-Biographie Komplett Kafka (2023) und die Blütenlese Kafka für Boshafte (2023). Kafkas erste Comic-Biographie hat Robert Crumb gezeichnet, der berühmt-berüchtigte Künstler für US-Underground-Comics. Das Buch wurde international und in vielen Ausgaben publiziert; die Erstausgabe hatte den Titel Kafka for Beginners (1993). Die Worte ‚for Beginners‘ standen für die Reihe, in der das Buch erschien, eine Reihe wie die deutschen Bücher ‚für Dummies‘. Mahler hat mit Komplett Kafka die zweite Comic-Biographie Kafkas verfasst, der Titel Kafka für Boshafte wurde vielleicht von Crumb angeregt. Aber Mahler erinnert an den englischen Titel nicht mit einer Comic-Biographie, stattdessen, dem Reihentitel angemessen, mit einem Buch für eine bestimmte Lesergruppe: Boshafte statt Beginners.
Boshafte Leser Kafkas wären fähig, eine spezifische Komik in Kafkas Texten zu erfassen. Kafka als komischen Autor zu lesen, ist keineswegs selbstverständlich. Als André Breton Texte von Kafka in die Anthologie de l’humour noir (1939), die Anthologie des schwarzen Humors (deutsche Ausgabe 1979), aufgenommen hat, wählte er Die Verwandlung, Eine Kreuzung und Die Brücke. Nur wenige Autoren ließ er ausführlicher zu Wort kommen. Die Anthologie wurde übersetzt, vermutlich ohne Wirkung auf die Rezeption Kafkas in deutschsprachigen Ländern, auch Mahler nennt sie nicht. In Deutschland gilt Kafka noch immer als ernster, alles andere als komischer Erzähler. Aber schon Max Brod hatte berichtet, Kafka hätte, als er aus dem Roman Der Prozeß las, öfter vor Lachen nicht weiterlesen können. Der Klappentext zu Mahlers Buch erinnert an Brods Bericht und kündigt Kafka als „witzigen Beobachter und hemmungslosen Spötter“ an.
Mahler hat boshaft-komische Worte Kafkas gesammelt, kurze Zitate, überwiegend aus Briefen und Tagebüchern, unter eine Überschrift gesetzt, die manchmal aus den Zitaten stammt, manchmal von Mahler formuliert ist. Der Band enthält Überschriften, die Zitate ohne Illustration ankündigen, zu vielen Zitaten findet man eine Illustration auf derselben Druckseite, viele Illustrationen sind ganzseitig, aber einem Text zugeordnet. Jeder Überschrift folgt nur eine Textseite, ein Inhaltsverzeichnis gibt es nicht.
Unter der Überschrift „Viele Lehrer“ findet man: „ich verbrauchte viele Lehrer, ja sogar einige Lehrer gleichzeitig“. Liest man Kafka, wird man die Formulierung vermutlich flüchtig überlesen, vielleicht als verzweifelte Zerknirschung über mangelhafte schulische Leistungen deuten. Liest man Mahler, verspürt man den Reiz, schadenfroh zu lachen, boshaft, darüber, wie erfolglose Lehrer verschlissen werden. Man braucht nur zu überlegen, wie es wäre, wenn Kafka diese Worte liest, oder, da man nicht weiß, wie er gelesen hat, wie komisch diese Worte wären, wenn ein Kabarettist, dessen Vortragsweise vertraut ist, sie formuliert hätte. Mahler hat, unter der Überschrift „Bühnensketch“, an einen Brief an Brod erinnert, in dem Kafka klagt, er wäre niemals in „Kabarettstimmung“ gewesen, weil er viel zu leise wäre, verglichen mit den „Stimmkanonen“ des Kabaretts. Vielleicht ist Kafka die Kleinkunst nur zu unauffällig, gleichzeitig aber auch zu groß geraten, um als komisch wahrgenommen zu werden. Wenn man sich Kafka nähert, fehlt das Bewusstsein, dass er komisch geschrieben haben könnte. Mahler stellt es her.
Er führt auch komplexere Texte vor. Ein typisches Beispiel für Kafkas Umgang mit Logik und Fiktion findet sich unter der Überschrift „Gefängnis“: „Mit einem Gefängnis hätte er sich abgefunden. Als Gefangener enden – das wäre eines Lebens Ziel. Aber es war ein Gitterkäfig. Gleichgültig, herrisch, wie bei sich zuhause strömte durch das Gitter aus und ein der Lärm der Welt, der Gefangene war eigentlich frei, er konnte an allem teilnehmen, nichts entging ihm draußen, selbst verlassen hätte er den Käfig können, die Gitterstangen standen ja meterweit auseinander, nicht einmal gefangen war er.” Es ging Kafka nie um Psychologie, psychologisierendes Geschwätz hat er mit den Worten „Nie wieder Psychologie“ zurückgewiesen. Er schreibt keinen tragischen Kitsch, er setzt eine Fiktion, um sie zu dekonstruieren, umwerfend komisch, wenn man die sprachliche Logik bedenkt, die eine Fiktion ins Irrelevante führt wie einen Gedanken ad absurdum. Mahler lehrt, Kafkas logische Muster komisch zu finden.
Dazu illustriert Mahler (wie im gesamten Werk in einem Zeichenstil, der die Rezeption von Kafkas Zeichnungen erkennen lässt) ein hageres Männchen. Es blickt zwischen zwei Senkrechten, die nur durch den Text als Gitterstäbe kenntlich sind, zwischen denen er vielfach Platz hätte, in Richtung Leser, die personifizierte Unentschlossenheit. „Kafkas Witzzeichnung“ hat Mahler ein Zitat aus einem Brief an Milena betitelt, mit dem Kafka eine Zeichnung verschickt und zugleich beschrieben hat. Kafka für Boshafte verbindet komische Zitate mit komischen Zeichnungen, boshaft wie Kafka selbst. Die minimalistischen Illustrationen sind unbeschreiblich ausdrucksstark.
Kafka größtes Problem war die Krankheit, die Tuberkulose, deshalb auch die Erfahrung mit der Medizin. Mahler läßt ihn boshaft formulieren: „Gewiß, die Ärzte sind dumm […], ihre Prätentionen sind lächerlich. immerhin, damit muß man rechnen, daß sie von dem Augenblick an, wo man sich mit ihnen einläßt, immer dümmer werden.“ Die körperliche Krankheit prägte Kafkas Leben und Werk. Wenn er klagt, er sei zu müde, um zu schreiben, was Mahler mit den tragikomischen Tagebuchauszügen „1912“ darstellt, ist das nicht nur ein individueller Zustand, es ist die Verfassung aller tuberkulosekranken Autoren jener Zeit. Man kennt das Müde auch von Hans Kaltneker, Klabund, Friedrich Wilhelm Wagner. Was Kafka ihnen gegenüber auszeichnet, ist, dass er die Erfahrung der Krankheit und der Dummheit der Ärzte für Boshafte erfahrbar macht.
Kafka für Boshafte ist auch ein Kafka for Beginners, ein unscheinbares Bändchen, aber erstaunlich überzeugend. Minimalistisch gedacht, versammelt es nicht alle boshaften Zitate – es regt den Gedanken an, dass man unzählige finden kann. Nach der Lektüre wird man überlegen, was an anderen Texten komisch ist, etwa am ersten Kapitel des Romans Der Prozeß, das Kafka vor Lachen fast nicht lesen konnte. Jeder Literaturkritiker hat Kafka gelesen, viele werden nie gelacht haben. Der Rezensent fand Kafkas Formulierungen nie derart komisch wie in Kafka für Boshafte, noch nicht einmal in der Anthologie de l’humour noir von Breton.
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