Zoo in Rom, Zoo im Roman

… und eine Romanze im Zoo: Pascal Janovjak erzählt in „Der Zoo in Rom“ von Tieren und Touristen

Von Jan RheinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Rhein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einem oft zitierten Aufsatz von Michel Foucault zufolge handelt es sich bei Orten wie Klöstern, Gefängnissen, Museen oder Zoos um espaces autres – „realisierte Utopien“ und dem Alltagsverkehr entzogene Räume mit eigener Zeitordnung. Der Clou von Pascal Janovjaks Roman, der sich dem Zoo von Rom seit seiner Gründung im Jahr 1911 widmet, besteht nun darin, diesen Ort gerade nicht als mit allerlei Bedeutung aufgeladene Gegenwelt zu zeigen: Der Zoo ist ein ganz und gar diesseitiger, jederzeit in seiner jeweiligen Gegenwart verankerter Raum, der die Außenwelt nicht vergessen lässt, der geprägt ist von den gerade herrschenden Machthabern und Moden und in dem Kolonien und Kriege ihren Niederschlag finden. 

Das Wechselspiel von Zoo und Welt bringt eine Vielzahl prägnanter Episoden hervor, die einen großen Teil des Buchs ausmachen: So wird der Zoo unter Benito Mussolini zum Spielball im geopolitischen Machtkampf – die neue Voliere soll mindestens so prächtig sein wie die Kuppel des Pariser Pantheons; doch 1943 wird sie von einem Bombensplitter getroffen, wobei ein Seidenreiher zu Tode kommt. In den 1970ern protestieren Tierschützer vor der Anlage und im neuen Jahrtausend wird ein einsamer Ameisenbär zum Internet-Meme. Tempi passati, wie ein alter Zoowärter im Roman einmal sagt. 

Solche historischen Schlaglichter, kaum einmal länger als ein bis zwei Seiten, werden in Parallelmontage mit einer in ebenso knappen Kapiteln erzählten Handlung auf der Gegenwartsebene zusammengeführt – wobei erstere im Präsenz erzählt sind und letztere größtenteils in der Vergangenheit, was einen interessanten Effekt erzeugt. Im Mittelpunkt der Gegenwartshandlung steht vor allem die Marketingfrau Giovanna, die den Zoo für neue Kundenschichten öffnen soll, und ihre kurzzeitige Affäre mit dem mysteriösen algerischen Architekten Chahine. Gerade auf dieser Gegenwartsebene bleiben die Figuren seltsam blass und viele Szenen haben für sich genommen eher Unterhaltungsroman-Niveau („Giovannas Hand krallte sich um den Stift. Was erlaubte dieser kleine Zoologe sich, ihr Ratschläge geben zu wollen?“). Teilweise wirken die Figuren wie Abziehbilder, und so soll es wohl auch sein. Zuviel Nuancierung würde von dem Ort und seinen Bewohnern ablenken.

Außerdem kommt so die Welt-als-Zoo-Metapher besser zum Tragen, die dem Autor ausgesprochen wichtig ist (und die er vielleicht etwas überstrapaziert): Der deutsche Zoohändler und -betreiber Carl Hagenbeck, ehemaliger Ausrichter von Völkerschauen und Konstrukteur des Zoos, zeigt die Tiere in einem natürlichen Umfeld, ohne Absperrgitter, stattdessen hinter Wassergräben. Irgendwann werden dann doch Gitter errichtet und um die Jahrtausendwende ersetzt man sie durch Glasscheiben. Mensch und Tier können sich nun zwar besser sehen, aber dafür nicht mehr riechen. Das ist ein dankbares Bild für den schwindenden Weltbezug des modernen Menschen, der hier das wahre Beobachtungsobjekt ist. Immer wieder schauen die Figuren sich zu oder an, hinter Glas oder von einem Hügel herab, man bestaunt die Stars, die sich im Zoo blicken lassen und „völlig frei herumlaufen“. Und auch der Erzähler legt immer wieder einen Ethnologenblick an den Tag: „Da es […] fürs Erste nichts sonderlich Interessantes zu entdecken gibt, können wir uns die Zeit nehmen und uns diesen Wächter etwas genauer ansehen.“ 

Dagegen führt die Natur bei aller Einhegung und Vereinnahmung ihr Eigenleben, versinnbildlicht durch einen einsamen Tamandin, eine besondere Form des Ameisenbärs, der letzte Überlebende seiner Art. Der wird für den Zoo in etwa das, was die Mona Lisa für den Louvre ist: Ob seiner Prominenz lassen die Besuchermassen alles Andere links liegen, sein Reiz ergibt sich aus seiner Seltenheit und seiner Prominenz, man will ihn sehen, weil man ihn gesehen haben muss. Auf dem Plan des Zoos ist der Bär als „ausgeschnittene Silhouette, eine Leerstelle im Papier“ abgebildet. Das passt zu seiner Rolle im Roman: Das Tier sitzt den Rummel aus und bildet eine Art leeres Zentrum des Zoos und der Erzählung. So lässt der Erzähler ihm – wie den anderen Tieren – ein Stück weit ihr Geheimnis: „Was in ihnen und durch sie überdauert, ist alles, was nirgendwo geschrieben steht – was kein Chronist erfassen kann, was unter der äussersten Hülle der Berichte brummt, was aus dem Schatten knurrt.“ Das ist schön gesagt – und auch ansonsten bringt die Übersetzung den Roman sehr elegant ins Deutsche.

Titelbild

Pascal Janovjak: Der Zoo in Rom. Roman.
Aus dem Französischen von Lydia Dimitrow.
Lenos Verlag, Basel 2021.
272 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783039250035

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