Was lauert hinter der glatten Oberfläche?

In seiner Erzählsammlung ,,Der böse Mensch“ sucht der junge Autor Lorenz Just nach dem Kern des Bösen, doch findet er nur Geschichten, die nirgendwo hinführen

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Böse ist ein großer Begriff. Es wohnt, so munkelt man, im Menschen, und kann jederzeit zum Leben erweckt werden. Oder, auch dies eine Spekulation, ist das Böse etwas, das via dessen Sozialisation im Menschen keimt? Ob man sich nun mit dem Nationalsozialismus, lateinamerikanischen Diktatoren, willkürlichen Serienmördern oder mit einer metaphysischen Manifestation des Bösen auseinandersetzt: Sein Reiz ist unbestreitbar, sonst würden ganze Genres wie die Kriminal- oder die Horrorliteratur nicht existieren. In den Schriften des amerikanischen Kulturwissenschaftlers Eugene Thacker, dies nur als aktuelles Beispiel, wird etwa nach einem Weg gesucht, die Lust am (metaphysischen) Bösen im Sinne einer Theorie der Grenzüberschreitung zu kontextualisieren und dies in kulturellen Texten zu verhandeln. Haben wir es hier mit einem solchen Werk zu tun?

Zumindest ist die Erwartungshaltung an einen Erzählband, der sich diesem Thema – glaubt man zumindest dem Werbetext des Verlags – widmet, relativ hoch. Immerhin hat ja Roberto Bolaño mit seinem epischen Werk 2666 bereits den ultimativen Roman über die unheimliche Macht des ,,absoluten Bösen“ im 21. Jahrhundert verfasst. Davon sind die Texte in Justs Debüt meilenweit entfernt. Bereits die erste Erzählung strotzt vor Klischees: Ein Mann liegt in Deutschland in einer Badewanne und sinniert über seine Vergangenheit. Erst sind es nur Gedankenfetzen, dann werden die Zusammenhänge langsam deutlicher. Allem Anschein nach handelt es sich um einen geflüchteten afrikanischen Soldaten, der zahlreiche brutale Morde befohlen oder ausgeübt hat. Reue zeigt er keine, er befindet sich in Sicherheit, für seine deutschen Nachbarn ist er der freundliche Schwarze von nebenan. In Zeiten von unsichtbaren Schläfern und mutmaßlichen islamistischen Terroristen, die sich angeblich zuhauf in unserem Land verstecken, eine zumindest zweideutige Botschaft, aber das würde man Just gar nicht zum Vorwurf machen, wenn die Erzählung denn funktionieren würde.

Es geht ähnlich, wenn auch noch kryptischer weiter: Kleine, nicht selten mit einem Hauch Surrealismus gespickte Geschichten aus dem deutschen Alltag, mit Figuren, die auf irgendeine Weise – zumindest leiten einen der Titel und die Verlagsinfo dorthin – das Böse in sich spüren, entdecken oder verbergen wollen. Meist aber ist es überhaupt kein Thema. Das macht diese Geschichten einerseits ziemlich langweilig, weil einfach nichts passiert (was man einer short story aber natürlich niemals vorwerfen darf), andererseits geht ein seltsamer, weil tatsächlich Bolaño-esker Reiz von ihnen aus, da man einfach viel mehr erwartet, als da tatsächlich erzählt wird.

Das beste Beispiel hierfür ist die über mehrere Generationen greifende Lebensgeschichte eines Apothekersohns, der einfach nur die Rolle seiner Vorfahren in Bezug auf Gesellschaft und Familie berichtet, von der Zäsur durch das Dritte Reich abgesehen, eine durchschnittliche deutsche Familie. Und trotzdem fragt man sich – natürlich vor allem dank der gelenkten Leseerwartung – was hier nicht stimmt, wo das Böse lauern könnte, was für ein Geheimnis diese (wie auch jede andere in diesem Band publizierte) Geschichte in sich tragen könnte. Die Wahrheit ist leider: Meist findet man es nicht. Das lässt zwei Schlussfolgerungen zu. Entweder es handelt sich bei diesen Erzählungen – die übrigens, das ist ganz interessant, teilweise miteinander verknüpft sind – um wahrhaft komplexe literarische Texte, hinter denen ein Grauen lauert, das von der nur schwer zu durchdringenden glatten Oberfläche auf kunstvolle Weise getarnt wird. Oder aber es handelt sich um halbgare psychologische Fallbeispiele, bei deren Lektüre man sich deswegen so schwer tut, weil man irgendwann zu der Erkenntnis kommt, das wenig bis nichts dahintersteckt. Eine schwere Entscheidung.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Lorenz Just: Der böse Mensch. Erzählungen.
DuMont Buchverlag, Köln 2017.
175 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783832198794

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