Eine alte Mesalliance

Jens Kastner gibt einen Überblick zu „Die Linke und die Kunst“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Befreiungskampf wird zwar viel gesungen, aber ansonsten hatte die Kunst in der Linken über lange Zeit keinen besonders guten Stand, auch wenn sie sich selbst gern und auffällig dem Wahren, Guten, Schönen an den Hals geworfen hat. Und zu diesem Dreigestirn ist das Gerechte durchaus hinzuzuzählen. Die Kunst seit 1900 hatte deshalb eine gehörige Affinität zur Linken, frei nach Heinrich Manns Diktum (aus dem Jahr 1911), dass ein „Intellektueller, der sich an die Herrenkaste heranmacht“ „Verrat am Geist“ begeht, was auf Kunst und Künstler zu übertragen ist. Die Expressionisten haben diesen Satz Heinrich Manns geliebt.

Denn um Gerechtigkeit geht es der Linken ja offensichtlich, was eben in der Formel der „Freiheit vom…“ wiederkehrt. Den gerechten Teil am Wohlstand zu beanspruchen, den eine Gesellschaft erwirtschaftet, mag zwar für Linke etwas anderes bedeuten als für ihre Widersacher. Unter den Bedingungen aber, unter denen ihr wohl liebstes Objekt, das Proletariat, seit seiner Entstehung seine Existenz zu fristen hat, kann kein Zweifel daran bestehen, dass der gerechte Teil an allem, was es in einer Gesellschaft zu verteilen gibt, deutlich größer gewesen wäre, als das, was den – wie es denn auch polemisch in der einschlägigen Terminologie benannt wird – produktiven Klassen zugestanden worden ist. Übertragbar ist das auf andere Gruppen ohne weiteres.

Zwar mag der Leidensdruck in den arbeitenden Klassen der Industriegesellschaften heute deutlich geringer sein als noch um 1900. Berichte von Kurt Eisner, Erich Grisar oder Graf Alexander Stenbock-Fermor zeigen, unter welchen Bedingungen der Wohlstand der bürgerlichen Schichten Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts speziell in Deutschland erwirtschaftet wurde. Aber das lässt sich wohl vor allem darauf zurückführen, dass das, was an Produktion noch in den Industriegesellschaften angesiedelt ist, unter privilegierten Bedingungen geschieht, während die Leidenszone in die Produktionsstätten in Asien verlagert worden ist. Und selbst der Wegfall von Produktion ist vom Postoperaismus ja schon mitgedacht worden.

Unter solchen Bedingungen sind Klassenkämpfe zu erwarten, Aufstände, Revolten, ja Revolutionen. Kunst muss dabei freilich randständig bleiben, außer vielleicht als Kampflied. Zwar hat Eisner bereits darauf verwiesen, dass Kunst und Kultur um 1900 den wohl fruchtbarsten Boden unter Proletariern gefunden hätten, während das Bürgertum seine Kunst-Ambitionen auf die Sonn- und Feiertage verlagert habe und dabei ein wenig kunstfaul geworden sei. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Kunst in der linken Theorie und politischen Praxis marginal geblieben ist und sich auf eine dienende Funktion zurückgezogen hat. Gute – linke – Kunst ist das, was der Bewegung im Klassenkampf dient. Alles andere ist Spielerei, lässt sich nicht ernst nehmen und mal nebenbei mit dem Formalismus-Etikett versehen schnell entsorgen. Freiheit der Kunst und Mitarbeit an der Befreiung – beides zugleich geht nicht.

Und dennoch kann die Linke die Finger nicht von der Kunst lassen, wie sich die Kunst der Linken eben auch gern an den Hals wirft. Eine schlimmere Verbindung zwischen zweien, die nicht zueinander zu passen scheinen, aber nicht voneinander lassen können, ist kaum vorstellbar. Der Wiener Soziologe und Kunsthistoriker Jens Kastner hat nun zu dieser misslichen Verbindung eine ungemein lehrreiche und lohnende Beschreibung, die – ganz vorneweg gesagt – jedem, dem das Thema zusagt, ans Herz gelegt werden soll. Dabei hat er sich nicht nur auf die konventionelle Linke und auf die kämpfenden Bewegungen der Vergangenheit beschränkt, sondern die Identifizierung dessen, was links ist, mit dem Widerstand, wenn nicht Aufstand gegen die jeweils herrschenden Verhältnisse bis in die Gegenwart prolongiert. Und da kommt dann an Ansätzen, intellektuell und kämpferisch, zusammen, was bis heute, und gerade in letzter Zeit erneut heftigst bewegt. Die Aktualisierungen des Basisschemas reicht bis in die feministische, post- und dekoloniale und schwarzen Befreiungsbewegungen und in die postoperaistischen Ansätze hinein.

Dabei ist festzuhalten, dass Kastner neben Theorien, die sich bestimmten Befreiungskämpfen zurechnen lassen, auch theoretische Ansätze hinzuzieht, die als – antiquiert ausgedrückt– freischwebende Theorien nur noch bedingt an soziale Gruppen anknüpfen. Kritische Theorie, situationistische Internationale, materialistische Theorien oder Poststrukturalismus sind im Wesentlichen intellektuelle und akademische Denkmuster, denen zwar das Momentum der Freiheitsbewegung nicht völlig verloren gegangen ist, die aber nicht wesentlich massenbasiert sind. Das kann man von den postkolonialistischen oder feministischen Ansätzen eben nicht sagen, auch wenn ihre Repräsentanten vor allem akademisch angebunden sind.

Auch hat Kunst in den neueren Bewegungen einen deutlich höheren Stellenwert als noch in der Arbeiterbewegung um 1900, die zwar fleißig die lyrischen Ketten rasseln ließ und sich auch literarisch kämpferisch gab, aber die Kunst eigentlich doch eher in den Freizeitbereich, wenn nicht in die Feiertagsgestaltung verwies. Wenn sich die Arbeiterbewegung emanzipieren wollte, dann musste sie dieses bürgerliche Muster auch noch kopieren.

Wie funktionalistisch das Verhältnis der traditionellen Befreiungsbewegungen zur Kunst war, sieht man nicht zuletzt an der Doktrin des Sozialistischen Realismus und an den heftigen Formalismusdebatten der Nachkriegszeit. Kunst als Wert aus sich heraus war nicht Sache der Arbeiterbewegung, der Linken, des Feminismus usw. Das sieht für neuere Bewegungen ganz anders aus, auch und gerade wo sie an Errungenschaften der Arbeiterbewegung wie an die Agitprop-Verfahren der 1920er Jahre anknüpften und sie weiterentwickelten. Das geht bis in die Gegenwart, in der Kunst für zahlreiche der neueren Bewegungen primäre Ausdrucksform ist. Freilich, wenn man dann näher hinschaut und Theorie hinzukommt, rückt sie dann meist wieder ins Glied.

Wie Kastner zeigt, bleibt das Reibungsverhältnis bestehen, allerdings konstatiert er drei Brüche im Verhältnis der Linken zur Kunst. Der erste Bruch ist die Abwendung vom Widerspiegelungsdiktum der frühen Kunsttheorie der Arbeiterbewegung, für die vor allem der ungarische Philosoph Georg Lukács stand, dessen Einfluss bis weit in die 1960er Jahre reichte. Der zweite Bruch, oder eher die zweite Stufe der theoretischen Ausdifferenzierung ist die Trennung in eine marxistische Ästhetik einerseits und eine materialistische Kunsttheorie, die eben nicht mehr vom Einzelwerk ausgehen wollte, sondern dessen Reproduzierbarkeit und vor allem den Rahmen, in dem etwas zur Kunst wird, in den Blick nahm, den Künstler, das Museum, die Auszeichnung eben. Zum dritten folgte dann logischerweise der Schritt, die soziale Institution Kunst mitzudenken, das Privileg von Kunstproduktion und -rezeption zu reflektieren, wofür etwa die Studien Pierre Bourdieus die Basis gelegt haben. Auf diese Weise gerät etwa der bestehende Kunstbetrieb in der postkolonialen aber auch in der feministischen Theorie zu einem Hort der jeweiligen hegemonialen Kultur, also der weißen oder männlichen. So wird die Fokussierung des Kunstbetriebs auf die Hochkunst als männlich und weiß geprägte Bewegung verstanden, die weibliche oder schwarze Kunstformen als Kunsthandwerk diskreditiert und aus dem Kunstbereich ausgegrenzt habe. Aby Warburg hätte daran wahrscheinlich seine Freude gehabt.

Womit dann auf ein Grundproblem der linken Kunstansätze zu kommen wäre, das sich von Anfang durchzieht, nämlich auf die Frage, ob der Kampfansatz essentialistisch oder kulturell geprägt ist. Soll heißen: Eine Bewegung, die eine bestehende Struktur als Ausdruck der hegemonialen sozialen Gruppe versteht, will sich und seine besonderen Auszeichnungen durchsetzen, ggf. sogar an die Stelle der bisherigen hegemonialen Kultur setzen. Also eine männliche durch eine weibliche Kultur ersetzen, oder eine weiße durch eine farbige und so weiter. Voraussetzung hierfür ist eben die ontologische Qualität der Ausstattung weiß oder schwarz, weiblich oder männlich und eben nicht, dass sie kulturelle und damit veränderbare Auszeichnungen sind. Das reicht bis in die gesellschaftlichen Strukturen hinein, die in diesem Ansatz zerstört und durch eigene, neue ersetzt werden müssen, was jedoch durch eine theoretische Bewegung suspendiert wird, in der die jeweilige randständige oder beherrschte Gruppe um Anerkennung ihrer Leistungen im bestehenden System kämpft. Der Kunstbetrieb steht dabei zwar immer noch als hegemonial charakterisiert da, muss zugleich jedoch als so flexibel verstanden werden, dass er die Peripherie (vermeintlich oder wirklich) integrieren kann und dabei die sonst berücksichtigte Auszeichnung von Geschlecht und Hautfarbe ignoriert.

Indem eine solche Anerkennung als Absorption, als Enteignung verstanden wird, in der die jeweilige originale Bewegung um ihre eigenständige Kultur gebracht wird, findet im selben Moment wieder eine theoretische Reflexion statt. In der Populärmusik wird dies etwa am Beispiel der von Schwarzen entwickelten Richtungen diskutiert, die eben nicht nur in den Mainstream eingebracht, und damit von Weißen akzeptiert, sondern auch von weißen Musikern übernommen wurden. Dem widersetzt sich ein ontologischer Ansatz, indem er solche Aneignungsbewegungen zu unterbinden sucht.

Mit anderen Worten, die linken Bewegungen und ihre Beziehung zur Kunst bleiben in einem widersprüchlichen Verhältnis nicht nur zueinander, sondern eben auch zur Welt, zur Kultur, zur Gesellschaft und damit zu Kunst verhaftet, was derzeit in den heftigen Diskussionen über rassistische Strukturen in den Industriegesellschaften im Zusammenhang mit den Black Lives Matter-Protesten erkennbar wird.

Die Konfrontation von schlagwortartig identitären versus liberalen Ansätzen in der Diskussion erlebt gerade eine nie geahnte Heftigkeit, die massive Wellen bis in das politische Tagesgeschäft, aber eben auch in die Kunst schlägt, von vorgeblich rassistischen Szenen in Otto – Der Film über die möglicherweise zweifelhaften Überzeugungen eines Immanuel Kant bis hin zu den geforderten Untersuchungen über rassistische Vorurteilsstrukturen bei Polizeibehörden. Da bleibt nur zu ergänzen, dass der Verfasser dieser Zeilen als weißer, alter Mann eher den liberalen Ansätzen zuneigt, die allerdings keinen Zweifel an der Berechtigung der verschiedenen Emanzipationsbewegungen aufkommen lassen wollen. Aufklärung, hat der soeben genannte Herr Kant in einem anderen Zusammenhang verlauten lassen, ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Das bleibt ein Auftrag, dem niemand genügen, aber auch niemand entgehen kann.

Titelbild

Jens Kastner: Die Linke und die Kunst. Ein Überblick.
Unrast Verlag, Münster 2019.
299 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783897712713

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