Die Geschichte vom fleißigen Robert

Der „Kleine Gernhardt“ lässt ein großes Dichterleben Revue passieren

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anlässlich seines Todes im Jahr 2006 konstatierte die Titanic-Redaktion, Robert Gernhardt sei „vollkommen zu Unrecht“ gestorben, und diesem Befund ist anno 2017 eigentlich nichts hinzuzufügen. Der Dichter ist sehr zu Unrecht weiterhin tot, aber der S. Fischer-Verlag leistet gute Arbeit bei der Verwaltung des Gernhardt’schen Nachlasses und hat bereits so manchen Schatz gehoben, verstreute Publikationen zwischen zwei Buchdeckel gepresst oder – wie jetzt – im Archiv gewühlt.

Den Kleinen Gernhardt nahm der Autor wenige Jahre vor seinem Tod in Angriff, ohne ihn abschließen zu können. Gernhardt war vom Sichten seiner vielen, im Laufe eines Dichterlebens mit Notizen, Erinnerungsfetzen und Gedichtentwürfen gefüllten Notizhefte zu einer alphabetisch sortierten Stichwortsammlung angeregt worden, deren erste Lemmata er noch selbst zusammentrug und füllte. Andrea Stoll hat diesen Grundstock im Zuge einer größeren biografischen Arbeit zum Autor mit Material aus den ,Brunnenheften‘ erweitert. Herausgekommen ist keine konventionelle ab-ovo-Schilderung eines bunten Dichterlebens (auch wenn der Verlag das Projekt als eine Art Autobiografie bewirbt), sondern eine äußerst persönliche und berührende, selbstverständlich aber auch – immerhin ist hier von Gernhardt, dem Herzen der Neuen Frankfurter Schule, die Rede – eine außerordentlich komische Anthologie aus Reminiszenzen, Erlebnissen und Gedankenspielen.

Launig sortierte Zettelkasten-Bände dieser Art muss man mögen, um am Kleinen Gernhardt Freude zu haben. Nur wenige der Einträge sind länger als drei Seiten; in vielen Fällen werden lediglich ein paar Sätze unterwegs aufgeschnappten Dialogs oder ein paar Verse im Entwurfsstadium mitgeteilt, bei einigen Transkriptionen bleiben Zweifel und Unleserliches bestehen, die der vorbildlich edierte Band allerdings niemals übertüncht. Die alphabetische Anordnung erweist sich als faires Arrangement. Gernhardts Erlebnisse beim Bahnfahren gesellen sich zwanglos zu Erinnerungen an seine geliebte Toskana, es kommt zu Begegnungen am Rande von Lesungen (die, oh schmachvoll gekränkte Dichterseele, zum Verdruss des Autors längst nicht immer so gut besucht sind wie die von Harry Rowohlt und Max Goldt), zu zaghaften Betrachtungen über dankbar erlebtes Eheglück sowie Einblicken in Gernhardts Wohnbiografie: Gewitzt schildert der an Theodor W. Adorno Geschulte, er habe vor 1968 „uneigentlich“ gewohnt, und nach der Lektüre der Minima Moralia versöhnt er sich, komfortabel von Zentralheizung und schönem Mobiliar umgeben, mit dem inneren Bourgeois.

Als überraschendste Facette erweist sich das stete Sinnieren über den (Nach-)Ruhm, das man so von Gernhardt nicht kennt. Immerhin zählten die Autoritätskritik und die kritische Spitze gegen die Musealisierung von Dichterfürsten zu Gernhardts Königsdisziplinen. Der gemeinsam mit F.W. Bernstein und F.K. Waechter ersonnene Arnold Hau bleibt da das Maß aller Dinge. Im Kleinen Gernhardt findet sich in diesem Geiste eine famose Betrachtung über die Zweckmäßigkeit von Goethe- und Schiller-Denkmälern. Statt aber lediglich in bewährter Weise seine miese Entlohnung zu beklagen („Werd ich nicht nach Tarif bezahlt, / Wird ab sofort naiv gemalt“, ließ Gernhardt einst im Gedicht Pablo Picasso an einen Kunsthändler schreiben), macht sich der Autor hier nun Gedanken darüber, welche seiner Texte bleiben mögen, und mit ein klein wenig Bitternis konstatiert er, wie selten es ihm die Kollegen bei pardon und Titanic gedankt haben, dass er ihnen ein aufopferungsvoller Kollege und Organisator gewesen ist („Dann schlägt die Stunde des Kümmerers: Hier bin ich!“), und ums Verhältnis zum Feuilleton, von dem er sich übergangen fühlt, steht es nicht viel besser. Aber Gernhardt wäre nicht Gernhardt, wenn das Ganze jemals in Larmoyanz oder gar die Gift-und-Galle-Litaneien kippte, die so manch anderer vom Totenbett aus diktiert hat. Gernhardt-Fans (und er hatte und hat nun einmal Fans, wo andere Dichter allenfalls über Leser und Bewunderer verfügen) dürfen frohlocken, wenn der Schöpfer der Schnuffi-Geschichten und des masturbierenden Kragenbären seinen fabelhaften Witz aufbietet und unter anderem Michel Houellebecq sanft abwatscht (dass dieser nach eigener Auskunft viel Zeit im Bordell verbringt, begrüßt Gernhardt, denn so „hält sich auch seine Produktion in Grenzen“), oder mit viel Selbstironie mutmaßt, die Nachwelt werde angesichts der von ihm verantworteten Baumaßnahmen am Ferienhaus vermutlich fragen: „Was wollte uns der Idiot denn damit nun schon wieder sagen?!“

Bei Gernhardt hat die Pointe Vorfahrt, und für jeden Anflug von Eigenlob („Fleißiger Robert“, heißt es einmal in Anerkennung der eigenen Produktivität) findet sich eine schöne Schnurre auf Kosten der eigenen Person. Sogar den aus der Nackten Kanone bekannten Gag vom Mann, der dank eines angeschalteten Mikrofons auch beim Toilettengang für seine Mitmenschen deutlich zu vernehmen ist, lässt man sich gern noch einmal aufwärmen, wenn er Gernhardt Anfang der 1990er Jahre bei einem Fernsehauftritt selbst widerfährt. Ernster wird es da, wo Gernhardt über die Fluchterfahrungen seiner umgesiedelten Familie nachdenkt (und dabei zeitgemäß den strittigen Terminus „Flüchtling“ problematisiert), oder beim berührend geschilderten Abschied vom sterbenden F.K. Waechter, dem Gernhardt kaum ein Jahr später folgen sollte. Wie er hier und an manch anderer Stelle mühelos die Tonarten wechselt, in der Traurigkeit noch die Pointe liefert und in der Pointe niemals die Traurigkeit vergisst, macht ihm keiner nach. Wir dürfen uns abermals und immer wieder dazu kondolieren, dass es ihn nicht mehr gibt.

Titelbild

Robert Gernhardt: Der kleine Gernhardt. Was war, was bleibt von A bis Z.
Herausgegeben von Andrea Stoll.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
187 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783100402233

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