Die Trompete als Tauchsieder

Zum 50. Todestag von Louis Armstrong

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Tod des wohl berühmtesten Trompeters der Jazz-Geschichte ist jetzt 50 Jahre her. Louis Daniel Armstrong, den seine Fans nur „Satchmo“ nannten, starb am 6. Juli 1971. Über sein Geburtsdatum gab es jedoch immer wieder Spekulationen. Lange Zeit wurde angenommen – und auch von Armstrong immer erzählt (eine kleine Eitelkeit?) –, dass er am 4. Juli 1900 in New Orleans geboren wurde. Das wäre ein symbolträchtiger Geburtstag gewesen: der 4. Juli ist der amerikanische Unabhängigkeitstag … und dann zu Beginn eines neuen Jahrhunderts. Doch in den 1980er Jahren stellte sich anhand der noch vorhandenen Taufbücher heraus, dass der 4. August 1901 das tatsächliche Geburtsdatum ist. Und so hatte die Welt seinen Geburtstag über all die Jahre am falschen Tag gefeiert.

Doch zurück zu seiner Biografie. Die Mutter war gerade einmal fünfzehn Jahre alt, als Louis geboren wurde, und der Vater verließ kurz nach der Geburt des Sohnes die Familie. So wuchs der kleine Louis größtenteils bei seiner streng katholischen Großmutter unter ärmlichen Verhältnissen auf. Musik war das Herz der Stadt New Orleans, und Louis war schon als Kind davon begeistert. Nachdem er in der Silvesternacht 1912/13 auf der Straße mit einem Revolver herumgeballert hatte, landete er in einem Erziehungsheim für Schwarze, wo er die Grundlagen des Kornettspiels erlernte, eine in New Orleans populäre Sonderform der Trompete. Danach hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, u.a. mit Musikauftritten im Rotlichtmilieu oder mit Showbands auf Mississippi-Dampfern.

Seine musikalische Karriere begann dann 1922 in der King Oliver’s „Creole Jazz Band“, mit der er nach Chicago ging. Drei Jahre später gründete Armstrong mit „Hot Five“ die erste eigene Formation. Bis Ende 1928 spielte er mit dieser Band, die auch als „Hot Seven“ auftrat, in wechselnden Besetzungen. Der Sound war eine Mischung der Chicago-Schule mit dem traditionellen New-Orleans-Jazz. Die Aufnahmen, die zum Fundament von Armstrongs Weltruhm wurden und bis heute unübertroffen sind, zeichneten sich durch eine solistische Improvisation aus. Damit veränderte Armstrong den Jazz entscheidend, indem er den Solisten in den Mittelpunkt rückte. „Hot Five“ und „Hot Seven“ waren aber vorrangig reine Studiobands gewesen, daher trat Armstrong auch weiterhin mit verschiedenen Orchestern auf.

1929 folgten Auftritte in New York, am Broadway und in Harlem. Mit der Weltwirtschaftskrise kam das Musikbusiness jedoch in Schwierigkeiten. Doch mit dem Erfolg einiger Musiktitel konnte sich Armstrong nun ein eigenes Orchester leisten, mit dem er jahrelang durch die USA tourte. Armstrong war jetzt ein Star, der als World’s Best Cornetist angekündigt wurde, obwohl er das Instrument schon längst gegen die Trompete eingetauscht hatte. Da die Konkurrenz unter den Swing-Bigbands inzwischen groß geworden war, nahm Armstrong jetzt auch scheinbar jazzferne Titel auf, die aber sofort ins Jazzige kippten, sobald er zur Trompete griff. 1932 folgten die ersten Konzerte in Europa und 1936 hatte Armstrong mit seiner Bigband sein Spielfilmdebüt in Hollywood und es folgten bis 1969 noch zahlreiche Filmauftritte, darunter zum Beispiel New Orleans, in dem Armstrong sich selbst spielt, einen Bandleader, der in einem Nightclub auftritt; neben ihm hat auch Billie Holiday eine musikalische Rolle.

Nach dem Krieg löste Armstrong seine Bigband auf und gründete die „All Stars“, an deren Format er trotz wechselnder Besetzung bis zu seinem Tod festhielt. Unter den Mitgliedern waren solche herausragenden Solisten wie Jack Teagarden (Posaune) oder Earl Hines (Klavier). Auch Begleitsängerinnen wie Velma Middleton oder später Jewel Brown gehörten zur Band. Mit seinen „All Stars“ vollzog Armstrong nicht nur einen Rückzug zu seinen Wurzeln des New Orleans Jazz, sondern öffnete auch ein neues Kapitel in seiner künstlerischen Karriere. Bei den Auftritten wurde Armstrong zum Entertainer, der es selbst in den größten Sälen verstand, einen direkten Kontakt zum Publikum herzustellen. Auf der Bühne strahlte er stets beste Laune aus und seine Trompete war dabei wie ein Tauchsieder: wenn er sie in das Publikum hielt, fing es sofort an zu kochen.

Im Laufe der Zeit veränderte sich zwar der Sound der „All Stars“, aber über zwei Jahrzehnte waren sie eine kommerziell überaus erfolgreiche Band, die in den 1960er Jahren viele Tourneen durch Europa unternahm. 1965 mitten im Kalten Krieg beispielsweise tourte Armstrong mit seiner Band vier Wochen lang durch verschiedene Ostblockstaaten (u.a. in der DDR). Obwohl hier der Jazz offiziell als Musik des Klassenfeindes galt, versuchte man, Armstrong als Kämpfer gegen den Rassismus darzustellen.

Schon früh forderten die vielen Auftritte ihren gesundheitlichen Tribut. Bereits 1959 hatte Armstrong einen Herzinfarkt erlitten. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Angesichts von Lungenproblemen fiel ihm das Trompetenspiel immer schwerer, sodass ihm Ärzte sogar davon abrieten. Armstrong fühlte sich jedoch seinem Publikum gegenüber verpflichtet, aber baute jetzt mehr Gesangseinlagen in seine Programme ein. In Fernsehshows trat er nur noch ab und zu auf. Zu seinem 70. Geburtstag wurde er mit zahlreichen Konzerten geehrt. 1971 erlitt er eine weitere Herzattacke. Nach einem längeren Hospitalaufenthalt verstarb Louis Armstrong am 6. Juli 1971 in seinem Haus in Corona, New York, das heute ein Museum ist. Sein Grab befindet sich auf dem Flushing Cemetery in Queens. 25.000 Menschen kamen zu seinem Begräbnis. Als Ehren-Sargträger fungierten u.a. Bing Crosby, Pearl Bailey, Frank Sinatra, Ella Fitzgerald und Dizzy Gillespie.

Louis Armstrong ist Legende und Mythos. Nur wenige andere Jazzmusiker haben einen ähnlichen Status erreicht. Bis heute gilt er als einer der besten Trompeter und einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Viele seiner Aufnahmen gelten als Meilensteine der Jazz-Geschichte. Er trat nicht nur mit allen Jazz-Größen seiner Zeit auf – von Ella Fitzgerald bis Duke Ellington, von Mahalia Jackson bis Benny Goodman, sondern auch mit Danny Kane, Frank Sinatra, Dean Martin, Barbra Streisand und vielen anderen. Dabei sind vor allem seine eher seichten Songs wie What a Wonderful World oder Hello, Dolly, mit denen er ein weltweites Publikum erreichte, in Erinnerung geblieben. Bereits 1926 hatte er seinen ersten Charterfolg, dem noch 78 weitere folgen sollten. Seine Hits, vorgetragen mit der unverwechselbaren Reibeisenstimme, vertrieben in den 1960er Jahren sogar die Beatles von den vorderen Chartplätzen.

Zum Doppeljubiläum (50. Todestag und 120. Geburtstag) von Louis Armstrong ist mit Black and Blue eine Biografie von Wolfram Knauer im Reclam Verlag erschienen, die in elf Kapiteln Leben und Karriere des „King of Jazz“ umfassend beleuchtet. Ob New Orleans, Chicago, New York oder die zahlreichen Welttourneen – alle Stationen werden ausführlich geschildert. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Entwicklung der Jazz-Musik, die Armstrong wesentlich geprägt hat. Ergänzt wird die Darstellung durch die detaillierte Analyse einzelner Musikstücke. Knauer, der das Jazzinstitut Darmstadt leitet und als erster Europäer Inhaber der Professor of Jazz Studies an der Columbia University war, betrachtet auch weitere Aspekte – u.a. die Zusammenarbeit mit anderen Musikern oder Armstrongs Verhältnis zum modernen Jazz, aber auch wirtschaftliche Gesichtspunkte der damaligen Musikbranche.

Der Buchtitel Black and Blue geht auf den gleichnamigen antirassistischen Song zurück, der immer zu Armstrongs Repertoire gehörte. Seine Version von 1929 wurde 2015 in die Grammy Hall of Fame aufgenommen. Die Neuerscheinung ist eine erweiterte Neuausgabe des bereits 2010 erschienenen Reclam-Titels. Damals im üblichen Reclam-Outfit, jetzt als repräsentative Hardcover-Ausgabe. In seinem Vorwort begründet Knauer die Neuausgabe mit

weitreichende[n] politische[n] Entwicklungen in den Vereinigten Staaten […] Die Bewegung Black Lives Matter […] ließ die Welt mit Erstaunen auf ein Land blicken, das in viele[m] so fortschrittlich ist, dem es aber bislang nie gelungen war, die eigene Erbsünde – den Mord an der indigen Bevölkerung, die Sklaverei, den rassistischen Hass – in der breiten Gesellschaft aufzuarbeiten.

So wurde die Neuausgabe mit neuen Erkenntnissen zu Armstrongs Bürgerrechtsaktivitäten und mit Informationen zur aktuellen politischen Lage in den USA ergänzt. Neu ist auch eine umfangreiche Playlist im Anhang, die auf Klang- und Filmbeispiele bei Musikstreamingdiensten bzw. Videoplattformen verweist. Auf der Verlagsseite findet man eine Liste mit über 200 Links zu den aufgelisteten Aufnahmen und Filmausschnitten. Neben der Lektüre also noch einmal über sechs Stunden Louis Armstrong live.

Titelbild

Wolfram Knauer: Black and Blue. Louis Armstrong – Sein Leben und seine Musik.
Reclam Verlag, Stuttgart 2021.
256 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783150113233

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