Da schimpfte der Esel den Hahn einen Dickkopf

Julia Kockel und Oliver Hahn legen einen gelungenen Comic zur Geschichte und Aktualität der Tierethik vor

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Comic“, dieses Wort leitet sich vom Griechischen κωμικός (sprich: komikós) ab, das wiederum von dem Wort für einen fröhlichen Umzug, den „Komos“, abgeleitet ist. Es mag sensible Gemüter deshalb auch irritieren, dass es nun einen Comic zu einem eigentlich emotional zwiespältig aufgeladenen Thema gibt, nämlich dem menschlichen Umgang mit Tieren und den damit einhergehenden moralischen Implikationen. Bei einer Publikation wie „Sklavenhaltung – der Comic“ oder „Massenmörder des 20. Jahrhunderts – der Comic“ hätte es sicherlich einen Aufschrei gegeben. Da uns aber – ob nun glücklicherweise oder nicht – sogenannte „Nutztiere“ größtenteils egal sind, ist das Medium des Comics im Falle der Tierethik vielleicht nicht so heikel wie bei anderen Themen. Geschmacklos jedenfalls ist der Versuch nicht, wenn man einmal schaut, was im Comic passiert und wie treffend die philosophische Diskussion überwiegend dargestellt ist.

Julia Kockel, Übersetzerin und freie Lektorin, hat sich privat und während ihres Philosophiestudiums mit dem Thema Tierethik auseinandergesetzt und nun den Text zu einem Comic geschrieben, der von dem Grafiker und Illustrator Oliver Hahn gezeichnet wurde. Wenn dieser gesellschaftskritische Zeichner eines kann, dann Gesichter treffen: Für diejenigen, die in der Debatte bewandert sind, wäre es auch ohne die hilfreichen Texte kein Problem, Peter Singer, Tom Regan, Christine Koorsgard oder Jacques Derrida zu erkennen. Die Hauptlinie des Comics ist einfach: Es geht um die Ambivalenz unseres Verhältnisses zu anderen Tieren in verschiedenen Lebensbereichen. Wir spenden für die Rettung von Walen, schreddern aber Küken, wir streicheln und bekleiden unseren Hund und füttern ihn mit Schweinen, die zuvor gezüchtet und jahrelang gequält wurden. Tiere quälen klingt böse, Bockwurst essen super. Woran liegt das? Oliver Hahn und Julia Kockel zeichnen das anhand der berühmtesten Denker und deren Theorien in ihrem Band nach.

Der Comic ist schmal, zeichnet aber auf nur etwa 100 Seiten die grobe Verlaufslinie der gesamten tierethischen Debatte nach. Er beginnt in der Gegenwart mit den bekanntesten Positionen, steigt dann in der Antike ein und verfolgt chronologisch und zugleich thematisch geordnet – das ist eine starke Leistung! – die Entwicklung der Positionen. Dabei wird auch ein dringend nötiger kritischer Blick auf Philosophen wie René Descartes, Thomas von Aquin und Immanuel Kant geworfen, deren speziesistische Positionen im Vergleich zu vielen Positionen der Antike und des Buddhismus eher rückständig wirken; so wird beispielsweise das Verrohungsargument erklärt, nach dem es nur deshalb schlecht sei, Tiere zu quälen, weil man dann auch geneigter oder eher dazu bereit sei, Menschen Schaden zuzufügen. Der Comic meistert es elegant, sehr verschiedene Bereiche der tierethischen Debatte miteinander zu verschränken: Soziale und politische Gerechtigkeit, Sprachphilosophie, Ernährung, Religion und Religionsfreiheit, internationale Zusammenhänge und Machtstrukturen, Kapitalismus und Eigentum, Umweltzerstörung und die Frage nach moralischen Pflichten gegenüber und Rechten von Tieren gehören nämlich genau genommen thematisch untrennbar zusammen. Man merkt schnell: Hier ist nicht die den Tierschützern oft vorgeworfene Dickköpfigkeit am Werk, sondern im Gegenteil der Versuch, die gesellschaftlich und kulturell bedingte Sperrigkeit und langsame Entwicklung einer ganzen tierethischen Debatte nachzuvollziehen und verstehbar zu machen.

Die einzelnen Denker kommunizieren miteinander, obwohl sie zu unterschiedlichen Zeiten gelebt haben – Julia Kockel und Oliver Hahn leisten es also, die Positionen von den individuellen Philosophen zu lösen und neutral miteinander abzugleichen und aufeinander reagieren zu lassen: Was hätte Aristoteles zur heutigen Debatte gesagt? Gibt es noch Denker, die im 20. und 21. Jahrhundert wie Kant argumentieren? Der direkte Dialog über Sprechblasen ist hier ebenso interessant gestaltet wie die jeweiligen Informationstexte und man kann der Debatte folgen wie einem Krimi. Kleine, liebevolle Details vereinfachen das Verständnis, so etwa der Ausbeutungs-Bumerang. Generell ist das Artwork keineswegs eintönig, sondern erinnert an die typische Gestaltung von Graphic Novels – auch inhaltlich scheint es eine an die historische Entwicklung angepasste, leichte Storyline zu geben; es überzeugt darüber hinaus durch Bleeding Out-Effekte, Cliffhanger und Speed Lines.

Der einzige wirklich evidente Kritikpunkt könnte sein, dass einige zeitgenössische Positionen anhand von wiederauftauchenden Charakteren sehr oberflächlich und überspitzt dargestellt sind. So sieht man einen Greenpeace-Aktivisten, der in einen Burger beißt und dabei sagt, er sei von Walen sehr fasziniert und wolle sie schützen, Kühe dagegen seien ihm egal. Das ist nun wirklich kein üblicher Greenpeace-Standpunkt und verfälscht die tatsächliche Linie der Organisation, die durchaus positiv über eine fleischfreie Ernährung urteilt. Andererseits ist die Kritik an derartigen Organisationen verständlich, wenn man sie der radikalen Konsequenz wie etwa derjenigen der Animal Liberation Front, wie es im Comic geschieht, gegenüberstellt. Insgesamt also bietet der Comic einen hervorragenden Überblick über die Debatte – übrigens gerade für diejenigen, die sich mit dem Thema noch nicht auskennen – und muss sich deshalb wohl mitunter auf karikierende Elemente stützen, die die Denkrichtungen trennscharf voneinander abgrenzen sowie schnell, klar und einleuchtend definieren. Die Komplexität der aktuellen Debatte erfasst der schmale Band nicht und dringt auch nicht bis in die letzten Themenbereiche der Tierphilosophie vor. Das ist für die Zielgruppe genau richtig so: Das Format des (Philosophie-)Comics richtet sich nämlich an diejenigen, die mit dem Thema weniger vertraut sind und eine einfache Übersicht über den Verlauf der bisherigen Diskussion benötigen. Wer mehr über die angewandte Ethik zwischen Mensch und Tier erfahren will, dem sei dringend zum Kauf des Buchs geraten: Denn es ist mitnichten explizit belehrend, sondern legt Einsteigern auf unterhaltende Weise nahe, was die Gelehrten dort in ihren Sprechblasen diskutieren.

Titelbild

Julia Kockel / Oliver Hahn: Tierethik. Der Comic zur Debatte.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017.
155 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783770562893

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