Gabi, leg den Costello auf, der Heinz ist da
Der Rockmusiker Heinz Rudolf Kunze veröffentlicht seine bewegende Autobiographie
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZunächst verwundert, dass Heinz Rudolf Kunze, der sich selbst als Mann der Sprache sieht, seine Autobiographie mit Hilfe eines Ghostwriters verfasst hat. Zumal mit einem, der so geisterlich gar nicht ist, hat Oliver Kobold sich doch in den letzten Jahrzehnten als Allzweckwaffe für Kunzes Deutschrockkollegen Wolfgang Niedecken profilieren können, der unter anderem wiederum dessen Autobiographie zu Papier brachte. Hierbei traf Kobold den klassischen Niedecken‘schen Ton ziemlich perfekt, was letzterer auf die enge Zusammenarbeit mit dem Schreibpartner zurückführt (siehe Litertaurkritik.de-Interview mit Wolfgang Niedecken). Auch im Fall Kunze, soviel sei vorweggenommen, gelingt es Kobold, den Sprachduktus des früher gerne mal als „Oberlehrer des Deutschrock“ diffamierten Musikers zu treffen. Anders als Niedecken hat sich Kunze jedoch weniger für den Gestus des jovialen Geschichtenerzählers entschieden, sondern nimmt die Rolle des ernsten Chronisten nicht der persönlichen, sondern auch der gesamtdeutschen Vergangenheit ein. Und zumindest in der ersten Hälfte des Buches, wenn es um die Geschichte der Familie Kunze geht, ist dieses Buch ein mitunter bedrückendes, aufrüttelndes Zeugnis.
Hierfür muss man wissen, dass bereits Kunzes Bruder Rolf-Ulrich, Geschichtsprofessor in Karlsruhe, vor einigen Jahren eine subjektiv gefärbte historische Studie zu seiner Familie und deren Weg im 20. Jahrhundert verfasst hat. Von dieser zehrt der über zehn Jahre ältere Bruder Heinz Rudolf immer wieder, was aus zwei Gründen einen interessanten Synergieeffekt ergibt: Zum einen unterfüttert der Historiker den Kulturschaffenden mit dem aus seinen Forschungen gewonnenen nötigen Hintergrundwissen, zum anderen aber ist der Blick des deutlich jüngeren Bruders auf die Familie anders gefärbt als der des Bruders. So entspinnt sich eine spannende Erzählung über eine Familie, die als Vertriebene in einem Flüchtlingslager landet, in dem auch der erste Sohn Heinz Rudolf geboren wurde. Bevor der Vater in den Krieg gezogen war, hatte er sich Kunzes späterer Mutter versprochen, die tatsächlich acht Jahre des Krieges und der darauf folgenden Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft auf ihn wartete. Auch, dass der Vater offiziell bei der SS war, wird von Kunze weder verschwiegen noch beschönigt; und trotzdem schildert er den militärischen Werdegang des Vaters mit sehr viel Mitgefühl und Vorsicht, ohne die Dinge zu verharmlosen.
Auch das Bild, das Kunze von der Nachkriegsgesellschaft zeichnet, ist ein schonungslos offenes: die vielen unbelehrbaren Nazi-Kameraden des Vaters, der mit diesen eigentlich nichts mehr zu tun haben will und doch immer wieder ihren Einladungen folgt. Die – wie Kunze selbst verwundert feststellt – fast schon unerbittliche Offenheit seines Vaters, wenn es um die eigene Nazivergangenheit ging, die im Widerspruch zum sonstigen eisigen Schweigen der Tätergeneration stand und den Vater wohl auch sozial isolierte.
In der Regel muss man sich bei Autobiographien von Rockmusikern immer durch die Kinder- und Jugendjahre, die Erzählungen über die Eltern und die Geschwister, quälen, bis man endlich zum Kern kommt, dem Beginn der Musikerlaufbahn, den Anekdoten von Plattenaufnahmen und Tourneen. Hier ist es anders herum. Je tiefer man in Kunzes Karriere eintaucht, desto langweiliger wird das Buch; selbst dann – oder vielleicht gerade dann – wenn man sich in Bezug auf diese gut auskennt. Die frühen Jahre mit dem leider viel zu früh verstorbenen Gitarristen Mick Franke als musikalischem Partner, als Kunze von den Medien in Anspielung auf das Genre des „Liedermachers“ als „Niedermacher“ bezeichnet wurde, im bewusst biederen Beamtenlook samt Schnauzer nachdenkliche (und ziemlich großartige) Platten zur Lage der deutschen Nation machte und keinem Konflikt aus dem Weg ging, funktionieren noch recht gut als Porträt der gerade erwachenden deutschsprachigen Musikszene Anfang der 1980er Jahre. Unvergessen der schriftlich ausgetragene Konflikt mit dem Journalisten und späteren Schriftsteller Wolfgang Welt, bei dem Welt Kunze als „Null“ und der Welt daraufhin als „Aufsatz-Ayatollah“ beschimpfte (und der in dieser Autobiographie leider nicht erwähnt wird).
Den größten – musikalischen – Raum nimmt jedoch Kunzes kommerziell goldene Phase ein, als er Franke mit dem deutlich hitorientierter denkenden Gitarristen Heiner Lürig ersetzte – ein Bruch, auch in Kunzes Leben, da Franke ein enger Freund gewesen war und dem Sänger die Entzweiung doch recht lange nachging. Lürig sieht das Hitpotential in Kunzes Songs und macht diesen mit dem heutigen Evergreen Dein ist mein ganzes Herz 1985 zum unwahrscheinlichen Popstar. Mit dem gleichnamigen Album und dem Nachfolger Wunderkinder wird aber auch das Dilemma begründet, in dem sich Kunze bis heute, auch selbstverschuldet, befindet: Auf der einen Seite möchte der, auch das ist den wenigsten bekannt, Progressive Rock-Fan Kunze anspruchsvolle Musik machen, die zudem noch mit intellektuell hochwertigen Texten aufwartet, auf der anderen Seite muss diese Musik auch irgendwie ins Radio kommen. Das habe, so der Musiker, in den 80ern noch ganz gut funktioniert, doch seit den 00er Jahren sah er sich in einem – in diesem Buch zwar kurz angeführten, jedoch leider nicht allzu ausführlich behandelten – Konflikt, da TV-Auftritte fast nur noch in Schlagersendungen möglich seien, und immer ein, zwei Titel auf jedem seiner Alben auf jenes Publikum zugeschnitten wurden.
Leider werden die musikalisch äußerst spannenden, aber nur Insidern wohl bekannten 90er Jahre des Künstlers sehr stiefmütterlich behandelt, daher sei an dieser Stelle erwähnt, dass Alben wie Richter Skala und Korrekt dem in der Öffentlichkeit leider weit verbreitete Bild von Kunze als biederen Schlageronkel deutlich widersprechen. Das Problem des Buches, zumindest im letzten Drittel, ist seine Knappheit, zumal Kunze selbst zu Beginn berichtet, er habe absichtlich nicht allzu viel über die letzten rund dreißig Jahre seiner Karriere geschrieben, da die für sein Leben entscheidenden Dinge sich davor abgespielt hätten und er den Sinn des Buches vor allem darin sehe, aufzuzeigen, wie er der Mensch und Künstler geworden sei, der er heute ist. Warum dieser letzte Teil allerdings zum reinen Namedropping verkommt, bei dem der zuvor so bewegend berichtende Künstler plötzlich fast nur noch davon erzählt, mit wem er alles befreundet sei, ist befremdlich und es hätte hier wohl eines mutigen Lektors bedurft, der ihn darauf hingewiesen hätte, mit dem Hinwies, vielleicht doch lieber noch 100 Seiten mehr zu schreiben und dafür noch etwas zu erzählen. Dass die Anekdoten der Spätphase nämlich mitunter sehr amüsant sein können, zeigt Kunzes Beschreibung seiner Freundschaft mit seinem Hannoveraner Nachbarn, Scorpions-Sänger Klaus Meine. Der Rocker rufe seiner Frau nämlich, quasi als Running Gag, jedes Mal, wenn Kunze vor der Tür steht zu: „Gabi, leg schnell den Costello auf, der Heinz ist wieder da!“
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