Hunde in der Literatur der Weimarer Republik

Erich Maria Remarques „Station am Horizont“ und Ruth Landshoff-Yorcks „Die Vielen und der Eine“

Von Maren LickhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maren Lickhardt

Erich Maria Remarque und Ernst Jünger im Kontext des Ersten Weltkrieges in einem Atemzug zu nennen, ist nicht sehr originell. Ihre bekanntesten Romane In Stahlgewittern und Im Westen nichts Neues widersprechen und entsprechen sich auf vielfache und oft untersuchte Weise. Dass Remarque auch in ganz anderer Hinsicht Parallelen mit Jünger aufweist, mag ebenfalls bekannt sein: Remarque frönte dem Technik- und Maschinenkult seiner Zeit auf dem Gebiet des Motorsports. Der angebliche Nichtberufsschriftsteller des so beworbenen Erstkriegsromans lässt in Station am Horizont von 1927/28 die Menschmaschine im Angesicht des Automobils lebendig werden, beschreibt das Verschmelzen mit dem Motor, das vitalistische Erleben des Kampfs, die unbedingte Lust zu siegen.

Man könnte in Remarques Roman aber auch über einen anderen Aspekt stolpern. Der Protagonist Kai verzichtet in einem Rennen auf den Sieg; er bremst ab, um zwei Hunden auf der Fahrbahn das Leben zu retten (SH 110-112). Die Passage ist als ästhetizistische Geste interpretiert worden, beispielsweise von Rolf Parr, weil im Roman explizit die Frage aufgeworfen wird, ob Kai dies aus „Pose oder Liebe“ getan habe. Diese Frage wird im Roman allerdings ziemlich eindeutig beantwortet: Echte Hundeliebe lässt alles andere in den Hintergrund treten. Die Rennfunktionäre zeigen sich darüber entsetzt, dass Kai für die Hunde gebremst hat. „Er hätte doch ruhig durchfahren können, bei den kleinen Hunden hätte der Wagen nicht geschleudert, wenn er darüber hinweggefahren wäre; wahrscheinlich hätte er überhaupt nichts bemerkt als einen kurzen Stoß.“ (SH 113) Kai möchte nach der Szene nicht zu seinen mondänen Rennsportfreunden gehen, sondern „entfloh“ (SH 114) bezeichnenderweise zu seiner Dogge Frute.

Die Passage ist ein Stolperstein, der das Lesen ausbremst, um die Wahrnehmung neu einzujustieren. Man kann sie als poetologischen Hinweis darauf deuten, die Hunde nicht zu überlesen, ebenso wenig wie Kai über sie hinwegfahren kann. Aber eigentlich könnte schon von Anbeginn des Textes auffallen, dass Hunde keine Neben-Sache sind, spielt Kais Dogge Frute doch eine wichtige Rolle. Ab der zweiten Seite findet sie in hoher Frequenz Erwähnung. Damit LeserInnen nicht vergessen können, dass sie Kais stete Begleiterin ist, wird in die aufregendsten Szenarien immer wieder eingestreut, dass Kai der Dogge Futter besorgt (SH 15, 20), dass er sie nicht alleine lassen möchte (SH 19, 155), dass er mit ihr spazieren gehen muss (SH 32) oder dass er sie in eine Decke wickelt, damit sie nicht friert (SH 215). Vordergründig rankt sich der Roman um die Frage, für welche Frau sich Kai entscheiden wird. Zur Auswahl stehen die natürliche Barbara, die adelige Lilian Dunquerke und die sachliche Amerikanerin Maud Philby. Dabei wird leicht übersehen, dass Kai im gesamten Roman schon eine Lebenspartnerin hat, mit der er ein nicht sexualisiertes, aber familiäres körperliches Verhältnis hat, das zumeist dann thematisiert wird, wenn es auf den ersten Blick um die Frauenfiguren geht. „Zwischen […] dem blanken Haar des dicht herangedrängten Hundes […] nahm er ihre Hände.“ (SH 9) „Er rief Frute zu sich und streichelte ihr das Genick.“ (SH 61) In der ersten Passage, sind es Barbaras Hände, die er zwischen dem Fell des Hundes ergreift. In der zweiten sieht er erfreut Maud Philby und ruft dann seine Dogge zu sich, um sie zu berühren. Mit Lilian Dunquerke und Frute erlebt der Protagonist folgende Nacht:

Langsam tappte es über das Deck. Dann schnoberte es, und Frute erschien, fahl im Mond, grau und seltsam mit ihren Beinen und den gläsernen Augen. Aber die Haut war warm und die Bewegung vertraut, mit der sie ihren Kopf unter Kais Hand wühlte. Es wurde still. Nur Frutes Atem ging vernehmlich. Im gedämpften Klatschen der Wellen hob und senkte sich leise das Schiff – es nahm den Horizont mit, der wie eine Krinoline bebte. Ein sanftes Kreisen begann, in dessen Mittelpunkt die drei waren – drei Herzen, um die eine Nacht schwang. (SH 178)

Nicht nur die romantische Stimmung wird mit dem Hund geteilt, sondern auch in dieser Passage ist es nicht die Frau, mit der der Protagonist Körperkontakt hat, sondern die Hündin. Und schließlich ist es Frute, die vom Beginn bis zum Schluss der Erzählung stets präsent ist.

Aber die Dogge ist nicht einfach nur anwesend. Vielmehr inszeniert der Text ihre Agency. Ist die Wahrnehmung erst einmal auf die Hunde beziehungsweise die Dogge gerichtet, muss auffallen, dass Frute als gleichberechtigte Figur neben den anderen, also als Subjekt entworfen wird. Wenn Kai sich überlegt, wie er seine Dogge aufheitern könnte, nachdem er sie eine Weile hat alleine lassen müssen, ist sie noch ganz Objekt seiner Fürsorge. „Er stand noch eine Weile auf seinem Balkon und machte sich Vorwürfe, daß er die Dogge nicht mitgenommen hatte. Sie hing sehr an ihm und würde ihn vermißt haben. Er nahm sich vor, ihr am nächsten Tage ein Pfund Ochsenlende zu kaufen. Sie hatte eine Vorliebe dafür.“ (SH 54) Auch wenn er zu ihr spricht, ist das noch der Fall: „‚Was sollen wir tun, Frute?‘ […] ‚Du glaubst es nicht, Frute, aber ich halte mich seit ein paar Tagen für alt.‘“ (SH 154) Aber Frute bringt sich auch selbst kommunikativ ins Spiel: „Frute schob den Kopf unter seinem Arm durch und behinderte ihn beim Lenken.“ (SH 28) Ebenso verspielt zeigt sich Frute an anderer Stelle, in der die Kommunikation der beiden Figuren als reziproke dargestellt wird:

Als sie sich die Lefzen leckte, deutete er zum Wagen. Gehorsam trottete sie fort, doch bevor sie in den Sitz kletterte, versuchte sie zu bluffen. Sie zuckte zusammen, als ob sie einen Pfiff gehört hätte, und kam in großen Sprüngen zurück. Aber im letzten Augenblick schien ihr das Gewissen zu schlagen, sie blieb ein Stück von Kai entfernt zaudernd stehen, den Kopf schief und argwöhnisch zur Seite. Er drohte ihr mit dem Finger, vorwurfsvoll bellte sie zurück, trotzte noch eine Weile und machte dann resigniert kehrt. (SH 20)

Dass der Dogge im Text ein Subjektstatus zugesprochen wird, wird daran ersichtlich, dass Kai hin und wieder in der ersten Person Plural von sich und dem Hund spricht: „Wir haben jetzt zwei Stunden geschwiegen und uns mit der Atmosphäre beschäftigt, Frute. Das ist immer ein sicheres Zeichen dafür, daß man nachdenkt und seine Stimmung prüft.“ (SH 115) Als Kai eine Passantin mit dem Auto mitnehmen möchte, heißt es: „Er forderte sie auf, sich in den Wagen zu setzen und mitzufahren, so weit sie wolle. Sie fing an, mit dem Hund zu sprechen; dann nickte sie und stieg ein.“ (SH 14) Bezeichnenderweise spricht diese Passantin nicht zu, sondern mit dem Hund, bevor sie Vertrauen fasst und in den Wagen steigt. Man könnte annehmen, dass die Figuren die Dogge anthropomorphisieren, dass sie nur aus einer textimmanenten figürlichen Perspektive zum Subjekt erhoben wird, aber es ist der Roman, der so verfährt, indem auch aus der Innenperspektive der Hündin erzählt wird und somit ihre autonomen Empfindungen vom Erzähler zum Ausdruck gebracht werden:

Frute hörte Kai mit der geduldigen Überlegenheit der Kreatur zu. Sie verstand ihn vorläufig nicht, versuchte aber einstweilen durch einen pfiffigen Gesichtsausdruck zu beschwichtigen, bis sie ihn erraten hatte. Kai redete lange auf sie ein. Schließlich aber unterbrach er sich, klatschte ihr auf die Schulterblätter und sagte freundschaftlich: „Du hast recht, Frute –“ (SH 146)

Im ersten Satz wird noch der Anschein erweckt, als projiziere Kai die geduldige Überlegenheit auf Frute, und auch das Fazit stammt von ihm. Aber im Grunde liegt eine Gedankenwidergabe aus der Perspektive der Hündin vor. Der Erzähler beschreibt ihre Ratlosigkeit, die sie mit einem pfiffigen Gesichtsausdruck zu kaschieren versucht. An anderer Stelle erlebt Frute auch ihre ganz eigene Geschichte, indem sie herumstreunt: „Abends bestand Frute ein zweites Abenteuer. Kai hatte bis spät gelesen und darüber vergessen, sein Zimmer abzuschließen. Frute benutzte die Gelegenheit, die Tür aufzuklinken und eine Eskapade über den Korridor zu unternehmen.“ (SH 154) Station am Horizont hat eine zweite Protagonistin neben Kai, die Liebesobjekt wie -subjekt ist, die eigene Gedanken, Intentionen und Erlebnisse hat. Damit zeigt Remarque eine sehr spezielle Auseinandersetzung mit dem Hund. Dass aber überhaupt ein Hund in den Fokus rückt, ist in den 1920er Jahren nicht ungewöhnlich.

In fast jeder Ausgabe von Mode- und Lifestyle-Zeitschriften dieser Zeit wie Uhu, Dame und Querschnitt – die Auswahl dieser Zeitschriften markiert nur die Spitze des Eisberges – sind Texte, große Fotos und seitenlange Fotostrecken Hunden gewidmet. Unter der Überschrift Mein Hund ist doch der schönste folgt im Uhu ein Lob auf den eigenen Hund (Januar 1932). Begleitet wird dieser Essay von Fotos, die einen Terrier unter anderem im Bett mit seiner Besitzerin zeigen. Der Hund wird wie ein Kind präsentiert. In einer anderen Ausgabe findet sich ein Jagdhund auf einem Hochzeitsfoto (Uhu, August 1928). Die Dokumentation der Familienzusammenführung scheint nur mit Hund komplett zu sein. Ein Fräulein Renate Viola Jäger wird mit ihrem Barsoi abgebildet (Uhu, Juli 1925), Frau Else Eckersberg mit ihrem kleinen Terrier (Uhu, Septemper 1925) und so weiter. Nicht selten sieht man ganzseitige Fotos von Rassehunden wie einem Skye-Terrier (Uhu, September 1928) oder einer englischen Bulldogge (Querschnitt, H. 10, 1927). Teilweise erstrecken sich die Rasseporträts über viele Seiten, auf denen Mexikanische Nackthunde, Japanische Chins, Samojeden-Spitze, Prince Charles Terrier und viele mehr zu sehen sind (Querschnitt, H. 9, 1925).

Dass die Zeitschrift Die Dame im Wesentlichen der Bekleidungsmode gewidmet ist, wird auch angesichts der Inszenierung von Hunden nicht eingeschränkt. Vielmehr werden die Hunde zu einem Teil des modischen Outfits, teilweise wirken sie wie Accessoires. So kommentiert der Untertitel zu der Abbildung einer Schauspielerin mit einem Spitz die getragene Kleidung (Die Dame, Erstes Septemberheft 1926). Um eine schottische Seidenjacke geht es im Kontext des Fotos einer Frau mit einem Barsoi (Die Dame, Erstes Märzheft 1927). Dass die Hunde zum Dekor gehören, wird in Bezug auf das Bild eines orientalischen Windhundes neben einer Dame explizit thematisiert, indem der Hund als „Der Dekorative“ bezeichnet wird (Die Dame, Erstes Septemberheft 1925). Dass Hunde beziehungsweise Hunderassen nicht nur zu Moden passen, sondern selbst auch Moden unterliegen können, wird anhand einer Fotostrecke im Uhu deutlich, die den Titel Hunde von gestern und von heute hat. Demnach sind Dackel, Mops und Terrier out, die Französische Bulldogge in (Juli 1925). Welche Rasse aber von gestern oder von heute ist, wandelt sich schnell, denn an der Häufigkeit der Abbildungen kann leicht ersehen werden, dass Terrier gegen Ende der 1920er Jahre sehr beliebt waren.

Neben der Tatsache, dass Hunde auf zahlreichen Bildern als Familienmitglieder gezeigt werden, ist auffällig, dass es sich bei den meisten um solche einer genau definierten Rasse handelt, und diese oftmals in Verbindung mit Mode stehen – wenngleich das natürlich durch die Sparte der Zeitschriften vorgegeben ist. In den 20er Jahren stellen Rassehunde Prestigeobjekte und Lifestyle-Phänomene dar (Hans Joachim Jakob). Dabei muss bedacht werden, dass es sich um eine Zeit handelt, in der gesellschaftliche Distinktionen im Zuge der Abschaffung der Monarchie weggebrochen sind (Helmut Lethen), und man sich mit Massenängsten herumschlägt, also diversen Ängsten, die sich darauf beziehen, in einer formlosen, indifferenten Masse unterzugehen, die zwar isolierte Individuen befördert, aber zumindest auf den ersten Blick keine Gruppenzugehörigkeiten und -identitäten zulässt. Wichtige Anstrengungen galten also einem Self-Fashioning, das eine sichtbare Zugehörigkeit zu einer Gruppe indiziert. Die Kombination der richtigen Kleidung, des richtigen Reiseortes, des Cafés, der Musik, des Tanzes etcetera zeigt neue Zugehörigkeiten an, wo alte weggefallen oder unsichtbar geworden sind. Dazu gehört auch der Besitz des richtigen Hundes. Ebenso wie eine Marlenehose eben kein Charlestonkleid ist, ist eine Dogge leicht erkennbar kein Terrier.

Ein Kerry-Blue-Terrier-Rüde namens Cecil spielt in Ruth Landshoff-Yorcks Roman Die Vielen und der Eine aus dem Jahr 1930 eine große Rolle. Der Hund, so heißt es im Text, „ist prima. […] Ausgezeichnet. Nur der Schwanz ein bißchen lang kupiert.“ (VE 54) „Ausgezeichnet“ impliziert konkret, dass der Rüde auf einer Show einen Preis gewonnen hat. Hier geht es um Elite und Distinktion, was den Status der Protagonistin Louis Lou spiegelt, die – wiederum Landshoff-Yorck spiegelnd – als berühmtes It-Girl durch die Gesellschaft gereicht wird, das sich immer perfekt zu inszenieren vermag. Sehr divenhaft verteidigt Louis Lou die Anwesenheit Cecils in einem Luxushotel.

„Hunde sind hier verboten.“ „Ach, das stört ihn nicht.“ Und als der Mann ernst wird, faucht sie ihn an: „Verboten, das weiß ich ja, aber Cecil hat im Ritz in Paris schon an eine Mamorsäule gepißt, er wird doch dann wohl im Ambassador stubenrein sein können. Und das Gesetz ist natürlich richtig und wunderschön, und Cecil ist am liebsten einziger Hund irgendwo, und gucken Sie sich doch die Leute an, den Sie etwas verbieten. Mir doch nicht! In ganz Europa traut sich das kein Mensch.“ (VE 8)

Cecil ist Accessoire ihrer Selbstinszenierung und Ausdruck ihrer Persönlichkeit, und er ist der einzige, der ihr in der gesamten Geschichte wirklich nahe ist. Wie der Titel andeutet, geht es im Roman um die vielen Männer, die Louis Lou verschleißt, und den einen, den sie finden wird. Zu Beginn des Romans wird den LeserInnen das Thema ausdrücklich für die Lektüre mitgegeben: „Wenn zufällig ein Matrose auftauchen sollte, so denken Sie nicht, aha, endlich eine Bezugnahme auf den Beginn. […] Überlassen Sie doch bitte mir, Beziehungen herzustellen.“ (VE 5) Es taucht tatsächlich ein Matrose auf, außerdem begegnet Louis Lou vielen anderen Männern und auch demjenigen, der am Ende „der Eine“ sein wird: dem Amerikaner Percy, dessen Parallelgeschichte im Text aufgerollt wird. Aber auch in Landshoff-Yorcks Roman gibt es noch den eigentlichen Einen, nämlich Cecil, der in hoher Frequenz Erwähnung findet und der der Protagonistin am nächsten steht. In Gesellschaft hat Louis Lou plötzlich Sehnsucht nach ihrem Hund, mit dem sie zusammen sein möchte, „ohne die Gesellschaft von Männern ertragen zu müssen“ (VE 25).

Ein Vorfall mit Cecil bedingt den größten Handlungsumschwung im Roman. Unter Percys Obhut wird der Hund von einem Auto an der Pfote verletzt und muss in ein Spital eingeliefert werden (VE 76). Daraufhin verlässt Louis Lou Percy, dem sie bereits nähergekommen war. Zu einem Mann, der den Unfall ihres Terriers nicht verhindern konnte, hat sie weder Vertrauen noch Sympathie, was sich vor allem in der folgenden Begegnung zeigt. „[Percy:] ‚Nicht richtig lieben könnt ihr modernen Mädchen. Vielleicht lieben Sie Ihren Hund, diesen Bastard.‘ Aber da hatte er ihre Faust im Gesicht. […] Sie wollte viel lieber weiblicher sein und sich küssen lassen, aber er hatte Cecil einen Bastard genannt. Und Percy, der sonst so hart im Nehmen war, weinte.“ (VE 85)

Dass Louis Lou einen Faustschlag austeilt, könnte vielseitig interpretiert werden. Sicherlich hat es etwas mit dem Vorwurf zu tun, sie könne nicht lieben, und auch damit, dass sie eigentlich sehr viel für Percy empfindet, aber sie katalysiert hier auch die vergangene Sorge um ihren Rüden, bestraft den fahrlässigen Hundesitter und verteidigt den Status ihres Rassehundes gegen die Beleidigung, er sei ein Bastard. Im Sinne des Textes reicht das als Begründung, denn auch wenn sich Louis Lou und Percy am Ende finden, so ist doch am wichtigsten, dass Cecil da ist. Das Indiz dafür, dass Percy letztendlich zu Louis Lous Leben gehört, bildet die Tatsache, dass sich Cecil auch bei ihm geborgen fühlt und ihn akzeptiert: „In seinen Armen hielt er einen graublauen Terrier, der ihm müde den Hals leckte, sorgfältig und zärtlich.“ (VE 161) Gemeint ist natürlich nicht irgendein graublauer Terrier, sondern Cecil, der – so Louis Lou – „wichtigste Hund, den man sich vorstellen kann“ (VE 161), und der zuvor kurz verschwunden war, sodass Percy am Ende den Helden spielen kann, indem er ihn findet und zurückbringt.

Louis Lou würde aber nicht nur explizit alles für Cecil tun (VE 146), sondern auch der Terrier wird im Roman als eigenständiges Subjekt präsentiert, dem ein souveränes Innenleben zugestanden wird. Denn dass Cecil Louis Lou entläuft, wird als bewusste und reflektierte Entscheidung aus seiner Perspektive ausgewiesen, weil Louis Lou durchaus nicht immer ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird, alles für den Terrier zu tun:

Ein Hundedasein unter so vielen Menschen zu leben! Nicht einmal die Anwesenheit von Louis Lou söhnte ihn damit aus. Die benahm sich ganz merkwürdig heut abend. Anstatt mit ihm herumzutollen, wo sie sich doch so lange nicht gesehen hatten, kümmerte sie sich kaum um ihn. Auch ein Terrier hat sein Ehrgefühl. Cecil war sehr gekränkt. Diese ganze Reise war überhaupt merkwürdig gewesen […]. Erst diese große Stadt mit den vielen Fahrstühlen […]. Und dann dieses scheußliche Schiff ohne jede Rasenfläche. Auch in Paris hatte sie ihn nach kurzer schöner Zeit wieder allein gelassen. Nein, Cecil wollte sich das nicht länger gefallen lassen. (VE 159)

Bei aller Liebe bewegt sich die Beziehung zwischen der Protagonistin und ihrem Rüden nicht ganz auf Augenhöhe, behandelt sie ihn – wie wir zumindest aus der hündischen Perspektive erfahren – als Objekt, dem sie Zuwendung zukommen lassen und entziehen kann. Neben dem Stolperstein des Unfalls, der sich als Prüfstein für Percy erweisen sollte, ist in den Text ein weiterer Widerstand durch das Entlaufen des Rüden eingebaut, durch den er zum Subjekt erhoben wird. Damit fordert er textimmanent und metafiktional sein Recht ein. Wo der Terrier ein Wort mitsprechen darf, geht es außerdem explizit um die Frage nach der artgerechten Haltung – wenngleich der kupierte Schwanz im Text nicht hinterfragt wird. Von der Autorin Landshoff-Yorck existieren im Übrigen Abbildungen mit verschiedenen Hunden, die darauf schließen lassen, dass sie ihre Hunde nicht als Accessoire mitgeschleift hat, wie dies Louis Lou teilweise aus Cecils Perspektive tut und wie es bei den It-Girls der 1990er Jahren üblich wurde.

Insgesamt wird den Hunden in beiden Texten fiktionsimmanent viel Aufmerksamkeit gewidmet, genauso wie die Aufmerksamkeit der LeserInnen auf sie gelenkt wird. Neben der hohen Frequenz ihrer Erwähnung sind Störungen – je ein Autounfall und eine Streunerepisode pro Roman – des üblichen Handlungsgangs in die Texte eingebaut, durch die es kaum möglich ist, die Hunde zu übersehen. Sie haben eine Agency in den Texten, und es liegen sogar Passagen vor, in denen ihre Innensicht auf die gleiche Weise wie bei menschlichen Figuren präsentiert wird. Es ist bezeichnend, dass das nicht bemerkt wurde, auch wenn sich die Animal Studies mittlerweile etablieren konnten. Liest man Zusammenfassungen der Romane im Netz, wird immer der Plot der Suche nach dem richtigen Partner fokussiert. Offenbar wäre es absurd zu schreiben: Diese Romane ranken sich um die Beziehungen der jeweiligen ProtagonistInnen zu ihren Hunden. Tatsächlich ist das aber der Fall, und es wird nur deshalb nicht bemerkt, weil es sich um hündische und nicht um menschliche Figuren handelt, auch wenn die Romane gerade durch die Präsentation der Innensicht und andere Signale die Hunde den menschlichen Figuren partiell gleichsetzen. Aber da die Hunde als Hunde markiert sind, fallen sie unter ein Vorzeichen, durch das sie bei der Rezeption offenbar nicht mehr als Textsubjekte auffallen können. Dass eine Anthropomorphisierung von Tieren problematisch sein kann, wird in Landshoff-Yorcks Roman aus Cecils Perspektive thematisiert, der nicht gerne auf einem Schiff lebt, weil er Menschen nicht gleichartig ist. Die Unfähigkeit, seitens der RezipientInnen Gleichwertigkeiten in der romanimmanenten Funktion der Hunde zu sehen, stellt aber angesichts der Textsignale einen merkwürdigen und blinden Anthropozentrismus dar.

Dass in der Kultur der 1920er Jahre der Besitz eines Rassehundes attraktiv ist und attraktiv macht, schwingt in Landshoff-Yorcks Roman mit. Aber auch bei Remarque handelt es sich nicht um irgendeinen Mischling; die Dogge begleitet ihren menschlichen Partner durch eine mindestens ebenso mondäne Welt, wie sie von Landshoff-Yorck entworfen wird. Die Romane zeigen die Schönen und Reichen der 20er Jahre, die sich textimmanent angesichts massenmedialer Aufmerksamkeit inszenieren. Das heißt, dass die Figuren innerhalb der Handlung die Bilder liefern, die die LeserInnen in den zeitgenössischen Publikumszeitschriften zu Hund und BesitzerIn sehen konnten. Darüber hinaus muss aber auch auffallen, dass der Hunde-Kult der 20er den Diskurs der Neuen Sachlichkeit unterwandert. In den genannten Lifestyle-Magazinen, mehr aber noch in den beiden Romanen werden familiäre Bindungen zu den Hunden gezeigt. Die menschlichen AkteurInnen können ohne jede Scham mit Hunden in Körperkontakt treten. In dieser Konstellation wird unverhohlen und öffentlich ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit ausgelebt oder dargestellt, das aus dem Diskurs der 20er Jahre und insbesondere aus der typischen Ehe dieser Zeit – der Kameradschaftsehe – verbannt ist. Gerade im Kontext der Neuen Sachlichkeit weitaus erotischer aufgeladen ist aber die Beziehung der FahrerInnen zu ihren Autos, die Remarque in Station am Horizont deutlich vorgeführt und Landshoff-Yorck in zahlreichen ihrer Essays thematisiert.

Literaturverzeichnis

Remarque, Erich Maria: Station am Horizont. Köln 2000 (= im Text: SH).

Landshoff-Yorck, Ruth: Die Vielen und der Eine. Berlin 2001 (= im Text: VE).

Jakob, Hans Joachim: Tiere im Text. Hundedarstellungen in der deutschsprachigen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts im Spannungsfeld von ›Human-Animal Studies‹ und Erzählforschung. In: Textpraxis 8 (1.2014). URL: http://www.uni-muenster.de/textpraxis/hans-joachim-jakob-tiere-im-text, URN: urn:nbn:de:hbz:6-93349433063.

Lethen, Helmut: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main 1994.

Parr, Rolf: Tacho. Km/h. Unfall. Kurve. Körper. Erich Maria Remarques journalistische und kunstliterarische Autofahrten. In: Thomas F. Schneider (Hrsg.): Erich Maria Remarque. Leben, Werk und weltweite Wirkung. Osnabrück 1998, S. 69-90.