Science Fiction ohne Krieg der Sterne

Ein liebenswertes utopisches Jugendbuch aus den 1950er Jahren in Neuausgabe

Von Wolfgang BühlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Bühling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Story zum Buch hat etwas vom glücklichen Ausgang des Fliegenden Klassenzimmers von Erich Kästner: Die führende Jugendzeitschrift Rasselbande lädt im Herbst 1960 zehn Mädchen und Jungen, die sich besonders ausgezeichnet hatten, zu einer Amerikafahrt ein, allerdings nicht per Flugzeug, sondern mit dem damals in der Nordatlantikfahrt noch üblichen Passagierschiff. Unter den sieben jungen Herren befand sich zum Beispiel der Schauspieler Volker Lechtenbrink, der mit Bernhard Wickis Film Die Brücke (1959) bekannt geworden war. Kein Filmstar, sondern Schriftsteller war der fünfzehnjährige Jak Lang, dessen Buch Mein Freund vom anderen Stern 1959 im Gebrüder Weiss Verlag in Berlin-Schöneberg erschienen war. Der Verlag gilt als Pionier der deutschen Science Fiction, er produzierte in diesem Genre schon ab 1949, noch lange bevor sich die fantastische Zukunftsliteratur in Deutschland in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre endgültig etablierte. Bis 1962 erschienen in der Reihe Romane aus der Welt von morgen 77 Titel. 

Aus dem historischen Klappentext zu Mein Freund vom anderen Stern, angeboten für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren, heißt es:

Jak, der Sohn des Försters, erhält den Besuch eines Jungen vom Merkur, der mit seiner fliegenden Untertasse in einer wichtigen Mission auf die Erde gekommen ist. Der Förstersbub begleitet seinen Freund mit dem geheimnisvollen Namen Red Etug auf Flügen nach allen Erdteilen, und sie nehmen dabei Verbindung auf mit den Jungen, die Red Etug außer Jak bei seiner Aufgabe unterstützen sollen. Diese so verschiedenartigen und doch in ihrem fröhlichen Tatendrang einander alle so ähnlichen Jungen schließen sich zu einer festen Kameradschaft zusammen. Jeder von ihnen lernt das Raumflugzeug steuern, und jeder wird in der Handhabung des Astrophons unterwiesen, jenes wunderbaren Geräts, das Feuer löscht, Raubtiere lähmt, Sprachen übersetzt und andere erstaunliche Kunststücke vollbringt. Alles das sind aber nur Vorbereitungen für das große Unternehmen, das die Jungen, jeder auf seinem Platz, im Auftrag der Merkurregierung ausführen: die Verhinderung eines neuen Weltkrieges.

Protagonist Jak bekommt also Besuch des Außerirdischen Red Etug, der zwar blaue Haare hat, ansonsten aber von menschlicher Gestalt ist. Gemeinsam mit einer international zusammengesetzten, verschworenen Gemeinschaft von Jungen bestehen die beiden allerhand Abenteuer und verhindern schließlich einen neuen Weltkrieg. Dieser Entwurf eines geschlossenen Handlungsablaufs ist für einen Vierzehnjährigen erstaunlich. 

Die Lektüre des jungen Autors ist naturgemäß nicht überliefert. Und so lässt sich auch nur darüber spekulieren, welche Anregung er woher bekommen haben mag. Eine unverbrüchliche Gemeinschaft von Jungen findet sich bei Kästners Emil und die Detektive. Zwar wird die Beförderung durch Red Etugs außerirdisches Raumfahrzeug bewerkstelligt, jedoch sind die Schauplätze der Abenteuer durchaus irdisch: Die Wüste, der Urwald, der Maracaibo-See. Karl May könnte hier Pate gestanden haben. Das Phänomen der ‚fliegenden Untertasse‘ war ab der ‚Erstsichtung‘ 1947 in allen Medien ein Dauerbrenner. Die Frage ist auch, ob das „Astrophon“ eine originäre Erfindung Jak Langs ist. Dieses Gerät, das praktisch die Eigenschaften des Smartphones vorwegnimmt, das aber auch Raubtiere besänftigen und Feuer löschen kann, könnte in anderen Science Fiction-Publikationen Vorbilder haben. So gab es 1958 schon die Comic-Serie Nick der Weltraumfahrer, die nicht zuletzt von der Vorführung fantastischer Zukunftstechnologien lebte. 

Genderorientierte Betrachterinnen und Betrachter von heute könnten kritisch anmerken, dass das weibliche Element in Langs utopischem Roman so gut wie nicht vertreten ist. Im Gegensatz zu Kästner, der seinem Emil außer den Detektiven auch noch dessen Cousine Pony Hütchen zur Seite stellt. 

Die 1953 gegründete Jugendzeitschrift Rasselbande, die zu ihrer besten Zeit eine Auflage von 300.000 Exemplaren hatte, sicherte sich die Abdruckrechte für eine Fortsetzungsserie, die von Februar bis April 1960 in zwölf Folgen erschien. Die Redaktion des Blattes war prinzipiell interessiert an Artikeln aus der Feder ihrer jugendlichen Leser. So erschien beispielsweise 1960 ein Beitrag des späteren Journalisten und Moderators Ulrich Wickert über eine Ausfahrt mit Sardinenfischern aus dem nordspanischen Laredo.

Eine deutsche Neuauflage erlebte das Buch bis 2023 nicht, was auch durch die Schließung des Gebrüder Weiss Verlags 1962 begründet sein mag. Allerdings erschien 1961 eine Übersetzung ins Niederländische und 1962 solche ins Italienische. Jak Lang trat nur noch ein weiteres Mal als Schriftsteller in Erscheinung. Ab November 1960 brachte die Rasselbande in sieben Folgen den Roman Freiheit für Henry, die Geschichte eines Jungen, der sich sehnlichst eine Trompete wünscht und dabei mit dem Gesetz in Konflikt kommt.

Die Geschichte vom friedensbringenden Red Etug – der Name ein Anagramm von ‚Der Gute‘ – hebt sich wohltuend ab von der Vielzahl an Weltraumliteratur und -filmen, die letztlich militaristisch angelegt sind und in stereotyper Weise die physische Vernichtung extraterrestrischer Angreifer thematisieren. Verleger von Reeken stellt als Science Fiction-Spezialist fest, dass Jak Langs Buch selbst bei den älteren Fans und Sammlern von fantastischer Zukunftsliteratur so gut wie unbekannt ist. Mit der Neuherausgabe verbindet er die Hoffnung, dass der einst jüngste Schriftsteller Deutschlands wieder wahrgenommen wird. Und ebenso – in einer Epoche neu aufkeimender Spannungen – die Friedensbotschaft aus der Zeit des Kalten Kriegs. Ferner bleibt zu sagen, dass der Text an die neue Rechtschreibung angepasst wurde, somit werden junge Leser von heute nicht in Konflikt mit der erlernten Schrift kommen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Jak Lang: Mein Freund vom anderen Stern. Eine utopische Erzählung für die Jugend: Neuausgabe der Erstausgabe 1959 in neuer deutscher Rechtschreibung.
Verlag Dieter von Reeken, Lüneburg 2023.
141 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-13: 9783945807811

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