Zeig mir deinen Titel und ich sage dir, wer du bist

Ein Titelblatt sagt mehr über ein Buch als 1000 Worte – oder nicht? Stefan Laube versammelt in „Einladende Buch-Anfänge“ Beiträge rund um die Titelbilder, Kupferstiche und Frontispize der frühen Neuzeit

Von Erkan OsmanovićRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erkan Osmanović

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man soll ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen – doch warum eigentlich nicht? Wenn uns schon das Cover nicht vom Hocker reißt, warum sollte es der Inhalt? Das erscheint kurzsichtig gedacht, ist es aber nicht. Ein Titelbild ist Werbung für den Inhalt eines Buches. Und das ist auch gut so! Denn auch der schlaueste Gedanke muss erstmal als solcher entdeckt werden und wenn ein Cover bereits wiedergibt, wohin die Reise geht, erhöht das die Wahrscheinlichkeit.

In dem von Stefan Laube im Harrassowitz Verlag herausgegebenen Band Einladende Buch-Anfänge. Titelbilder des Wissens in der frühen Neuzeit beleuchten dreizehn Beiträge den Anfang des Buches. Die Texte kreisen um verschiedene Fragen, wie etwa: Strahlt ein Titelbild Glaubwürdigkeit und Autorität aus – wenn ja, wie? Spielen Autor:innen eine Rolle in Abbildungen? Was verbinden Leser:innen mit Fraktur oder Antiqua? Und ist eigentlich ein Titelbild Text oder Grafik?

Ein Gesicht zum Verlieben

Bereits im Mittelalter existent, setzt sich das Titelbild und das Frontispiz – der Bildertitel, der sich auf der zweiten Seite eines Buches befindet – in der frühen Neuzeit durch und gewährt nicht nur einen Einblick in das Buch, sondern blickt auch ins Gesicht der Leser:innen. So erklärt Stefan Laube in seinem einleitenden Beitrag Buch-Gesichter in Medienharmonie und Medienkonkurrenz:

Der Betrachter wird nur deswegen auf das Frontispiz aufmerksam, weil letzteres ihn anblickt, d. h. sein Interesse zu wecken vermag. Insofern spiegelt der Untersuchungsgegenstand […] eine Wechselbeziehung zwischen Mensch und Buch.

Laubes Artikel gibt nicht nur einen spannenden Einblick in die Geschichte des Titelbildes beziehungsweise des Frontispiz, sondern informiert auch über technische Begriffe der Buchwissenschaft und deren Etymologie.

Aufbauend auf seinen Worten widmen sich die folgenden zwölf Beiträge fünf Bereichen: (1) In der konfessionellen Arena; (2) Fachwissen auf einen Blick; (3) Visuelle Flechtwerke des Wissens; (4) Bildproduktion im Spiegel und (5) Judge the Book by its Cover!

Während etwa die Beiträge von Carsten-Peter Warncke und Lucinda Martin sich auf Eingangsbilder religiöser Werke fokussieren und dabei etwa die Produktionsgeschichte von Titelkupfer am Verlagsort Antwerpen beleuchten, konzentriert sich der Beitrag Ein Kupferstich, der Ihn, mit Recht, entzückt, In dem Er Sich, mit Ruhm verbrämt, erblickt Hole Rösslers auf die Abbildung des Autorengesichts im Buch – ein Mittel zur Wahrung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen, aber auch von Eitelkeiten.

Allerdings hat das Autorenporträt nicht nur als individueller Stempel gedient, sondern gehörte zu einem Teil der praktizierten Gelehrtenkultur. Anders gesagt: Wer dazugehören wollte, hatte in seinem Buch auch eine Abbildung von sich selbst – am besten neben anderen bekannten Persönlichkeiten:

Bildliche Darstellungen einer Verbindung mit einer anerkannten Autorität im Porträt lassen sich hinsichtlich ihrer Art der angestrebten sozialen Produktivität in zwei Gruppen unterscheiden: Prestige durch Anerkennung und Prestige durch Teilhabe.

Die Thematik ist spannend, aber noch relativ unerforscht, lässt uns Rössler wissen.

Ein Grund dürfte in der komplexen Bearbeitung von bibliothekarischen Angaben und Abstimmung von Forschungsdaten zu Frontispizen und Titelbildern liegen, zeigt Christian Bracht in seinem Beitrag Frontispize in digitalen Forschungsinfrastrukturen. Er spricht von Aspekten des „unsichere[n] Wissen[s] im Bereich digitaler Forschungsdaten“: vage oder unvollständige Angaben in Quellen und Bibliothekskatalogen sind neben dynamischen Entwicklungen in den forschungsleitenden Fragestellungen der Buchwissenschaften Ursachen für eine gebremste Erforschung der Titelbilder. Die Möglichkeiten und Einschränkungen des Einsatzes von Forschungsdaten führt exemplarisch am Titelkupfer des Romans Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch (1668) von Grimmelshausen vor. Bracht kommt in seinem Beitrag zu einem Schluss, der wohl für viele Felder der modernen Geisteswissenschaften gilt – es fehlt an Standardisierungen von Qualitätsmanagementprozessen, da

kulturwissenschaftliche Forschung zunehmend abhängig ist von gehaltvollen und qualitätsgesicherten digitalen Daten, um den Ansprüchen der Forschenden möglichst weitgehend zu entsprechen und um neue Impulse zu setzen […]. 

Arbeit am Körper

Bereits nach der Lektüre eines Bruchteils des Bandes wird klar: Das Buch wurde in der Forschung die längste Zeit als lineares Medium betrachtet. Dabei besitzt es einen Körper – Begriffe wie Buchrücken oder Seitenkopf kommen nicht von ungefähr – und ist dadurch immer auch mit Personen, Orten und Beziehungen der realen Welt verknüpft.

Dem Band gelingt es, die reichhaltige Wirkungsgeschichte des Titelbildes in der frühen Neuzeit in all ihren Facetten aufzuzeigen: Praxis der Gelehrtenkultur, Mittel zur individuellen Prestigesteigerung, ökonomische Notwendigkeit von Buchhändlern.

Man hätte sich trotz des gewählten Schwerpunktes vielleicht noch ein oder zwei Beiträge gewünscht, die den Nachwirkungen all dieser Entwicklungen in unserer Gegenwart oder zumindest im 20. Jahrhundert nachforschen. Das ist nicht als Kritik zu sehen, sondern eher dem Umstand geschuldet, dass der Band die eigene Neugier weckt!

Einladende Buch-Anfänge gibt einerseits einen hervorragenden Überblick über die Genese, Funktion und Wirkung von Titelbildern und Frontispizen in der frühen Neuzeit, andererseits verändert sich durch die Lektüre des Bandes der eigene Umgang mit Büchern: Das lächelnde Gesicht des Krimiautors oder das Zitat der
Wissenschaftlerin auf der Buchrückseite – alles erscheint in einem anderen Licht. Dienen sie wirklich als Werbung für den Inhalt? Oder verwenden nicht auch heute noch viele Autor:innen die Buchhülle als Selbstreklame? Als Mittel zur Distinktion: Ich bin wer, weil ich auf dem Buch zu sehen und als Zitat zu lesen bin. Einladende Buch-Anfänge verändert den Blick auf die Welt. Sollten Wissenschaftsbücher nicht genau das tun? 

Titelbild

Stefan Laube (Hg.): Einladende Buch-Anfänge. Titelbilder des Wissens in der frühen Neuzeit.
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 2022.
420 Seiten, 82,00 EUR.
ISBN-13: 9783447116893

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch