Leichte Kost und schwere Debatten?
Teresa Präauer kreiert in „Kochen im falschen Jahrhundert“ eine Gesellschaftssatire voll Witz und Selbstironie
Von Leona-Maike Wenning
In ihrem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman Kochen im falschen Jahrhundert beschreibt die mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnete Österreicherin Teresa Präauer einen Abend, an dem über Themen der Gegenwart gesprochen wird: Klimaschutz, fehlende Utopien, die schwindende Relevanz des Fernsehens usw.
Die Gastgeberin, die zugleich auch die Protagonistin des Romans ist, hat zum Essen am dänischen Esszimmertisch eingeladen. Die Gäste des Abends sind allesamt vermeintlich spießige Gutverdiener um die 40: Der Partner der Gastgeberin, ein Ehepaar, das sich nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes voneinander entfremdet hat, dazu noch ein Schweizer Professor, der sich über Utopien auslässt. Der Alkoholkonsum der Beteiligten lässt den Abend immer dramatischer, nachdenklicher und erotischer werden.
Gleich dreimal nimmt die Erzählerin Anlauf, um von dem Abendessen zu erzählen. Sie präsentiert im Zuge dessen unterschiedliche Verläufe. Manierierte Ausdrucksweisen, durchzogen von englischem Vokabular, aber auch durchgängige Inhaltsleere bestimmen die Debatten, die insgesamt „mit wenig Ahnung und viel Geschmack“ geführt werden. Das Gesagte dient der Selbstdarstellung. Die Gastgeberin – eine aufmerksame Beobachterin – beurteilt kritisch (und mit einem Anflug von Selbstironie) die Aussagen der versammelten Gäste.
Wir diskutieren über die Wörter und Begriffe und bleiben doch hilflos und tatenlos, sagte die Ehefrau im aufklärerischen Licht der Selbsterkenntnis, die im Weiteren ebenfalls zu nichts führte.
Die Gespräche bleiben meist allgemein: „Man halte sich gern alles möglichst lange offen“, „man sagte heute Studierende“, man kauft nicht in Discountern ein, sondern auf dem regionalen Wochenmarkt. Die Frage, wer eigentlich vorgibt, wie „man“ sich zu verhalten habe, wird nicht gestellt. Der Roman entwickelt sich zu einer satirischen Milieustudie. Diese wird zuweilen untermalt von Songs, etwa wenn die Frau des Gästepaares betrachtet wird „Die Augen des Partners der Gastgeberin ruhten auf ihr. Cant’t Get Enough Of Your Love, Babe, warb Barry White um ihre Aufmerksamkeit.”
Im Laufe des Abends sinniert die Gastgeberin in Erinnerungsepisoden nostalgisch über ihre Vergangenheit und das letzte Jahrhundert, über die Gepflogenheiten ihrer Eltern und Großeltern, vergangene Beziehungen usw. Dabei spielen (alltägliche) Geschmackerlebnisse eine Rolle: Detailreich und stets humorvoll werden Gerichte beschrieben, die mit bestimmten Kindheitserlebnissen verbunden sind; exotische Gewürze rufen Erinnerungen an ferne Länder und frühere Reisen wach:
Erinnerst du dich an die Zeit, als die Großeltern Schnaps gebrannt haben? Da warst du noch ein kleines Kind. Du hast nichts davon beigebracht bekommen, du hast nichts weitergeführt, nichts erhalten, praktizierst nichts davon.
Trotz der vorherrschenden Atmosphäre der Distanz, die u.a. durch die Namenlosigkeit der Protagonisten erzeugt wird, gewähren die vermittelten Erinnerungen den Leser*innen zumindest einen näheren Einblick in die Gedankenwelt der Gastgeberin. Diese erweist sich als vielschichtige Figur, die sich viele Fragen stellt – etwa zu ihrer Rolle: „Gastgeberin sein zu können heißt letztlich: erwachsen geworden zu sein.“
Aber was genau macht eine gute Gastgeberin aus? Diese Frage muss die Protagonistin im fortgeschrittenen Alter anders beantworten als einst zu Studienzeiten. Damals war sie in der Rolle der Gastgeberin geübt – die Erzählerin bemerkt, dass sich dieses „andere“ Leben in einem anderen Jahrhundert für sie „richtiger“ anfühlt. Erwartungsgemäß versucht sie jetzt die Rolle der freien, erwachsenen Gastgeberin zu spielen und die Fassade der geduldigen Partnerin oder aufmerksamen Freundin aufrechtzuerhalten. Sie löst in ihrer Verzweiflung teils schon Mitleid bei den Leser*innen aus und droht, sich in Tränen aufzulösen, als sie Lob für einen gelungenen Abend erhält. Auch wenn sie, geprägt von ihrer Vergangenheit und Herkunft, noch nicht so recht mit ihrem Lebensstandard zurechtkommt, scheint sie zumindest erfolgreich die erwartete Rolle spielen zu können.
Die Erzählung verlangt ihren Leser*innen Offenheit ab. Stellenweise ist nicht klar, wohin dieser Abend eigentlich führen soll. Große Themen wie etwa die Selbstfindung im Spannungsfeld von individueller Freiheit und Herkunft werden angestoßen und müssen von den Leser*innen zu Ende gedacht werden. Die präzisen Beobachtungen und insbesondere Präauers klare Sprache, mit der sie diese darlegt, überzeugen durchweg.
Der mögliche Fleck auf seinem Hemd war sein Fleck. Die Freiheit des Menschen bestand auch darin, dem jeweils anderen seinen Fleck zu lassen. Die Verantwortung bestand dabei auch darin, mit dem je eigenen Fleck allein zu sein. Dieses Alleinsein zu ertragen. Jedem sein Fleck in der Form eines wehen Herzens, auch in der Paarbeziehung!
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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