Für notleidende Dichter

Eine Neuausgabe von Detlev von Liliencrons verschollenem Buch „Der Mäcen“ ist erschienen

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht nur in einem Land wie den USA, wo staatliche Kulturförderung immer schon eher eine Nebenrolle spielt, ist und bleibt er von Bedeutung: der Mäzen – ein aus der Antike und dem Mittelalter überkommener Anachronismus, wie es lange schien. An höfische (und seit dem 19. Jahrhundert auch unternehmerische) Traditionen anknüpfend verbürgt er bis heute als Person und mit seinem eigenen Vermögen den Fördergedanken, für den er eintritt. Er steht mit einem hohen Anspruch auf Glaubwürdigkeit im Gegensatz zum kommerziell ausbeutbaren Sponsoring. Doch anders als der Staat als anonymes Pendant mit möglichst geregelter, transparenter Förderpraxis etwa bei Stipendien kümmert sich der Mäzen als Einzelner um Einzelne, er orientiert sich an seinem eigenen Geschmack, nicht unbedingt an Trends, und er verkörpert einen gewissen Elitarismus des Gebens. Jan Philipp Reemtsma ist in Literatur und Geisteswissenschaften als ein solcher Mäzen aufgetreten, in der Gegenwart aber längst nicht als einziger.

Detlev von Liliencron ist heute fast vergessen, als Autor und Aristokrat verband er selbst die Praktiken des Dichtens und des Repräsentierens, bei denen sich traditionell Geförderter und Förderer begegnen. 1889, also im Entstehungsjahr seines durch Philipp Pabst wieder zugänglich gemachten Buches Der Mäcen, explodierte der literarische Naturalismus. Es ist das Jahr, in dem Gerhart Hauptmanns Aufsehen erregendes Sozialdrama Vor Sonnenaufgang uraufgeführt wurde. Auch Liliencron wurde als naturalistisch-impressionistischer Lyriker bekannt, sein Band Adjutantenritte war bereits 1883 erschienen. Bald danach musste er wegen chronischer Überschuldung aus dem Staatsdienst in Holstein ausscheiden und entschloss sich, wie so viele bereits in der damaligen Zeit, als freier Schriftsteller zu leben.

Doch wie viele freie Schriftsteller konnten damals von ihren Honoraren, vielleicht von journalistischen Arbeiten, tatsächlich leben? Die hier in einer kommentierten Neuausgabe vorzustellende Novelle Liliencrons erhebt den Mäzen zum Ideal auch des modernen Kulturbetriebs. Graf Wulff Gadendorp, die Titelfigur: reich, adelig, selbstlos, hat den Ich-Erzähler gefördert. Der Multimillionär – so die Rahmenhandlung – stirbt ohne Erben und vermacht auf dem Totenbett sein Vermögen nutzbringend. Neben Offizieren, Witwen und Waisen bedenkt er mit einem Großteil die damals real existierende, 1859 gegründete Deutsche Schillerstiftung. Sie fungierte als erste literaturfördernde Institution überhaupt und stand im 19. Jahrhundert für eine Überführung mäzenatischer Intentionen in die transparente Form der Stiftung. In den Jahren 1886 bis 1890 hatte sie auch Liliencron mehrfach ausgeholfen.

Doch zurück in die Welt des Texts: Der Erzähler findet im Nachlass des Grafen ein Notizbuch, das neben Tagebuchartigem eine Anthologie der von ihm hochgeschätzten Gedichte enthält. Dieses Notizbuch – so die Fiktion – veröffentlicht er. Neben heute noch bekannten Lyrikern wie Gottfried Keller oder Conrad Ferdinand Meyer trifft man auf den Naturalisten Karl Henckell, aber auch auf längst nicht mehr bekannte adelige Zeitgenossen wie Moritz Graf Strachwitz. Gadendorp hat, so erfährt man, eine Theatertruppe „erworben“, er hat einem armen Poeten unter die Arme gegriffen. Doch ist er nicht der adelige Dilettant, für den man ihn halten mag, vielmehr ein profunder Kritiker des oberflächlichen Literaturbetriebs seiner Zeit und insbesondere ein wandelndes Plädoyer zugunsten des Mäzenatentums auch im Zeitalter der heraufziehenden Moderne. Dabei teilen die in diesem Buch hochgelobten wie die verteufelten Dichter alle ein und dasselbe Schicksal: Sie sind heute vergessen. Doch geht es ums Prinzip: Der freigebige Kenner erinnert seinerseits am Beispiel Heinrich von Kleists an die einst hungernden und von den Zeitgenossen verkannten Autoren. Dem müsse abgeholfen werden – das Problem der Auswahl spielt keine Rolle.

Der Lyriker Liliencron legte als Prosaautor mit Der Mäcen eine fast experimentell zu nennende Collage aus Tagebuchnotizen, Erzählfragmenten, kulturkritischen Statements und einer en passant einfließenden Gedichtanthologie vor. Rainer Maria Rilkes Malte Laurids Brigge war von diesem Text beeinflusst wie überhaupt die fiktive Tagebuchliteratur der Moderne in ihrer auf das Fragment abzielenden Ästhetik. Die eingegliederte Leseliste umfasst neben der Bibel und Schopenhauer auch den einen oder anderen heute vergessenen Klassiker zu Lebzeiten. Wer liest heute Bismarcks Briefe?

Pabsts informatives Nachwort, Stellenkommentar und Bibliografie runden den gelungenen Band ab. Wer ihn zur Hand nimmt, möge Liliencrons Gedichte nicht vergessen.

Titelbild

Detlev von Liliencron: Der Mäcen.
Herausgegeben von Philipp Pabst.
Wachholtz Verlag, Neumünster 2013.
240 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-13: 9783529061196

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