Schriftsteller, Journalist und Weltreisender
Im Diogenes Verlag ist eine Auswahl der Reise-Reportagen von Hugo Loetscher erschienen
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher (1929-2009) hat sich immer die Frage gestellt, wie sich Journalismus und Literatur vertragen. Ist Literatur der Ewigkeit verpflichtet und Journalismus nur dem Tagesgeschehen? Bei Loetscher lässt sich aber zwischen Literatur und Journalismus eine Personalunion ausmachen. Als Schriftsteller sah er sich stets in einer gesellschaftlich-politischen Verpflichtung. So verfasste Loetscher neben seinem literarischen Werk rund 800 Artikel und Reportagen: u.a. für die Kulturzeitschrift DU, die Weltwoche, die Neue Zürcher Zeitung und Das Magazin des Tages-Anzeigers.
Der Diogenes-Sammelband So wenig Buchstaben und so viel Welt vereint eine Auswahl seiner Reise-Essays und Reportagen. Loetscher zog es schon früh in die Ferne. Kaum ein anderer Schweizer Schriftsteller hat dermaßen oft die Welt bereist. Diese Reiseleidenschaft hat auch sein literarisches Schaffen weitgehend geprägt. Die Neuerscheinung vermittelt eine repräsentative Übersicht der verschiedensten Themen, mit denen sich Loetscher auf seinen Reisen besonders intensiv auseinandergesetzt hat. Von der Schweiz aus brach er immer wieder in alle Himmelsrichtungen auf. Seine Reisen waren jedoch keine Realitätsflucht aus der „Enge“ der Schweiz; nach jeder Rückkehr überprüfte er das „Eigene“ aus der fremden Perspektive. Je ferner Loetscher die Riesen durch die verschiedenen Kulturen führten, desto näher kam er zu sich selbst zurück. Fortgehen und Rückkehr waren eine Einheit.
Auftakt der Diogenes-Auswahl bildet der Beitrag „Literatur und Journalismus“ aus dem Jahre 1999. Darin wies Loetscher auf die lange Tradition von Autoren weltweit hin, die auch journalistisch hervorgetreten waren. Eine seiner frühen Reisen führte ihn nach Portugal und die „portugiesische Welt“, deren Geschichte am Rande von Europa er in einem Essay verfolgte. Portugal war für Loetscher auch der Ausgangspunkt zu mehreren Reisen auf den afrikanischen Kontinent. Die kulturelle Vielfalt des amerikanischen Kontinents entdeckte er in Argentinien, in der Karibik, in den Vereinigten Staaten und seinem Sehnsuchtsland Brasilien. Von Portugal aus näherte sich Loetscher in den 1970er Jahren auch Asien und dann noch einmal dreißig Jahre später, wo er sich mit der Mischung von Traditionellem und Modernem in Ländern wie Thailand, China und Indien auseinandersetzte. Diese Reisen konfrontierten ihn außerdem mit der Kolonialgeschichte, mit Unterdrückung und Diskriminierung.
Neben diesen längeren Aufenthalten bereiste Loetscher auch die Welt der Antike oder des Mittelalters wie Ägypten, Griechenland, Karthago, Ravenna und Byzanz oder er unternahm kürzere Reisen innerhalb Europas, wobei ihn besonders Städte interessierten. Oft weilte er in Spanien (Salamanca, Toledo) und später auch in Kiew und St. Petersburg. Den Schlusspunkt der Anthologie setzt eine „Schweizstunde“ mit Beiträgen zu Reisen im Heimatland, gefolgt von seinem letzten größeren Beitrag „Was ist ein Schweizer?“ Loetschers Identifikation richtete sich dabei „auf ein Land von morgen, auf eine Schweiz, die Mitglied der EU ist“.
Loetscher hat sich zeitlebens auch mit dem Medium der Fotografie beschäftigt. Er setzte stets auf die Doppelwirkung von Text und Bild. So wurde er meist von bekannten Fotografen auf seinen Reisen begleitet. Falls das Budget dafür nicht ausreichte, griff er auch selbst zur Kamera. Die entstandenen Bilder verrieten dabei sein visuell geschultes Auge. Die Auswahl So wenig Buchstaben und so viel Welt versammelt insgesamt 35 Texte von Hugo Loetscher aus über sechzig Jahren als Reise-Journalist. Neben einem Nachwort Grenzverschiebung wird die Publikation durch einen Bildteil Hugo Loetscher unterwegs ergänzt mit zahlreichen Fotografien, Porträts und Dokumenten.
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