Von Mauritius nach Dschibuti
Die von Anita Djafari und Manfred Loimeier herausgegebene Anthologie „Nehmen Sie den Weg nach Süden“ präsentiert die Vielfalt subsaharischer Gegenwartsliteraturen
Von Martina Kopf
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBereits in seinem zum Klassiker postkolonialer Reflexion avancierten Essayband Decolonising the Mind (1986) spricht sich der seit vielen Jahren als möglicher Nobelpreisträger gehandelte Ngũgĩ wa Thiongʼo für afrikanische Sprachen als Literatursprachen aus. Europäische Sprachen würden, so prangert der aus Kenia stammende Autor an, als Herrschaftsinstrumente eingesetzt, was eine Degradierung afrikanischer Sprachen mit sich brächte. Das Schreiben in afrikanischen Sprachen schließe allerdings die Übersetzung keineswegs aus.
Vier Jahre nach dem Erscheinen von Decolonising the Mind war „Schwarzafrika“ 1980 Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse und hat es seither mit Ausnahme des Schwerpunkts „Arabische Welt“ 2004 nicht mehr auf diesen Ehrenplatz geschafft. Zwar fehlt es einige Jahrzehnte später immer noch an Übersetzungen aus afrikanischen Sprachen, aber seitdem erobern immer mehr subsaharische Autor*innen wie zum Beispiel Alain Mabanckou oder Chimamanda Ngozi Adichie den europäischen Buchmarkt. Das ist nicht zuletzt auch Litprom zu verdanken. Vor vierzig Jahren als „Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V.“ gegründet, setzt sich der Verein für die Vermittlung afrikanischer Literaturen ein, so auch kürzlich in Form eines Symposiums zu „African Perspectives“.
Der 40. Geburtstag von Litprom ist auch Anlass für die von Geschäftsleiterin Anita Djafari und Manfred Loimeier, Professor Afrikanischer Literaturen Englischer Sprache, herausgegebene Anthologie, die sich auf eine – so der Untertitel – literarische Reise durch Afrika begibt. Der Band bringt eine beachtliche Breite an afrikanischen Literaturen zusammen und führt uns von Mauritius u.a. über Mosambik und Äthiopien, nach Nigeria, um schließlich in Dschibuti anzukommen. Es handelt sich um eine Auswahl an subsaharischer Literatur, übersetzt aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen. Übersetzungen aus afrikanischen Sprachen fehlen, wie Herausgeberin und Herausgeber in der Vorbemerkung erklären: „Das bleibt als Aufgabe für die Zukunft bestehen, denn auch das ist Absicht und Ziel dieser Anthologie: Leerstellen ausmachen und Möglichkeiten ins Auge fassen, wie diese gefüllt werden können.“
Neben bereits prominenteren Stimmen wie Ngũgĩ wa Thiong’o (von ihm finden wir einen Auszug aus Wizard of the Crow (2006)), Alain Mabanckou oder Mia Couto, dessen Roman Jesusalem (2009) durch kluge Beobachtungen über unser Dasein beeindruckt, treten auch noch nicht von einer breiten Leserschaft entdeckte Autor*innen. Zum größten Teil sind Romanauszüge vertreten, aber auch Lyrik – von der 1993 in Südafrika geborenen Koleka Putuma – findet einen Platz. Ebenso vertreten ist kurze Prosa von der mehrfach ausgezeichneten Lesley Nneka Arimah, in deren Kurzgeschichte Fallobst es um ein schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis geht: Als die schwangere Tochter im Supermarkt ausrutscht, sich ihr Bauch „wie ein Knetball unter der Faust eines Kindes“ ausbreitete und sie das Kind verliert, freut sich die Mutter über das Schmerzensgeld.
Thematisch zeigt sich die Anthologie äußerst facettenreich: Der aus Angola stammende José Eduardo Agualusa schreibt in Eine allgemeine Theorie des Vergessens (2012) von der Zeit der angolanischen Revolution und einer Frau, die sich in ihrer Wohnung in Luanda für 30 Jahre einigelt, sich erst von Tauben ernährt, dann eine Hühnerzucht auf der Terrasse beginnt und den Krieg nur wie in Bruchstücken verfolgt. Auch Paulina Chiziane schreibt in ihrem Roman Wind der Apokalypse (1993) über den Bürgerkrieg, allerdings in Mosambik. Eine Gruppe von Flüchtlingen schlägt sich durch das Land, eine Frau bringt währenddessen ein Kind auf die Welt, ihr Mann wird kurze Zeit später im Bauch einer Boa gefunden. Sefi Atta schreibt dagegen in The Bead Collector (2018) über die Partys der High-Society in Nigeria in den 70er Jahren und Nii Ayikwei Parkes porträtiert in seinem Krimi Tail of the Blue Bird (2009) einen Gerichtsmediziner in Ghana.
Besonders beeindruckend ist der Auszug aus Nathacha Appanahs Blue Bay Palace (2006), in dem die aus Mauritius stammende Autorin verschiedene regionale Geburtstagstorten genauso wunderbar anschaulich beschreibt wie den Weg eines Schweißtropfens vom Ohr der jungen Protagonistin abwärts, während sie eine verhängnisvolle Begegnung mit einem attraktiven Mann macht. Ebenso faszinierend ist Yvonne Adhiambo Owuors Inszenierung einer Begegnung zwischen einem Kenianer und einem Engländer in ihrem Debüt Dust (2014). Nicht nur Babu hat dabei ein stereotypes England im Kopf, auch Isaiah kommt ohne vorgefertigte Afrikabilder kaum aus:
Er ließ den Blick über die Sardinen, den Knoblauch, den Pfeffer und die Cadbury’s Schokolade schweifen. Ein Kichern hinter ihm. Zwei Frauen mit kajalumrandeten Augen starrten ihn an. Eine von ihnen zwinkerte – ein träges Blinzeln mit langen Wimpern, das ihn an das der Kamele erinnerte. Isaiah grinste schief. Definitiv eine Welt, die besser kennenzulernen sich lohnte.
Da kann man in der Tat nur anknüpfen: Wer den „Weg nach Süden“ nehmen und die Vielfalt der subsaharischen Gegenwartsliteraturwelt kennenlernen möchte, wird diese sorgfältig zusammengestellte Anthologie sehr zu schätzen wissen.
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