Stählerne Romantik?
Gerrit Lungershausen untersucht Kriegsprosa der NS-Zeit
Von Jochen Strobel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseChristian Adam hat vor einigen Jahren mit seinem Buch Lesen unter Hitler das ganze Spektrum der massenhaft aufgelegten und gekauften Bücher der NS-Zeit vorgestellt. Kaum verwunderlich, dass Autorinnen und Autoren überwiegen, die dem literarisch Interessierten heute gewiss zu Recht nicht mehr bekannt sind. Dass sich Kriegsromane zwischen 1933 und 1940 einiger Beliebtheit erfreuten, kann gleichermaßen nicht überraschen, umso weniger, wenn man sich des kometenhaften Aufstieges dieses Genres seit dem Ende der 1920er Jahre erinnert. Erich Maria Remarques Bücher wurden 1933 verbrannt, der Autor von Im Westen nichts Neues ging ins Exil. Autoren wie Werner Beumelburg, der 1929 mit Gruppe Bosemüller einen handwerklich geschickt gemachten Pro-Kriegs-Bestseller abgeliefert hatte, blieben im Deutschen Reich und schrieben nach 1933 munter weiter. Unter den von Gerrit Lungershausen nun eruierten knapp 200 Kriegsromanen aus den ersten sieben Jahren der NS-Herrschaft überwiegen neben Edwin Erich Dwinger, Richard Euringer oder Ernst von Salomon Autorennamen, die nur einigen wenigen Spezialisten bekannt sein werden. Die Literaturwissenschaft hat sich bis heute dieser Texte kaum angenommen, die Scheu vor ästhetisch und vor allem moralisch Unzureichendem ist in der Literaturwissenschaft immer noch groß. Von den 15 auflagenstärksten der hier vorgestellten Bände wurden zusammengerechnet immerhin fast 5 Millionen Exemplare gedruckt. Schon Adam hat darauf hingewiesen, dass der Kriegsroman das beliebteste Genre in der NS-Zeit überhaupt war.
Der Verfasser setzt sich für eine Gattungsbezeichnung ‚Kriegsprosa‘ ein, die er, im Unterschied zu „Dorfgeschichte“ (ein allerdings vom ‚Erfinder‘ Berthold Auerbach selbst geprägter Begriff) oder zum „Abenteuerroman“ bislang vermisst. Es kommt ihm auf den vagen Fiktionsvertrag dieser Texte an, das Spiel mit der Zuschreibung des Erzählten zur Biografie des empirischen Autors, der in Paratexten oft auch als Weltkriegssoldat inszeniert wird. Erlebnishaftigkeit als grundlegendes Erzählprinzip und der Prozess der Vergemeinschaftung als Plot sind weitere Merkmale einer solchen Gattung. Dass alle Romane im Ersten Weltkrieg handeln, scheint übrigens nicht weiter der Rede wert zu sein. (Additiv wäre aber nach dem damals beliebten Genre des historischen Romans zu fragen, das jede Menge Gelegenheit zu narrativen Kriegsspielen bot.) Die hier versammelten Autoren konnten als die idealen Romanciers des „Dritten Reichs“ gelten, mit ihrem Zentralmotiv rührten sie an die Grundfesten des kommunikativen Gedächtnisses. Dass solcherlei Literatur einer neuerlichen geistigen Wehrertüchtigung zuarbeitete, dürfte evident sein.
Lungershausen hebt dann doch einige Romane hervor, und die exemplarischen Analysen müssen vieles zugleich sein: Sie stellen Entstehungs- und Publikationszusammenhänge vor, kontextualisieren poetologische Kennbegriffe wie „Schlichtheit“ und extrahieren NS-Ideologeme aus den Texten. Dies alles tut bei einer ersten Sichtung not, der Verfasser schreitet von Korpusbildung und statistischer Auswertung zu exemplarischer Inhaltsanalyse voran. Namen wie Bruno Brehm, Ulrich Sander, Clemens Laar oder Otto Paust fallen neben dem des schon erwähnten Beumelburg. Fluchtpunkte sind stets die Integration des Soldaten in die Frontgemeinschaft und anschließend wiederum in die Volksgemeinschaft, die er in der Heimat vorfindet. Anders als in den Kriegsromanen der späten Weimarer Republik haben die nach 1933 erschienenen die Vergeltung bereits im Blick, sie können ein Geschichtsnarrativ aufbieten, in dem nach dem Tiefpunkt von 1918 der Deutsche seit 1933 zu erneutem Gipfelsturm ansetzt.
Wertvolle Informationen bietet der Anhang mit biobibliografischen Angaben zu 188 Büchern von 128 Autor*innen, wenngleich gelegentlich Ungleichmäßigkeiten auffallen. Der jüdische Emigrant Arnold Zweig dürfte mit seinem 1935 bei Querido in Amsterdam erschienenen Roman Erziehung vor Verdun fehl am Platze sein.
Die Bedeutung der Monografie liegt vor allem darin, dass sie eine Fülle von Quellen bibliografisch und inhaltlich zugänglich macht. Methodisch gab es wohl kaum eine Alternative zu der geübten Variabilität in der Erschließungstiefe von Text zu Text. Die von Joseph Goebbels in den Künsten zu Zeiten nationalsozialistischer Herrschaft beobachtete „stählerne[] Romantik“ wäre gerade für die in allen Bevölkerungsschichten verbreitete und somit ungemein wirkmächtige Schemaliteratur noch präziser herauszuarbeiten. Der Propagandaminister hatte neben der Volkserziehung generell die Hinführung „zu Höherem“ benannt, neben der Adaption nationalsozialistischer Normen und Werte also durchaus ästhetische Genussfähigkeit als Zweck der zu fördernden Künste proklamiert. Gilt dies auch für die Kriegsprosa? Bedeutende jüngere Studien wie Christian Adams schon erwähntes Buch, Ine Van linthouts Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik oder auch Moritz Föllmers Einführung Ein Leben wie im Traum. Kultur im Dritten Reich führen uns näher an die Alltagskultur zwischen 1933 und 1945 heran. Auch die eher als individualistisch verschrienen Romanleser wurden – ähnlich wie Kinobesucher – zu Objekten eines umfassenden nationalsozialistischen Erziehungsanspruchs, indem zugleich mit Unterhaltung auslösenden Textelementen normen- und wertevermittelnde präsentiert wurden. Doch wie greifen Unterhaltung und Ideologisierung (oder ‚Bildung‘) ineinander? Finden sich nur typisierte Charaktere oder auch individualisierte – wird nur stereotyp erzählt oder sind auch Zwischentöne zu hören? Ob die Leser immer ahnten, wie ihnen geschah, ist heute nicht mehr zu klären. Was aber die vielgelesenen Texte in ihnen ausgelöst haben mögen, kann durch Detailstudien in unseren Vorstellungshorizont zurückgeholt werden. Gerrit Lungershausens Studie wertet erfreulicherweise enorm viel Material aus, ohne dass genauere Lektüren zu kurz kommen.
|
||