Eine Kafka-Autopsie als Comic

Robert Crumbs Graphic Novel „Kafka“ mit Texten von David Zane Mairowitz ist in einer Neuausgabe verfügbar und beweist für sich Klassiker-Status.

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Graphic Novels über den Jahrhundertschriftsteller Franz Kafka, dessen 100. Todestag wir gedenken, haben gerade Hochkonjunktur, wie überhaupt dieses Genre sich eines bemerkenswert großen Lesepublikums erfreut mit nicht minder vielfältigen Verlagsprogrammen. Zahlreiche Publikationen widmen sich aus aktuellem Anlass sowohl einzelnen Werken wie auch der Biografie des hier zur Debatte stehenden Autors. Die visualisierte Werkbiografie Kafka des Comic-Zeichners Robert Crumb ist bereits 1993 entstanden und passt nun mit einer Neuauflage als Taschenbuch wie bestellt ins Gedenk-Sortiment.

Damit ist Kafka und sein Werk längst nicht mehr nur Gegenstand literaturwissenschaftlicher Analyse und Kritik, ganz abgesehen von der Biografik, die immer wieder mal aufblüht, sondern auch ein Fall ästhetischer Interpretation und Auslöser für überbordende Bildfantasien und vorwiegend düstere Bildwelten in Schwarz-Weiß. Wobei sich hier wie dort die Frage stellt, ist das wirklich immer Kafka oder nicht eher das, was wir in ihm sehen wollen und oft ohne Scheu vor vulgärpsychologischen Ferndiagnosen? Die ich bei Crumb/Mairowitz allerdings nicht fand. Dennoch, bleibt nicht ausgerechnet er in und mit seinem Werk der Inbegriff des Enigmatischen, weshalb darin der Konjunktiv zum übermächtigen Normalfall wurde? Die Schriftstellerin Marlen Hobrack hatte es in einem Beitrag für die Wochenzeitung der Freitag wohl richtig erkannt: „Es gibt so viele Kafkas wie Kafka-Leser.“

Also, schauen wir uns die beiden Kafka-Leser Crumb und Mairowitz näher an. Zunächst ein paar Bemerkungen über den US-amerikanischen Comic-Zeichner Robert Crumb, der in den 1960er Jahren seine Karriere startete und heute als „Pate des Undergrounds“ gilt, wie es in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu seinem 80. Geburtstag im letzten Jahr zutreffend hieß. Fritz the Cat und Mr. Natural erhielten schon bald Kultstatus und standen für eine unverwechselbare Ästhetik, in der sich der Hippie-Zeitgeist ebenso widerspiegelte wie die Lust zur Provokation und zum Delirium quasi als Lebensmodus.

Im Zentrum standen immer wieder die Selbstauskünfte über die Weltsicht des Zeichners. Ängste spielten darin eine besondere Rolle und speziell die Angst vor Frauen, die immer körperlich drall, stets in Stiefeln und absolut dominierend und hemmungslos auftreten. Was Crumbs derben, geradezu sexpositiven, auch sarkastischen und von beißendem Humor durchsetzten Geschichten stets fehlte, das ist, was später political correctness hieß. Die eigenen Befindlichkeiten hatten klar Vorrang. Crumb bevorzugt einen realistisch beziehungsweise naturalistisch, durch feine Schraffierungen plastisch wirkenden Zeichenstil, der auf szenische und atmosphärische Dichte zielt.

David Zane Mairowitz war für den Text zuständig, der sich in jeweils kurzen Kommentaren weitgehend an Kafkas Biografie hält und so auch chronologisch verfährt, vermischt mit Zitaten aus den Werken und den Briefen Kafkas. Die Sprechblasen orientieren sich dialogisch ebenfalls weitgehend an die Werkvorgaben, wo immer einzelne von ihnen inhaltlich visualisiert werden – wie beispielsweise Das Urteil, Die Verwandlung, Das Schloss, In der Strafkolonie, Der Prozess und noch weitere. Mairowitz ist wie Crumb Jahrgang 1943, geboren in New York und lebt schon lange in Europa. Bekannt wurde er durch seine zahlreichen Hörspiele, in denen der Privatdetektiv Yevgeny Marlov die Hauptrolle spielt. Hinzu kamen Kurzgeschichten und Theaterstücke.

Kafka fällt mit Blick auf Crumbs Ästhetik keineswegs aus dem Rahmen, ist auch nicht experimentell, sondern gewissermaßen bestes konventionelles Bilderkino im Taschenformat. Ab und zu bedient sich Crumb für ein Symbolbild bei den Kunststilen des frühen 20. Jahrhunderts, ist hier mal expressionistisch, dort kubistisch und ein andermal scheint der Zeichner George Grosz Spuren hinterlassen zu haben. Die Kulissen der Bilderzählungen versuchen Kafkas Lebensorte wiederzugeben, also in der Hauptsache die Stadt Prag vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Wo immer der zeichnerische Blick sich den Werken zuwendet, gibt er die Handlungsorte getreu wieder. Die Person Kafka wie auch seine Familie und alle Personen, die um ihn herum eine Rolle spielten, porträtiert Crumb realistisch nach Fotovorgaben.

Nicht dass uns Crumb und Mairowitz einen neuen, unbekannten Kafka erzählen würden, nein, aber sie schaffen in Bild und Text ein durchaus überzeugendes Psychogramm eines von Ängsten gejagten Menschen. Das gelingt dem Angst-Spezialisten Crumb besonders eindringlich, während die Texte vor und neben den Zeichnungen stets knapp wesentliche Details einstreuen, wie sie Mairowitz in den Tagebüchern und Briefen fand. Schon beim Öffnen des Buchs schockt das erste Bild: Kafkas Kopf wird mit einem „Selchermesser“ (einem extrabreiten Metzgermesser) in hauchdünne Scheiben geschnitten, währen das Blut in alle Richtungen spritzt. Vernichtungsfantasien jeglicher Art sind bei Kafka keine Seltenheit und Crumb erweist sich als Meister horrorgetränkter, bluttriefender Bilder.

Kafkas Verhältnis zum Judentum wird thematisiert wie auch die Geschichte des jüdischen Prag samt Golem und ebenso der allgegenwärtige Antisemitismus. Hinzu kommt der Nationalitätenkonflikt, dann der Erste Weltkrieg und sein Ende, der alles radikal verändert. Die Bildgeschichten durchzieht wie ein roter Faden das schwierige Verhältnis zum Vater: „Das Schreiben war für ihn sowohl Flucht vor dem Vater wie auch Rache an ihm.“ Und: „Fast alles, was über ihn gesagt oder geschrieben wurde, kann man in seinem berühmten Brief an den Vater (1919) finden: Nichts in seinem Leben – aber auch gar nichts – entging seinem forschenden Blick.“

Ebenfalls breiten Raum nehmen Kafkas Frauen ein und so auch die Probleme, die er mit ihnen hat, sobald Sexualität ins Spiel kommt, die nur „Sehnsucht nach Schmutz“ sei. Wo es um Felice Bauer geht und um eine Beziehung, die vor allem in Briefen bestand, zitiert Mairowitz Kafka: „Alles Unglück meines Lebens kommt von Briefen“. Ganz anders dann das Verhältnis zu Milena Jesenska und schließlich zu Dora Diamant. Auffallend auch, so Mairowitz, wie „K“ im Roman ständig in weiblicher Gesellschaft ist – „und an unterschwelliger erotischer Spannung wird es nie fehlen“. Also auch das. Frauen seien Fallen, soll Kafka gesagt haben. Mit Blick auf Crumbs Ängsten vor Frauen, trafen da offensichtlich verwandte Vorstellungswelten zusammen.

Dass Kafka auch lachen konnte, dass ihn die Märchenhaftigkeit des jiddischen Theaters faszinierte, dass er sich auf einen „feinen jüdischen Witz“ verstand und einen abgründigen Humor kultivierte, das attestieren ihm Mairowitz und Crumb. Wo es um den Roman Der Prozess geht, heißt es: „Hier wird uns Kafka, der Nachtschreiber, besonders deutlich: die Präzision, der Humor und der Mangel an direktem Gefühl, womit er alle seine Albträume beschreibt.“

Der Zugang zu Kafka und seinem Werk ist bei Crumb und Mairowitz thematisch breit angelegt und wirkt durch die markanten Bildern einprägsam. Das ist unbedingt ein Plus dieser Graphic Novel, die noch einen Schritt weitergeht und gelegentlich die Kafka-Rezeption in den Blick nimmt, um sich über die „Kafkalogen“ lustig zu machen und über die Verkitschung und Vermarktung – und darüber, dass das Adjektiv „kafkaesk“ wahrscheinlich berühmter ist als die Bücher selbst.

Die nüchterne, gefühllose Unerbittlichkeit in Kafkas Sprache findet auf eine gewisse Art eine Entsprechung in der gleichermaßen drastischen Bildmächtigkeit von Crumbs Zeichnungen. Es war jedenfalls eine Erfahrung wert und offenkundig gibt es ein großes Publikum für solche sinnlichen Engführungen. Ich persönlich bleibe bei der Macht des Wortes, aber der Ausflug zu Robert Crumbs Kafka-Autopsie war jedenfalls beeindruckend.

Titelbild

David Zane Mairowitz / Robert Crumb: Kafka.
Aus dem Amerikanischen von Ursula Grützmacher-Tabori.
Reprodukt Verlag, Berlin 2024.
175 Seiten , 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783956404023

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