Make Wissenschaft great again

Warum wir für die Unabhängigkeit der Hochschulen unsere Stimme erheben müssen

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler und Stefanie von WietersheimRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie von Wietersheim

Rätsel des Lebens. Warum, um Himmels willen, möchte Donald Trump die Geschichte nicht-weißer Menschen und nicht männlicher Personen aus der Präsentation der nationalen Museen in den Vereinigten Staaten Amerikas herausdimmen? Warum streicht er Zuschüsse für Inklusionsprogramme und will unbedingt die Deutungshoheit über die US-amerikanische Geschichte in seinen Händen halten? Warum hält er ehrenvolle Medien wie die New York Times für seine Feinde? Warum ist ihm die noble Harvard University im amerikanischen Cambridge eine dermaßen verhasste Einrichtung, dass er ihr den steuerbefreiten Status entziehen will?

In einem der zahllosen Dekrete des derzeitigen US-amerikanischen Präsidenten wurde soeben bestimmt, dass schon allein die Stichwörter Frau, Ungleichheit und Gender dazu führen, dass bereits bewilligte Forschungsprojekte gestrichen, zumindest keine staatliche Unterstützung erhalten werden. Vorgeblich geht es ihm darum, die Hochschulen von antisemitischen, antiamerikanischen, „marxistischen“ und „radikal linken“ Ideologien zu befreien.

Im März 2025 erließ Donald Trump zudem eine Executive Order, in der behauptet wurde, dass das „Smithsonian‘s National Museum of African American History and Culture“ in Washington D.C. amerikanische und westliche Werte als „inherently harmful and oppressive“ darstelle, und kündigte ein Ende der Finanzierung von Ausstellungen an, die angeblich „gemeinsame amerikanische Werte degradierten, Amerikaner durch Rasse trennten und Ideologien unterstützten, die mit dem Bundesgesetz unvereinbar“ seien.

Es ist eindeutig, worum es dem amerikanischen Präsidenten – der sich nun schon selbst als der nächste Papst postet – und seinen Spießgesellen geht: Sie führen eine Art Kulturkampf, in dem einer vermeintlich zu „woken“ Populär- und Hochkultur das Wasser abgegraben, jedenfalls der bundesstaatliche Geldhahn abgedreht werden soll. Frauen? Sollen möglichst viele Kinder bekommen. Nachkommen der indigenen Bevölkerung? Brauchen keine Extra-Förderung, genauso wenig wie Bürgerinnen und Bürger mit schwarzer Hautfarbe. Der Angriff auf die Universitäten, die er mit angedrohten Milliardenkürzungen auf seine weltanschauliche Linie bringen will, ist dabei das klarste Zeichen seiner Denkweise: Wissenschaft ist gefährlich! Schon das zu lange Nachdenken über Geschichte ist gefährlich!

Auch hier zeigt sich wieder: Autoritäre Regime nehmen die Macht von Kultur – Wissenschaft und Kunst vor allem – sehr ernst. Nicht umsonst zeigten die Nazis die berüchtigte Ausstellung „Entartete Kunst“ mit damaligen Avantgarde-Werken, kämpften gegen das Bauhaus und zelebrierten Bücherverbrennungen. Dass die Macht der Kultur den Mächtigen als gefährlich gilt, ist ja eigentlich etwas sehr Schönes – wenn ihre Reaktionen nicht so schrecklich wären.

Umso wichtiger ist es, sich in der derzeit so aufgeladenen Situation zu fragen, warum die für Trumps Truppe eher nerdigen und vermögenslosen Grottenolme mit Professorinnen-Titeln in American History so eine Bedrohung sind? Die Antwort ist einfach: Weil sie ihren Studentinnen und Studenten ein Koordinatensystem vermitteln, in dem diese neue Sachverhalte einordnen, vergleichen und bewerten können. Und dieses Koordinatensystem ist nicht das, das die MAGA-Bewegung schätzt. Ganz im Gegenteil!

Zudem sind die Verbindungen zwischen Universitäten und Museen eng, denn die Hochschulen bilden überwiegend den Pool, aus dem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Kuratoren und Ideengeber hervorgehen. Die an den Hochschulen eingeübten Methoden – kritisches Denken, die Einordnung in den historischen Kontext, sorgfältiger Umgang mit Quellen, offene Diskussion – sind eng verbunden mit den für Trump unbequemen Grundideen der Aufklärung, die Fake News als das überführen können, was sie sind: Lügen.

Ja, Trump und seine Gang, die sich nun auf den Sofas des Oval Office räkelt, haben vollkommen Recht: Universitäten als zentrale Stätten der akademischen Wissenschaft sind ihre Feinde! Denn so unbequeme Wissenschaften wie beispielsweise soziologische Ungleichheitsforschung, Gender Studies und Postcolonial Studies schaffen empirisch valide Erkenntnisse, die nicht in die schlichten Weltbilder dieser pöbelnden Truppe halbgebildeter Proleten passen.

Ohne die Gender Studies beispielsweise wäre vermutlich immer noch nicht wissenschaftlich fundiert erkannt worden, dass medizinische Studien jahrzehntelang ausschließlich an männlichen Patienten durchgeführt wurden, mit Medikamenten, die für Männer „harmloser“ erscheinen, für Frauen jedoch sehr viel stärkere Nebenwirkungen haben. Ohne die wissenschaftliche Klimaforschung würde die Menschheit wahrscheinlich immer noch glauben, dass die Häufung von Starkregen, Hochwasserkatastrophen und Dürreperioden keinerlei Zusammenhänge haben mit ihrer ressourcenvernichtenden Lebensweise. Ohne die wissenschaftliche Soziologie wüsste die Menschheit nicht hinreichend Bescheid über die Konstruktionsprinzipien sozialer Ungleichheit und über die Prozesse sozialer Auf- und Abstiegsprozesse in allen menschlichen Gesellschaften.

Schauen wir nicht nur entsetzt in die USA. Auch die von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth promovierte Alice Weidel, Co-Vorsitzende der soeben vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuften „Alternative für Deutschland“ (AfD), hat mehrfach öffentlich gefordert, dass Professuren für Gender Studies an deutschen Hochschulen aufgelöst und deren Lehrende entlassen werden sollen. Sollte diese Partei je an die dafür vorgesehenen institutionellen Schaltstellen im Bund und in den Ländern gelangen, werden, so die gesicherte Vermutung, Klimawissenschaften, Gender Studies und Sozialwissenschaften ins Visier dieser wissenschaftsfeindlichen Truppe geraten. Wie in den USA sind das alles nur unbequeme Mahner gegen die populistischen Schreihälse, deren vorherrschendes „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist, so das Bundesamt für Verfassungsschutz. Unsere zornigen Grüße gehen an dieser Stelle an Weidels amerikanische Geistesfreunde, die jetzt schon dafür verantwortlich sind, dass es an einigen US-Universitäten zu einem Braindrain kommt. Der Historiker Timothy Snyder hat die Yale University verlassen und wird fortan wie seine Fachkollegin Marci Shore und der Philosoph Jason Stanley an der Universität Toronto in Kanada forschen. Viele weitere werden folgen. Ob sie auch nach Deutschland kommen wollen, wird nicht zuletzt von den politischen Entwicklungen in den nächsten Monaten abhängen.

Ist völkischer Rassismus eine Meinungsfrage?

Den auch kulturell autoritär denkenden Politikern der deutschen Rechten ist eine Nachhilfestunde zu raten bei der Frage: Was unterscheidet eine „Meinung“ von wissenschaftlichem „Wissen“? Denn der Dreiklang Glauben-Meinen-Wissen markiert ein Spektrum, bei dem viele Menschen keinerlei Unterscheidung machen können oder wollen.

Was ist eine Meinung? Fragen wir erneut unsere Freunde Jacob und Wilhelm Grimm und ihr Deutsches Wörterbuch: Klug, wie sie sind, nennen sie eine Meinung jene „Handlung des Meinens, in den verschiedenen Bedeutungen des Verbums meinen“. Was aber ist diese Handlung des „Meinens“? Auf fünf engbedruckten Seiten destilliert sich heraus, was darunter verstanden werden kann: „etwas in bestimmter Weise auffassen“. Sehr viel mehr lässt sich wohl auch heute nicht über dieses menschliche Handeln sagen: Menschen halten manches für wahr, aus diesem Fürwahrhalten wird dann ihre Meinung. Von „Glauben“ sprechen wir, wenn Menschen eine Aussage für „wahr“ halten, ohne objektiv zureichende Begründungen angeben zu können. „Ich glaube, dass …“ ist zumeist das Ende des Arguments.

Was sind jedoch die Unterschiede von Meinen und Wissen? Lassen Sie es uns an dieser Stelle sehr schlicht formulieren:

Wer behauptet, dass die Erde keine Kugel, sondern eine Scheibe sei, muss diese Behauptung durch das Vorlegen eigener empirischer Beweise belegen. Dabei wird sich zeigen, dass sich auch das hartnäckigste Mitglied der Flat Earth Society mit empirischen Belegen auseinandersetzen muss, die durch sehr einfach nachvollziehbare statistische Methoden die Existenz der Erdkrümmung beweisen. Wissenschaftler haben gezeigt, dass Statistik die ideale Methode ist, eine Reihe umstrittener Fragen abschließend zu beantworten, unabhängig sowohl von physikalischen Grundannahmen als auch von ideologischen Paradigmen. Die Hypothese einer Nullkrümmung der Erdoberfläche hält dem Nachweis einer gekrümmten Erdoberfläche (Spherical Earth) nicht stand. Anhand von Ergebnissen der simplen Messung von Flugdauern entlang der Nord-Süd-Achse und der Ost-West-Achse lässt sich das beweisen. Wer dennoch bei seinen Zweifeln bleiben will, stellt sich außerhalb der Realität. Und damit außerhalb der evidenzbasierten Wissenschaft. Ein Blick aus den Fenstern der Raumstation ISS würde bei der Wahrheitsfindung helfen.

Unter Berufung auf die Ausführungen von Max Weber und Karl Popper über die Unterscheidung zwischen Meinen und wissenschaftlichem Wissen sind auch wir der festen Gewissheit, dass für die Akzeptanz oder Ablehnung einer Theorie oder empirischer Befunde durch die scientific community die außerwissenschaftlichen, persönlichen oder gesellschaftlichen Normvorstellungen der Wissenschaftler nicht ausschlaggebend sind. Und genau das fürchten die Feinde der Wissenschaft, gestern und heute, überall auf der Welt.

Im Vergleich zum Glauben laden Meinen und Wissen zum Erbringen von „Beweisen“ ein. Die menschlichen Aktivitäten des Glaubens, des Meinens und des Wissens scheinen dermaßen wichtig zu sein, dass sie in zwei aufeinanderfolgenden Artikeln unserer Verfassung, dem „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ (GG) genannt werden:

Im Artikel 4, unter der Überschrift „Glaubens- und Gewissensfreiheit“, steht:

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

In Artikel 5, unter der Überschrift „Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft“, steht:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Lassen Sie uns den Unterschied von „Meinen“ und „Wissen“ an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen: Im Auftrag des schleswig-holsteinischen Justizministerium hatte die Staatsanwaltschaft Flensburg zu prüfen, ob die rassistischen Gesänge in einer Bar auf Sylt im Frühjahr 2024, bei denen zum Lied L‘amour toujours die Parolen „Ausländer raus! Deutschland den Deutschen!“ gegrölt wurden, den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllten. Die Staatsanwalt kam zu dem Ergebnis, dass keine Anklage erhoben wird, da dieses Geschehen vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei. Die Staatsanwaltschaft teilte jedoch mit, dass lediglich gegen einen heute 26-jährigen Klage erhoben wurde. Es sei beantragt worden, ihn wegen eines „winkenden Grußes“ mit ausgestrecktem Arm und der Andeutung eines „Hitlerbärtchens“ mit einem Strafbefehl zu verwarnen. Als Bewährungsauflage wurde ihm auferlegt, 2.500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen. Die Staatsanwaltschaft sieht den Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erfüllt. Das ist alles eine juristische Einschätzung, eine juristische Meinung, bei der das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung entscheidend sind. Das ist kein wissenschaftliches Wissen.

Die Prüfverfahren gegen zwei weitere Männer und eine Frau wurden hingegen eingestellt. Das Rufen der Parolen „Ausländer raus! Deutschland den Deutschen!“ erfülle nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Weder der Inhalt der Parolen noch die Gesamtumstände ließen nach Abschluss der Ermittlungen den zweifelsfreien Rückschluss zu, dass eine aggressive Missachtung und Feindschaft in der Bevölkerung erzeugt oder gesteigert werden sollten. Dies wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber Voraussetzung für den Straftatbestand der Volksverhetzung.

Wir wissen nichts über die politische Positionierung jener Schreihälse aus der Pony Bar auf Sylt. Aber, dass die gejohlten Parolen „Ausländer raus. Deutschland den Deutschen“ den propagandistisch verbreiteten Positionen der sogenannten „Alternative für Deutschland“ ähneln, wird wohl kaum zu bestreiten sein. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stellte nun soeben fest, dass diese Partei darauf abziele, bestimmte Bevölkerungsgruppen „von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen“ und ihnen „einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen. […] konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern nicht als gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes.“

Das BfV sieht darin die Grundlage für die Agitation der AfD: „Dies zeigt sich in der Vielzahl fortlaufend getätigter fremden-, minderheiten- sowie islam- und muslimfeindlicher Äußerungen von führenden Funktionärinnen und Funktionären der Partei. […] Begriffe wie ‚Messermigranten‘ oder die generelle Zuschreibung einer ethnokulturell bedingten Neigung zu Gewalt“ seien Ausdruck dieser Haltung.

Für uns Nicht-Juristen stellt sich die Frage: Wo, bitte schön, ist der Unterschied zwischen den Schreihälsen von Sylt und den ebenfalls gebrüllten fremdenfeindlichen Parolen des ehemaligen Oberstudienrats Björn Höcke, der im hessischen Bad Sooden-Allendorf bis zum September 2014 das Fach Geschichte unterrichtete? Ist die Forderung der Fraktionsvorsitzenden Weidel der „Remigration“ von unerwünschten Menschen tatsächlich von der Meinungsfreiheit gedeckt? Wir haben offene Fragen an die Flensburger Staatsanwälte.

Wir wünschen unseren Kolleginnen und Kollegen an Hochschulen, Schulen, in Museen und Verlagen auf der ganzen Welt jedenfalls die Freude am offenen Wort – und den Mut, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Wenn es denn eine Meinung ist, die nicht zur Verhetzung von Menschen anleiten will.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zur monatlich erscheinenden Kolumne „Rätsel des Lebens“ von Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim.