Ein Regime sieht rot

Renée Nault hat Margaret Atwoods „Report der Magd“ als Graphic Novel adaptiert

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Margaret Atwoods 1985 erschienener dystopischer Roman Der Report der Magd dürfte die wohl bedeutendste Publikation der an Erfolgen nicht eben armen Autorin sein, die in zahlreichen Textsorten unterwegs war und deren literarisches Œuvre allein zwei Dutzend Romane und Erzählbände umfasst. Der Report der Magd, den seine Verfasserin nicht als Science-Fiction-Roman verstanden wissen will, weil den Frauen in ihm nichts angetan wird, was ihnen nicht tatsächlich bereits in der realen Welt zugefügt wurde oder immer noch wird, wird nicht nur von der Kritik in höchsten Tönen gepriesen, er dürfte auch auf der Beliebtheitsskala des Publikums der Spitzenreiter ihres Œuvre sein. Sein Inhalt wird hier also nicht referiert werden müssen.

Fünf Jahre nach ihrem Erscheinen wurde Atwoods Dystopie von Volker Schlöndorff als Die Geschichte der Dienerin verfilmt. Zudem dient sie seit drei Jahren als Vorlage für eine äußerst erfolgreiche Fernsehserie, deren erste Staffel in etwa dem Geschehen des Romans entspricht. Da kann natürlich auch eine Adaption als Graphic Novel nicht ausbleiben.

Während Herzogs Film nicht uneingeschränkten Beifall gefunden hat, jagt die TV-Serie von einem Erfolg zum anderen. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass Atwood selbst nicht nur voll des Lobes für sie ist, sondern auch schon mal in den über das Geschehen des Romans hinausgreifenden Plot eingreift. Was nun die Graphic Novel betrifft, so ist die Literatin an ihr ebenfalls nicht ganz unbeteiligt, hat sie den Text des Romans doch für sie aufbereitet. Offenbar allerdings, ohne allzu sehr in ihn einzugreifen. Schließlich folgt die Adaption dem Roman weithin getreu bis in die Formulierungen hinein. Nur gelegentlich wurde die Sprache mit legeren Wendungen ‚modernisiert‘, was eher befremdlich wirkt.

Ins Bild gesetzt wurde die Story von Renée Nault, die wie Atwood aus Kanada stammt. Die in ihrer Heimat nicht ganz unbekannte Künstlerin zeichnet mit einfachen, klaren Strichen und koloriert mit Aquarellfarben, wobei den einzelnen ‚Kasten‘ der Frauen wie schon im Roman bestimmte Farben zugeordnet sind. Rot für die Mägde, Grün für die in Küchen und Haushalt beschäftigten Marthas und Blau für die Frauen der Kommandanten. Den die zukünftigen Mägde für ihre Aufgabe zurichtenden Tanten ist eine nicht definierbare Unfarbe zugeordnet. In eben diesen Farben sind auch die Räumlichkeiten der jeweiligen Frauen gehalten. Das Zimmer der Protagonistin Desfred ist rot, die Küche grün, der Salon der Madam blau. So spiegelt die fast monochromatische Farbgebung der Bilder das karge, freud- und farblose Dasein der Frauen wieder. Verstärkt wird dies dadurch, dass die Zeichnungen auf das Wesentliche reduziert sind. Bei den Räumlichkeiten des Kommandanten verhält es sich etwas anders. Doch bleiben seine Farben blass, während das Rot der Mägde geradezu schmerzt. Gelegentliche Erholung für die Augen bieten allein die raren, in milden Farbtönen gehaltenen Bilder frühlingshafter oder sommerlicher Grünanlagen, von denen es in Gilead ausgesprochen wenige gibt. Und die graue Stadt verlassen dürfen die Mägde selbstverständlich nicht. Wirklich farbenfroh dargestellt sind nur die Erinnerungen Desfreds an die Zeit vor Gilead.

Auf den sich nach unten ballonartig wölbenden Kleidungsstücken der Mägde sitzen winzig kleine entindividualisierte Köpfe, die zudem durch die scheuklappenförmigen Hauben verborgen bleiben. Nur wenn Desfred und ihre rebellische Freundin einmal aus der Nähe zu sehen sind, erhalten sie eigene, auch typisierende Züge.

Ins Auge fällt, dass alle ProtagonistInnen, ja überhaupt fast alle Figuren hellhäutig sind. Die Zeichnerin könnte damit zweierlei zum Ausdruck bringen wollen: Zum einen, dass Gilead Wert auf ‚Rassenreinheit‘ legen könnte, worauf es im Roman allerdings keinerlei Hinweise gibt, oder aber sie will die Uniformität und die Austauschbarkeit der Mägde und anderen Frauen verbildlichen. Nur sehr gelegentlich taucht doch einmal eine dunkelhäutigere Figur auf, zumeist gerade in gleichförmigen Massenaufläufen, zum Beispiel wenn Mägde oder von der Front zurückkehrende Soldaten in Reih und Glied stehen, aber auch in Jezebels Welt, dem Bordell Gileads. Wirkliche ethnische Vielfalt aber gibt es nur in Desfreds Erinnerungen an die Welt vor dem Gottesstaat Gilead, oder in den aus damaligen Zeiten herübergeretteten Modeheften.

Nault ist es nicht schlecht gelungen, Atwoods Dystopie visuelle Gestalt zu verleihen. Die unvermittelten Szenenwechsel zwischen dem aktuellen Geschehen, Desfreds Erinnerungen und ihren Reflexionen aber sind weit verwirrender als im Roman. Wer den Roman noch nicht kennt, könnte durch Naults Arbeit angeregt werden, ihn zu lesen.

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Margaret Atwood: Der Report der Magd. Graphic Novel von Renée Nault.
Übersetzt aus dem Englischen von Ebi Naumann.
Berlin Verlag, Berlin 2019.
256 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783827014054

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