Viel mehr als ein Handbuch

Claudia Mast bringt in „ABC des Journalismus“ die Bedeutung eines tiefen Strukturwandels für eine ganze Berufsgruppe fundiert auf den Punkt

Von Justus MakollusRSS-Newsfeed neuer Artikel von Justus Makollus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass sich die Arbeitswelten in Zukunft radikal verändern werden, ist heute beinahe eine Binsenweisheit. Durch digitale Technik, verändertes Konsumverhalten, geringere Aufmerksamkeitsspannen bei Rezipienten und der fast schon lückenlosen Transparenz jeglicher Mediennutzung haben sich auch die Anforderungen an Professionalität und Arbeitsstrukturen geändert. Traditionelle Berufsfelder müssen sich den sich verändernden Gegebenheiten anpassen, wollen sie ihre Stammkunden halten oder neue dazugewinnen.

Für den Journalismus als eines der renommiertesten und gleichzeitig am heftigsten kritisierten Felder gilt dies in besonderem Maße: Klassische Nachrichtenformate, deren Ziel in der reinen Vermittlung seriöser Inhalte und Informationen besteht, sinken in der Gunst der Rezipienten, während die persönliche Ansprache des Lesers/Zuschauers/Zuhörers immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es gilt also, sich auf diese Wandlungen einzulassen und die Transformationen journalistischer Strukturen zu nutzen. Gleichzeitig ist es aber ebenso wichtig, die Integrität informierender, objektiver Formate nicht zugunsten eines boulevardesken, allein auf den Geschmack des Publikums zielenden Journalismus aufzugeben.

In ihrem Standardwerk ABC des Journalismus, das in der mittlerweile 13. Auflage erschienen ist, hebt die Kommunikationswissenschaftlerin und Herausgeberin Claudia Mast die Bedeutung dieses Strukturwandels besonders hervor: So trägt gleich das erste Kapitel die Überschrift „Mediensystem im Umbruch“. Darin wird insbesondere das Auftreten digitaler Angebote journalistischer Inhalte thematisiert, ebenso wie der Einfluss der Digitalisierung auf Arbeitsweisen von Journalisten, beispielsweise bei der Verwendung von Suchmaschinen für die Recherche:

„Eine herausragende Bedeutung bei der journlistischen Recherche kommt Google zu. In deutschen Redaktionen wird keine Suchmaschine stärker genutzt, sodass manche bereits von einer „Googleisierung“ des Journalismus sprechen. Es besteht die Gefahr, dass die Nutzung von Google zu Lasten anderer Informationsquellen geht, die möglicherweise besser geeignet, aber schlechter verfügbar sind.“

Das Internet, seine Mechanismen, seine Werkzeuge und auch die damit verbundenen Risiken für den modernen Journalismus nehmen thematisch großen Raum in diesem Buch ein. Wenn in den nachfolgenden Kapiteln über Journalistik als Fach, Publikumsforschung oder Redaktionsmanagement ausführlich geschrieben wird, so geschieht das immer vor dem Hintergrund der zu Beginn festgestellten Modifikationen beziehungsweise Transformationen im gesamten Arbeitsbereich.

Was Journalismus bisher kennzeichnete, nämlich Ereignisse und Hintergründe gut recherchiert und seriös aufbereitet zur Verfügung zu stellen, wird durch die permanente Verfügbarkeit von Informationen und den Verlust der Deutungshoheit darüber vor neue Herausforderungen gestellt:

„Durch das Internet wird die traditionelle Rolle von Journalisten als Gatekeeper ergänzt oder teilweise sogar hinfällig. Internet-Öffentlichkeit funktioniert anders als die Öffentlichkeit in traditionellen Medien. Die „Schleusen“ stehen offen, da prinzipiell jeder Informationen veröffentlichen kann – etwa auf eigenen Internet-Angeboten oder in Weblogs und auf anderen Plattformen.“

Der Journalist ist damit nicht mehr der alleinige Gewährsmann für eine Nachricht, sondern sie kann heute aus fast beliebig vielen Blickwinkeln publik gemacht werden, sodass ein Nachrichtenmedium hier nur noch eine Position unter mehreren einnimmt. Das bedeutet, dass sich der Journalist neue Wege suchen muss, um sein Publikum weiter zu erreichen. Dabei ist der Grat zwischen Information und Infotainment allerdings schmal:

„Klassische Nachrichten- und Magazinformate im Fernsehen setzen auf Information, obwohl es auch hier – angestoßen von den privaten, kommerziellen Sendern – zu einer lockeren Präsentation der Inhalte gekommen ist. Viele Formate setzen auf Infotainment. Informationen werden leicht konsumierbar aufbereitet und unterhaltsam präsentiert.“

Das Handbuch ABC des Journalismus zeichnet sich dadurch aus, dass es die Problematiken des modernen Journalismus gezielt aufgreift und es, wie beschrieben, zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen macht. Denn auch wenn zum Journalisten mehr gehört als der Umgang mit Neuen Medien – das „klassische“ Handwerk wird keineswegs vernachlässigt –, so baut doch mittlerweile das Verständnis der Medienschaffenden und ihrer Konsumenten auf den Eigenschaften digitaler Medien auf. Unvorstellbar, dass nicht über soziale Netzwerke, Kurznachrichtendienste oder Foto- und Bewegtbildangebote Inhalte verfügbar gemacht werden, die die Papierform beinahe altmodisch erscheinen lassen.

Es bedarf so gesehen eines Journalismus, der sich diesen Herausforderungen annimmt und seine exponierte Stellung, die er sich über Jahrhunderte der praktischen Erfahrung erarbeitet hat, nicht einfach aufgibt. Denn das würde bedeuten, die immanente Professionalität zu verwässern und Stimmen Gehör zu verleihen, deren Ziel eine reine Publikumswirkung und nicht mehr die Vermittlung von Wissen und Hintergründen ist.

Somit bedeutet Journalismus eine stabilisierende, existenzielle Tätigkeit, deren Grundlagen, Werkzeuge und Wandel wissenschaftlich untersucht und aufgearbeitet werden müssen. ABC des Journalismus übernimmt diese Aufgabe und muss als unverzichtbares Instrument bei der Betrachtung des Journalismus als Berufsfeld gelten.

Titelbild

Claudia Mast (Hg.): ABC des Journalismus. Ein Handbuch.
13., völlig überarbeitete Auflage.
Herbert von Halem Verlag, Köln 2018.
594 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783744508216

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