Hang zum Untergang
Matthias Politycki schickt in „Alles wird gut“ einen weißen Mann quer durch Äthiopien in sein persönliches Verderben
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMatthias Politycki liebt das Reisen, die Begegnung mit Menschen auf allen Kontinenten. Ebenso liebt er es, in seinen Erzählungen und Romanen von solchen Reisen zu erzählen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, sich auf Gelände zu begeben, das durch postkoloniale Diskurse kartiert ist. So schickt er in seinem neuen Roman Alles wird gut abermals einen europäischen Mann mittleren Alters in eine ferne Weltregion. Joseph „Joe“ Trattner heißt er: „siebenundvierzig Jahre, eins achtundachtzig, fünfundachtzig Kilo, blaue Augen, gescheiterter Schaumstoffhallodri und geschasster Grabungsleiter mit Gold im Haar …“
Trotz eines abgebrochenen Studiums hat der ehemalige Künstler – sein Markenzeichen waren rosa Schaumstoffsofas – über Jahre ein Ausgrabungsprojekt im Norden Äthiopiens geleitet, das ihm aus Freundschaft von einem Archäologie-Professor der Universität Wien anvertraut wurde. Nach und nach sind die Dinge jedoch außer Kontrolle geraten, deshalb beschließt er Anfang 2020, der Entlassung zuvorzukommen und eine Reise durch Äthiopien zu unternehmen. Es gärt spürbar im Land, ein paar Monate später wird der Bürgerkrieg ausbrechen. Seine beiden einheimischen Mitarbeiter Weraxa und Mulugeta dienen ihm als Führer und Dolmetscher. Ziel der Reise ist die südwestliche Grenzregion, wo streitbare indigene Völkern beheimatet sind. Ihre „Exotik“ reizt Trattner, doch als er in einem Dorf des Stamms der Suri Zeuge wird, wie eine stolze, rebellische Frau brutal gezüchtigt wird, ist er schockiert. Er möchte eingreifen, Gerechtigkeit schaffen, wird aber von seinen Begleitern zurückgehalten. Tags darauf steigt diese Frau, Natu, bei ihnen ins Auto, um mit ihnen mitzufahren. Trattner weist sie nicht ab.
Damit beginnt ein Roadtrip, der permanent zwischen Flucht und Suche, Nähe und Fremdheit changiert. Politycki erzählt wunderliche Geschichten: von Begegnungen mit Menschen und Tieren, von atemberaubenden Orten und archaisch anmutenden Gebräuchen, von intakten Traditionen und touristischen Inszenierungen. Mitten drin Trattner, der von Natu fasziniert ist und sich zugleich vor ihr fürchtet. Er verliebt sich stumm in sie. Weil sie keine gemeinsame Sprache haben, entwickelt sich zwischen ihnen ein Spiel aus kleinen Gesten, das Politycki mit großer Behutsamkeit beschreibt. Über die kulturellen und sprachlichen Barrieren hinweg gibt es für Trattner ohnehin keine Gewissheit, was die Einheimischen, speziell Natu, in ihm sehen, von ihm denken. Er weiß nicht einmal, ob seine Helfer die fremde Sprache überhaupt verstehen, und ob sie es beim Übersetzen ernst meinen oder sich über ihn lustig machen. Dann tauchen Tage später unterwegs zwei Verwandte von Natu auf, woraufhin diese spurlos verschwindet. Nach Hause in ihr Dorf?
Alles wird gut, will sich Trattner einreden, insgeheim wissend, dass bei dieser Formel stets auch das Gegenteil mitschwingt: „Nichts war gut, gar nichts.“ Sein Wunsch, Natu vor ihrer Gemeinschaft zu retten, ist eine Anmaßung, die auf einer falschen, weil europäischen Prämisse beruht und deshalb scheitern muss. Dies ist der Dreh, mit dem der heikle Plot glückt. Politycki sticht aus europäischem Blickwinkel ins Wespennest der kolonialen Vorurteile und Stereotype, um die ihnen zugrundeliegenden Missverständnisse zu hinterfragen. Kolonialismus ist auch, wenn wir fremde Lebensweisen deuten, ohne dabei die eigene Perspektive mitzubedenken. Joe Trattner ist ein solcher Kolonialist. Er begegnet den Einheimischen wohlwollend, aber immer als Tourist. Was wirklich passiert, bleibt ihm verborgen. In seiner Blindheit nimmt er sogar den eigenen Untergang in Kauf. In diesem Punkt gleicht er früheren Helden Polityckis, etwa Broder Broschkus im Roman Herr der Hörner (2005) oder dem ex-DDR-Grenzschützer Alexander Kaufner in Samarkand, Samarkand (2013). Wie sie kehrt auch Trattner seiner Heimat den Rücken, ohne wirklich anderswo anzukommen. Er bleibt ein Fremdkörper in der ihm fremden Welt – bis zum bitteren Ende. Dabei offenbart sein Hang zum Untergang auch Gründe, die in der Vergangenheit in Wien liegen, in der „Sache mit Lena“, seiner Ex-Freundin, die er an den „dekonstruktivistischen Feminismus“ verloren hat. Die Erinnerung an sie und ihre Beziehung schmerzt weiterhin. Der verunsicherte Trattner hadert mit seiner gekränkten Männlichkeit. Immer wieder fragt er sich: „Was Lena wohl gesagt hätte, wenn sie dich so gesehen hätte? Ob sie wenigstens Natu den Respekt gezollt hätte, den sie dir verweigert hat? Ach, Lena. Was hätte er Natu von ihr erzählen können?“
Auch wenn er mit dem Gedanken spielt, nicht mehr nach Wien zurückzukehren, muss er irgendwann begreifen, dass Natu, die stolze fremde Frau, „nicht verstanden werden wollte und erst recht nicht geliebt. Sie wollte einfach nur bleiben, was sie war.“ Ihre Flucht ist ein Emanzipationsversuch. Ihr Verschwinden bringt Trattner ins Wanken.
„Wer von einer Reise nicht voller Zweifel zurückkehrt, der hat nichts verstanden.“ Das Zitat charakterisiert Polityckis Erzählstrategie. Im Spannungsfeld zwischen den Kulturen stellt er Fragen wie: Was bedeutet Männlichkeit in Wien, bei Lena, und bei den Suri, wo die Männer von den Frauen geschlagen werden? Wie stark leben Traditionen in abgelegenen Regionen fort, wenn das Mobiltelefon zum Alltag gehört? Wie viel wiegt der Fortschritt, wenn die subtile soziale Balance durch fürsorgliche Eingriffe von außen zerstört wird? Ohne Antworten darauf zu geben, glückt es Politycki, die Widersprüche und Missverständnisse mit dem geübten Blick des Vielgereisten anschaulich, präzis und reflektiert zu erzählen. Das ist nicht ungefährlich, aber hier auf oft überraschende Weise hintergründig gelöst.
Am Ende, als Trattner nochmals ins Suri-Dorf zurückkehrt, gibt Politycki auch Bargudu, dem Regenmacher der Suri und Natus Antipode, das Wort. Trattner habe, hält jener ihm vor, „die große Gabe, viel zu sehen und wenig zu erkennen“, um zu ergänzen, dass nur die kleinen Geschichten ein Ende hätten: „Die großen gehen immer weiter. Je öfter sie erzählt werden, desto mehr verzweigen sie sich – wie der Wald, der nach jedem Regen wächst, bis er undurchdringlich scheint.“
Natu ist zu diesem Zeitpunkt allerdings nur noch ein Gesprächs- und Verhandlungsobjekt zwischen Trattner und Bargudu. Wie ein Gespenst verschwindet sie als handelnde Person. Zwischen Tradition und Moderne, zwischen der Suri-Gemeinschaft und Trattner bleibt für die rebellische Frau kein Platz. Sie ist das personifizierte Missverständnis der patriarchalen Grundordnung. Lena würde wohl für sie Partei ergreifen. Wohlweislich bleibt Matthias Politycki in seiner Erzählung aber nah bei seinem Protagonisten und maßt sich keine andere Perspektive an. Der gutwillige Joe Trattner ist sicherlich kein schlechter Mensch. Versöhnlich bemerkt der Erzähler am Schluss: „ich möchte mir vorstellen, dass er mit sich im Reinen war. Vollkommen unbewaffnet stellte er sich der Polizeigewalt entgegen, er hatte nur sein Herz mitgebracht“.
|
||