Aktenzeichen XY Nordirland

Eoin McNamee hat mit „Blau ist die Nacht“ einen düsteren Roman Noir nach einem wahren, ungelösten Kriminalfall geschrieben

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein unheimlicher Ort ist das Belfast von Eoin McNamee, dem es mit wenigen Worten und elliptisch verkürzten Sätzen gelingt, Atmosphären und Situationen präzise darzustellen: „Es war dort wie im Märchen. Es gab Lichtungen. Wege, die im Kreis führten. Geraschel im Unterholz.“ Der filmische Stil des Buchs, das von einem wahren Kriminalfall inspiriert ist, erinnert an einen klassischen Film Noir der 1940er- und 50er-Jahre. In fast genau dieser Zeit entfaltet sich auch die Handlung. Die einzelnen Kapitel wechseln zwischen den Jahren 1949, 1952 und 1961. In der Geschichte Irlands ist dies der Zeitraum zwischen der Unabhängigkeit 1921 und dem Nordirlandkonflikt, der 1969 begann und bis in die 1990er-Jahre hinein andauerte.

Die politischen Spannungen der Folgejahre zeichnen sich schon beim ersten Mordfall ab. Dem Maler Robert Taylor wird vorgeworfen, aus Habgier seine ehemalige Auftraggeberin getötet zu haben. Die Beweislage ist eindeutig, und die Versuche des Verteidigers, Blutspuren auf der Kleidung des Mörders als Folgen von Nasenbluten abzutun, haben durchaus einen komödiantischen Effekt. Dies lockert die meist düstere Stimmung des Buchs ein wenig auf. Doch so einfach ist die Klärung des Falls nicht, denn das Opfer Mary McGowan war gläubige Katholikin und irische Nationalistin. Die Bürger sind somit auf der Seite des Mörders. Dies veranlasst sogar den Assistenten von Staatsanwalt Lancelot Curran dazu, die Geschworenen zu bestechen, damit er den Fall verliert und somit nicht den Hass der Stadtbevölkerung auf sich zieht. Doch Curran ist ein Spieler, er will einen Schuldspruch.

Der Mordfall Mary McGowan ist jedoch nur die Vorgeschichte zum zentralen Verbrechen, das sich drei Jahre später ereignet. Currans Tochter Patricia liegt erstochen auf dem Grundstück der Familie. Verdächtige gibt es viele, doch der Fall wird nie geklärt, und wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr werden. Zwar wurde ein Mann namens Iain Hay Gordon verurteilt, er wiederrief sein Geständnis jedoch in der Realität im Jahr 2000 und gab an, damals dazu genötigt worden zu sein. Die Protagonisten im Jahr 1961 können das noch nicht wissen, ahnen aber schon, dass Gordon nicht der Schuldige sein kann.

Das zweite Opfer, Patricia, hat zwar den Ruf einer klassischen Femme Fatale, wie sie in keinem Film Noir fehlen darf; zwischen den Zeilen ist aber zu ahnen, dass dieser wohl nur Fassade ist. Sie raucht heimlich, schminkt sich und flirtet mit älteren Männern, mehr passiert allerdings auch nicht. Ihre Mutter ist psychisch angeschlagen und lässt sich nur manchmal von ihrer Tochter beruhigen. Da ihr Vater Leiter eines Sanatoriums war, wuchs sie an einem solchen Ort auf und kehrt nach dem Tod Patricias wieder dorthin zurück. Diesmal als Patientin.

Die Figuren vermögen es nicht, den Lesern emotional nah zu kommen, bleiben ihre Motivationen doch zu sehr im Dunkeln. Viele Ungereimtheiten umgeben den Mord und schließlich ist jeder verdächtig, selbst die eigenen Eltern, Robert Taylor und ihr Bruder.

Die Erzählweise des Romans ist keine chronologische. Teilweise weist der Erzähler auf Situationen in der Zukunft hin, was die Spannung steigert. Häufig gibt es unmittelbare Einschübe von Handlungen im Präsens, die jedoch in der Vergangenheit stattgefunden haben. Kurze Erinnerungsfetzen von Menschen, die sich eigentlich nicht erinnern wollen.

Blau ist die Nacht ist mitnichten ein klassischer Krimi, an dessen Ende der Mörder ermittelt wird, sondern das Ergebnis der Fantasie des Autors, der einem alten Kriminalfall wieder Leben einhaucht und die Leser selbst ihre Schlüsse ziehen lässt. Wer den Fall kennt weiß, dass der wahre Mörder nie ermittelt wurde, so wie auch im Roman. Das mag traditionelle Krimileser enttäuschen und hiermit ist schon etwas verraten, doch gerade das Uneindeutige, Mysteriöse ist der spezielle Reiz der Geschichte. Was den „Noir“ besonders lesenswert macht, ist der Stil des Autors, der es unter anderem gekonnt vermag, die Schicksale einzelner Nebenfiguren in wenigen Sätzen zu schildern: „Mr. Lillis stillte Mary McGowans Blutungen. In den Folgejahren sah man ihn nach Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen gehen, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Sein Garten verwilderte.“

Titelbild

Eoin McNamee: Blau ist die Nacht. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Gregor Runge.
dtv Verlag, München 2016.
272 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783423261111

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch