Zuhören als Kunst
In einer Welt, in der das laute Reden dominiert, fordert Bernhard Pörksen in „Zuhören. Die Kunst sich der Welt zu öffnen“ Rückbesinnung auf eine vergessene Fähigkeit: das bewusste, empathische Zuhören.
Von Sebastian Meißner
Polarisierung, Fake News, gesellschaftlicher Stillstand: Die Zeiten sind so ungemütlich wie die Fronten verhärtet. Alle pochen auf die Meinungsfreiheit und meinen damit – sich selbst so wichtig erachtend – vor allem das Recht zu sprechen und dafür Aufmerksamkeit zu bekommen. Zuhören aber will kaum jemand. Hinzu kommt: Fakten und Argumente werden meist nur noch dann akzeptiert, wenn sie die eigene Meinung bestätigen. Der Rest wird ausgeblendet. Die Folge: Immer tiefere Gräben zwischen den Blasen, immer mehr Unverständnis, immer weniger Chance auf fruchtbaren Dialog, auf Differenzüberbrückung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kurz: Die Debattenkultur und somit die Demokratie steht auf dem Spiel. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und Autor zahlreicher Bücher unter anderem zur Skandalforschung und den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, will dieser Spirale mit einem flammenden Appell nun etwas entgegensetzen. In seinem Buch Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen stellt er das Zuhören auf eine Stufe mit dem Reden und macht klar: Wer nicht zuhört, brauche auch nicht reden, denn er bewegt sich im resonanzfreien Raum.
Für den Zusammenhalt
Was Pörksen das Hören mit dem „Ich-Ohr“ und mit dem „Du-Ohr“ nennt, mag einigen bei näherer Betrachtung unzureichend erscheinen, hilft aber sehr bei der grundsätzlichen Veranschaulichung. Denn was so einfach klingt, ist in Wirklichkeit eine hohe Kunst. Das macht Pörksen in diesem Buch an zahlreichen Beispielen deutlich. Denn Zuhören sei nicht gleichbedeutend mit bloßem Hinhören. Wirkliches Zuhören sei immer auch eine Selbstbegegnung und -prüfung. Wer wirklich zuhört, läuft immer auch Gefahr, die eigenen Grundfesten erschüttert und die eigenen Überzeugungen infrage gestellt zu sehen. Wer zuhört, muss auch einkalkulieren, sich bislang getäuscht zu haben, sich täuschen lassen zu haben. Es verlangt daher die bedingungslose Bereitschaft, sich auf das Fremde, das Andere, das Gengenteilige einzulassen. Und noch mehr: Es verlangt, sich belehren zu lassen, und dem besseren Argument nachzugeben. Es verlangt Mut.
Riskant, aber essenziell
Pörksen verbindet für seine Argumentation medienwissenschaftliche Analysen mit gesellschaftlicher Reflexion und zeigt so zunächst, wie das Verlernen des Zuhörens zu gesellschaftlichen Spaltungen beiträgt. Dabei bleibt er stets bei seiner Argumentationslinie: Das Zuhören ist keine passive Tätigkeit, sondern eine aktive Praxis, die den permanenten Abgleich mit dem eigenen Wissen und Empfinden erfordert. Seine Analysen sind schlüssig, nachvollziehbar und – das ist vielleicht der größte Verdienst dieses Buches – laden dazu ein, das eigene Verhalten zu hinterfragen.
Zu den Stärken dieses Buches gehört auch, dass Pörksen nicht die zahlreichen Einwände verschweigt, die man gegen sein Plädoyer anführen könnte. Er erwähnt zum Beispiel die steigende Informationsflut, der der Mensch im digitalisierten Zeitalter der Medienomnipräsenz ausgeliefert ist und die bei dauerhaftem Zuhören zu depressiver Verstimmung und damit einem Aufmerksamkeitsoverkill führen könnte, der ein Zuhören unmöglich macht. Pörksen verneint dies nicht, sondern empfiehlt regelmäßige Zuhör-Pausen bzw. Weghörphasen, um sich immer wieder neu zu wappnen für den Austausch. Auch die zunehmende Verschiebung von Gesprächen ins Virtuelle, also dorthin, wo man sich nur anonym und temporär begegnet und wo die Umgangsformen roher und unanständiger sind, bindet er in seine Überlegungen ein. Es sei, so der Autor, vor allem die persönliche Erzählung, die das empathische Zuhören fördere, indem sie die Gefühle anspricht. Wer das stringent Faktische mit dem Biografischen verbinde, erreiche sein Gegenüber eher.
Pörksens Plädoyer für eine verbesserte Kommunikation mag man angesichts der Vielfalt und Schwere aktueller Krisen unterschätzen. Wahrscheinlich aber ist es das einzig wirksame Mittel für mehr Ruhe in einer vor sprechenden Stimmen lärmenden Welt. Hoffentlich wird ihm zugehört.
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