Eine schwarze Frau

Louise Meriwethers „Eine Tochter Harlems“ erzählt von einer Jugend in den 1930er Jahren

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine junge Frau, die im Harlem der 1930er Jahre erwachsen wird – allein in diesem knappen Plot werden die Schwierigkeiten und Hindernisse einer solchen Adoleszenz erkennbar. Und dennoch, Louise Meriwethers im Jahr 1970 erschienener Roman ist eine veritable Überraschung, mehr noch eine überaus herausfordernde Lektüre.

Dabei ist die Folie, auf der der Roman gelesen werden kann, bekannt genug: Junge Frau wird erwachsen, sie muss sich ihren Ort im sozialen Leben suchen und finden, unter Bedingungen, die alles andere als optimal sind: Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität, Prostitution, Chauvinismus und Rassismus bestimmen die Bedingungen, unter denen die zwölfjährige Francie lebt. Der Vater schlägt sich als Wetteinsammler durch, macht den Hausmeister und spielt gelegentlich auf Festen in der Nachbarschaft Klavier, die Mutter kümmert sich um die drei Kinder und geht bei Weißen putzen. Das Viertel ist heruntergekommen, die Häuser rott, die Straßen voller Müll, die Familien zerrüttet, die Gewalt unter den Schwarzen ist ungebremst, einzig als Zuhälter oder Prostituierte hat man sein Auskommen. Als sich Francies älterer Bruder einer lokalen Gang anschließt, gibt’s Krach in der Familie, aber verhindern kann das keiner.

Schwarze sind in den dreißiger Jahren auch im Norden der USA weit weg von der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung. Aber schlimmer noch sind schwarze junge Frauen dran, denen eben nicht nur die heranwachsenden Kerle ihrer Community nachstellen, sondern die sich von jedem Dreckskerl, dem danach ist, befummeln lassen müssen. Freiwild. Dabei steht als Prämisse: Sexualität ist für Francie ein großes Geheimnis, auch wenn sie viel versaute Heftchen liest und sie weiß, wo im Viertel die Prostituierten ihr Geschäft betreiben. Aber sie wird das alles lernen, ob brutal oder eher freundlich, beantwortet der Text nicht.

Auffallend ist, dass das Muster, das sich im Plot erkennen lässt, dem der Texte von Autorinnen der 1920er Jahre sehr ähnlich ist, zumindest wenn man die Keuns, Fleißer oder Brücks dieser Welt berücksichtigt. Auch hier sind die Romane als Experimentalanordnungen angelegt, mit denen weibliche Existenz in der Moderne ausgelotet und ausexerziert werden soll. Auch hier ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern von besonderem Interesse, auch hier ist Prostitution eine mögliche Alternative, die das Überleben sichert. Auch hier scheitern die Männer an den Verhältnissen, und sind es die Frauen, die das Überleben in der kleinsten Größe und in der größten Hoffnungslosigkeit sicherstellen. Denn auch für diese (hier nur deutschsprachigen) Autorinnen sind die wirtschaftlichen Bedingungen alles andere als rosig. Überleben und leben sind Anforderungen, die nahe beieinander liegen.

Allerdings muss sich Meriwethers Francie unter deutlich schwierigeren Bedingungen finden als ihre deutschen Schwestern in Geist und Haltung, wenngleich ein Teil der Offenheit und Klarheit, mit denen Sexualität und Ökonomie verhandelt werden, eben auch dem zuzuschreiben ist, dass es zum Zeitpunkt, zu dem Meriwether ihren Roman schreibt, deutlich weniger sprachliche und literarische Tabus gibt. Was in den frühen 1930ern vielleicht noch Skandal hätte erregen können (oder erregt hat) ist um 1970 schon längst auch für den Mainstream enttabuisiert. Es sind mithin ähnliche Verhältnisse, die allerdings in einer offeneren und drastischeren Sprache vorgeführt werden.

Allerdings ist die Situation, in der sich Francies zurechtfinden muss, komplexer: Sie ist nicht nur jung und heranwachsend, jünger noch als Keuns Gilgi etwa, sie ist weiblich, sie ist schwarz und sie ist arm, sieht sich also einer Situation gegenüber, in der sich mehrere Konfliktlinien überlagern, Armut, Geschlecht, Hautfarbe. Aus dieser Gemengelage, deren Hoffnungslosigkeit überwältigend ist, führen anscheinend nur zwei Wege: die politische Selbstermächtigung der Schwarzen und Bildung. Wobei Bildung der Königsweg der Frauen ist, wo die heranwachsenden Männer sich stattdessen kriminalisieren. Ein Muster, das sich in den Jahrzehnten seitdem stetig wiederholte, was die Aktualität des Romans hervorhebt. 1930er, 1970er und die 2020er Jahre sind sich mithin näher als man denken mag.

PS: Bleibt eine kritische Nachbemerkung: James Baldwin hatte im Vorwort darauf verwiesen, dass Meriwether in diesem Roman zeige, was es heiße, „in diesem Land ein schwarzer Mann oder eine schwarze Frau zu sein“. Der Verlag macht daraus auf dem Buchdeckel: „was es bedeutet, in diesem Land schwarz und eine Frau zu sein“. Baldwin mag einem an dieser Stelle nicht entschieden genug sein, das rechtfertigt aber nicht solch laxen Umgang mit seinen Sätzen.

Titelbild

Louise Meriwether: Eine Tochter Harlems. rororo Entdeckungen Band 3.
Herausgegeben von Nicole Seifert und Magda Birkmann.
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea O'Brien.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2023.
304 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783499012952

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