Das Wort als Waffe der Wahl
Der ein-FACH-Verlag hat mit der Autobiografie „Leben“ und dem Roman „Herland trifft Ourland“ dankenswerterweise zwei weitere Bücher von Charlotte Perkins Gilman erstmals ins Deutsche übersetzt
Von Rolf Löchel
Die 1860 geborene US-Amerikanerin Charlotte Perkins war zwar zur vorletzten Jahrhundertwende und mehr noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine der publikationsfreudigsten Frauenrechtlerinnen nicht nur jenseits des Atlantiks, doch blieb sie hierzulande bis in die 1970er Jahre hinein so gut wie unbekannt. Das änderte sich erst mit und Dank der Neuen Frauenbewegung. Den Anfang machte der kleine feministische Verlag Frauenoffensive, der 1978 die Erzählung Die gelbe Tapete herausbrachte. Zwei Jahre später folgte mit Rowohlt einer der ganz großen deutschen Verlage. 1980 erschien in seiner Reihe neue frau Perkins Gilmans utopische Erzählung Herland erstmals auf Deutsch. Beide Bücher erlangten zwar einige Auflagen, doch wurde es um die feministische Utopistin, Philosophin und Ökonomin im Laufe der Jahre wieder ruhiger – bis der ein-FACH-Verlag vor zwanzig Jahren begann, sich ihrer anzunehmen. Seither bringt er sukzessive eines der Werke Perkins Gilmans nach dem anderen heraus, darunter etwa 2018 den Thesenroman Diantha oder der Wert der Hausarbeit und 2019 das Sachbuch Die Kultur der Männer, wobei sich die Produktionsrate zunehmend steigerte. Zuletzt hat der von Ursula I. Meyer geführte ein-FACH-Verlag die Autobiografie der emsigen Schriftstellerin veröffentlicht. Perkins Gilman hatte sie am Ende ihres Lebens verfasst und unmittelbar vor ihrem Suizid 1935 veröffentlicht. Neunzig Jahre später lag sie immer noch nicht auf deutsch vor.
Beginnend mit den ersten Kindheitserinnerungen erzählt Perkins Gilman aus ihrem Leben recht anekdotenhaft unterschiedslos Wichtiges und Unwichtiges. Von ihrer Jugendzeit an hangelt sie sich dabei entlang der „oft schwermütig[en]“ Einträge in ihrem Tagebuch, das sie über Jahrzehnte hinweg fast immer kontinuierlich gepflegt hat.
Nach der ärztlichen Mitteilung, dass eine weitere Geburt das Leben ihrer Mutter gefährden würde, verließ der Vater die Familie. Da lag die kleine Charlotte noch in der Wiege. Doch immerhin versorgte er sie Jahre später auf Wunsch immer wieder mit seinen von ihr hochgeschätzten Lektüretipps. Dafür war ihm die Autobiografin noch im hohen Alter dankbar.
Die alleinerziehende Mutter wiederum war zwar wohl guten Willens, hatte jedoch recht fragwürdige Erziehungsmethoden. Da sie, verlassen von ihrem Ehemann, selbst sehr an „fehlende[r] Liebe“ litt, wollte sie ihrer Tochter ein gleiches Schicksal ersparen. Daher verfiel sie auf die fatale Idee, Charlotte gar nicht erst daran zu gewöhnen, geliebt zu werden, indem sie ihr „so weit möglich jeden Ausdruck von Zuneigung verweigerte“. Nur wenn sie glaubte, dass ihre Tochter schlief, schlich sie leise ans Bettchen des Kindes, liebkoste und streichelte es, was Charlotte allerdings bemerkte. Daher pflegte sich das Kind schlafend zu stellen und versuchte dabei, so lange wie irgend möglich wach zu bleiben.
Schon in jungen Jahren erwies sich die Autorin ihren Erinnerungen gemäß als (strategisch) klug. So nahm sie sich vor, sich im Falle der berühmten drei Feen-Wünsche als erstes zu wünschen, „dass alles was ich mir wünsche, richtig sein möge“. Überhaupt war ihr, „das Richtige zu tun“, „die Hauptsache im Leben“ . So hegte sie „kindliche Träume, die Beste in allem zu sein“. Wenige Jahre später fasste sie als Jugendliche die kaum bescheidenere „Entschlossenheit, die Beste in allen Bereichen zu werden, die mir möglich waren“. Als ihr Lebensziel wählt sie bereits damals kein geringeres als die „Vervollkommnung der Menschheit“. Dabei versuchte sie, deren Möglichkeit rational zu begründen und war damit dem aufklärerischen Konzept der Perfektibilität ziemlich nahe, mag sie es auch schwerlich gekannt haben.
Ihre Maxime, stets das Richtige zu tun, zu erfüllen, war umso schwieriger, als sie schon früh erkannte, dass sie weder an religiöse noch andere Vorschriften gebunden war. „Wenn ich ein freihandelndes Wesen war, was sollte ich dann mit meiner Freiheit anfangen“, lautete ihre Gewissensfrage und sie begann, sich anhand rationaler Überlegungen eine eigene Religion zurechtzuzimmern, in der Gott nicht personalisiert, sondern eine umfassende Kraft ist.
Wie originell sie schon zu dieser Zeit dachte, zeigt auch eine Überlegung, die sie anlässlich einer Anekdote über Buddha anstellte, der zufolge den Namensstifter der nach ihm benannten fernöstlichen Religion entsetzte, dass sich in der Natur „alle gegenseitig auf[fressen]“, was er „als böse [bezeichnete]“. Die Jugendliche aber kam zu einem ganz anderen Befund des „Vorgangs“, nämliche dass „sich alle gegenseitig [füttern]“. Das sei nicht böse, sondern im Gegenteil gut. Dennoch schien ihr „die Welt […] sichtlich unglücklich und ebenso sichtlich unnötig unglücklich“. Das konnte und musste geändert werden. Und wer, wenn nicht sie, sollte das tun! Allerdings erwartete sie Undank als Lohn der unglücklichen Welt. Denn die Menschen würden sich nicht eben darüber freuen, wenn jemand daherkäme, um die Welt zu verbessern. Dazu habe ihnen die Geschichte zu oft gezeigt, „was mit den Möchtegern-Weltverbesserern geschieht“.
Doch stellte die Jugendliche nicht nur kluge Überlegungen an und verfolgte mehr als anspruchsvolle Pläne, sondern entwickelte auch eine rigorose Selbstdisziplin, die nicht zuletzt darin bestand, ihrer Mutter bis zur Volljährigkeit stets bedingungslos zu gehorchen, mochte ihr die Erfüllung der mütterlichen Anweisungen auch noch so sehr widerstreben oder von ihr als sinnlos erkannt werden. In ihren Memoiren bezeichnet sie ihr früheres Ich daher als „starrköpfige[] junge[] Stoikerin“. An ihrem 21. Geburtstag, dem Tag ihrer Volljährigkeit beendete sie das Gehorsamsgelübte aber ebenso rigoros, wie sie es bis dahin erfüllt hatte, und folgte fortan nur noch ihren eigenen Einsichten und Entschlüssen.
Schon damals war sie „tief beeindruckt von den Ungerechtigkeiten, unter denen die Frauen litten, und noch mehr von den schlimmen Auswirkungen dieser Ungerechtigkeit auf die gesamte Menschheit“. Allerdings hatte sie zu dieser Zeit noch keinen Kontakt zur Frauenbewegung. Dabei verstand sie es durchaus, die patriarchalen Verhältnisse und solches Verhalten ebenso scharfsichtig und -sinnig zu analysieren wie Hedwig Dohm auf der anderen Seite des Atlantiks:
Ein gestandener Mann widersprach einmal scharf meinem Anspruch auf die[] Freiheit, alleine loszuziehen. ‚Jeder echte Mann’, sagte er mit Inbrunst, ‚ist immer bereit, eine Frau nachts zu begleiten. Er ist ihr natürlicher Beschützer.’ ‚Weswegen?’, erkundigte ich mich. In der Tat ist das, wovor eine Frau am meisten Angst hat, auf einer dunklen Straße zu begegnen, ihr natürlicher Beschützer. Bemerkenswert.
1884 heiratete Charlotte Perkins den Kunstmaler Charles Walter Stetson. Damals war sie 24 Jahre alt und somit nach damaligen Vorstellungen bereits nicht mehr ganz jung. Ein Jahr später gebar sie eine Tochter. Sie und ihr Mann seien sehr „glücklich miteinander“ gewesen, erinnert sie sich. Nicht ganz widerspruchfrei dazu erklärt sie, es habe nichts gegeben, „was das verhindert hätte, außer meiner zunehmenden Depression“. Die setzte kurz nach der Hochzeit ein und wurde nach der Geburt ihrer Tochter umso stärker, sodass sie ständig in Tränen ausbrach und kaum noch aufstehen konnte. Sie habe damals „alle schmerzhaften seelischen Empfindungen“ durchlitten: „Scham, Angst, Reue, eine[] blinde[] bedrückende[] Verwirrung, völlige[] Schwäche, eine[n] anhaltenden Kopfschmerz, der das Bewusstsein mit drängenden Bildern des Elends erfüllt“, sowie „eine ständige schleppende Müdigkeit meilenweit unter Null“ – und das schlimmste: An all dem habe sie sich „selbst schuld“ gefühlt.
Als sie das eheliche Heim für eine Erholungskur verließ, ging es ihr fast augenblicklich besser. Doch kaum zurück, begann das alte Elend von neuem. Dies wiederholte sich bei jeder ihrer Reisen und sie erkannte, dass die Ursache ihres Leidens in der Ehe lag. Daher trennten sie und ihr Mann sich 1887 einvernehmlich. Vorher aber hatte sie sich auf Anraten eines mit ihrem Mann befreundeten Arztes noch einer fatalen „Ruhekur“ unterzogen, deren Therapie in vollständiger Isolation, Tatenlosigkeit und einem absoluten Lektüre-, Schreib- und Malverbot bestand. Sie bot ihr die „Grundlage“ für ihre einige Jahre später veröffentlichte Erzählung Die gelbe Tapete, die ihr erster großer literarischer Erfolg wurde.
Eine Scheidung allerdings war zu jener Zeit alles andere als einfach umzusetzen, sodass nach dem Entschluss zur Trennen noch weitere sieben Jahre vergingen, bevor sie vollzogen werden konnte. Stetson hatte da bereits seit Längerem eine intensive Liebschaft mit Grace Ellery Channing, die eine engen Freundin seiner Frau war – was der engen Verbundenheit der beiden Freundinnen jedoch keinen Abbruch tat. Im Gegenteil. Alle drei empfanden für einander stets „ gegenseitige[s] Verständnis, Zuneigung und Respekt“. Daher überließ die Autobiografin ihre Tochter dem Liebespaar.
Im Jahr 1900 heiratete die Autobiografin zum zweiten Mal; diesmal ihren Cousin George Gilman, der in New York als Rechtsanwalt tätig war. Mit ihm lebte sie laut ihren Memoiren „bis ans Ende [ihrer] Tage [glücklich]“. Auch trug sie fortan den Doppelnamen Perkins Gilman.
Als sie am Ende ihres Lebens die vorliegende Autobiografie schrieb, litt sie noch immer an „bleibenden geistige Schäden“, die sie sowohl auf den „Nervenzusammenbruchs“ während ihrer ersten Ehe wie auch „auf den rigorosen Stoizismus und die ständige Anstrengung für die Charakterbildung“ während ihrer Kindheit und Jugend zurückführt. Doch schuf sie dieser lebenslangen Nachwirkungen zum Trotz unzählige Werke. Denn „Schreiben“ sei für sie „immer so einfach wie Reden“ gewesen.
Ihre Romane allerdings seien „armselig“ und sie selbst erwiesenermaßen „keine Romanschriftstellerin“, lautet ihre harsche, vielleicht aber nicht ganz unbegründete Selbstkritik. Vermutlich geht sie deshalb mit keinem Wort auf ihre Utopie Herland und deren Sequel With her in Our Land ein.
Ebenso wie Diantha handelt es sich bei letzterem um einen literarästhetisch ziemlich miserablen Thesenroman. Kleine aphoristische Bonmots wie „Fakten sind störrische Dinger“ oder „ein Gleichnis ist ein unzuverlässiges Wesen, wenn man es zu sehr strapaziert“, hat die Autorin nur höchst selten einmal eingestreut. Das hinderte den ein-FACH-Verlag glücklicherweise allerdings nicht daran, den Roman unter dem Titel Herland trifft Ourland von Petra Altschuh-Riederer übersetzen zu lassen und auf den deutschsprachigen Markt zu bringen.
Seine Handlung setzt ein, nachdem der aus Herland bereits bekannte Ich-Erzähler Van, das utopisch-feministische Frauenland verlassen hat. Denn seine Frau, die Herländerin Ellador brennt darauf, die Heimat des geliebten Mannes kennen zu lernen. Begleitet werden sie von einem Mann, den es mit Van nach Herland verschlagen hatte und der wegen seiner maskulinistischen Frauenfeindlichkeit aus dem „äußerst weibliche[n] Land“, das nun als „nettes, kleines sicheres, sauberes Paradiesgärtchen“ erinnert wird, verwiesen wurde. Die Handlung des Sequels verlässt er schon nach wenigen Seiten.
Van und Ellador können aufgrund verschiedener widriger Umstände allerdings nicht – wie vorgesehen – direkt in die USA reisen. Stattdessen verschlägt es sie zunächst einmal nach Europa, wo gerade der Erste Weltkrieg tobt. Von dort unternehmen sie eine halbe Weltreise, die sie über den Nahen Osten und Asien führt. Subsahara-Afrika bleibt allerdings ebenso außen vor wie Australien und Neuseeland. Südamerika, dass sie später von den USA aus besuchen, wird wiederum nur äußerst kurz abgehandelt.
Ihre erste Station, Europa aber macht Ellador „blass vor Entsetzen“ und in Asien wird sie „krank vor Abscheu“. Überhaupt beklagt sie allerorten den „Mangel an Mütterlichkeit“. Ellador ist von allem, was sie – sei es in Europa, in Asien oder später in den USA – sieht, jedoch nicht einfach nur entsetzt, sondern seziert es auch mit ihrem messerscharfen Verstand.
Nach den Schrecken Europas und Asiens freut sie sich umso mehr auf die USA. Doch auch dort wird sie bitter enttäuscht. So geißelt sie den Genozid an den Native Americans, die Sklaverei, das nur den Männern vorbehaltene Wahlrecht, die mangelnde Bildung, die miserable Wirtschaft und etliches mehr. Auch lehnt Ellador vehement die in den USA vermeintlich übliche „sexuelle Freiheit“ ab, gegen die sie etwa den „Makel der Geschlechtskrankheit“ ins Feld führt. Damit entsprechen Elladors Ansichten in dieser Frage (wie wohl auch in allen übrigen) ganz denjenigen ihrer Erfinderin, der die im Vergleich zum 19. Jahrhundert größere sexuelle Freizügigkeit des beginnenden 20. Jahrhunderts ganz und gar nicht behagte. So stellt Perkins Gilman in ihrer Autobiografie mit Bedauern fest, dass „das Wort ‚Keuschheit’ selbst lächerlich geworden zu sein scheint“.
Näher beleuchtet die Protagonistin des Thesenromans Herland trifft Ourland etwa das Verhältnis von „Demokratie und Wirtschaftspolitik“ oder Fragen von „Herkunft und Religion“. In seiner (historischen) Vagheit enttäuschend bleibt das Kapitel „Der Feminismus und die Frauenbewegung“. Zu guter Letzt reisen Van und Ellador wieder zurück nach Herland, um dort zu leben. Mit der Ankunft des Ich-Erzählers und mehr noch der Geburt des gemeinsamen Sohnes hat die reine Frauenwelt ein Ende und es stellt sich die Frage, ob das für die Herländerinnen gut gehen kann. Die Geschichte sieht in der ersten Geburt eines männlichen Nachkommen allerdings ein Hoffnungszeichen.
Doch zurück zu Perkins Gilmans Autobiografie, in der sie nicht nur ihr Lebe Revue passieren lässt, sondern auch auf ihr Verhältnis zu Feminismus und Sozialismus eingeht. Als Anhängerin des Fabian Society vertrat sie einen Sozialismus „der frühen humanitären Art“. Hingegen lehnte sie den von Marx erdachten „Wirtschaftsdeterminismus“ ebenso vehement ab wie dessen Ansichten über „‚Klassenbewusstsein’ und ‚Klassenkampf’“. Ebenso scharf kritisiert sie die „politischen Methoden der Marxisten“. So bezeichnet sie den Bolschewismus mit antisemitischem Zungenschlag als „jüdisch-russischen Alptraum“ und prangert die „Dummheiten der russischen Tyrannei“ an.
Während die US-amerikanische Frauenrechtsbewegung ebenso wie die britischen Suffragetten den Kampf um das Frauenwahlrecht in den Mittelpunkt stellte, „erschien“ Perkins Gilman „das Grundbedürfnis nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit weitaus wichtiger“ zu sein. Doch setzte sie sich auch für das Frauenwahlrecht ein, weil sie fand, dass es „vernünftig und notwendig“ sei. Auch war sie von Elizabeth Cady Stanton, einer der US-amerikanischen Vorkämpferinnen des Frauenwahlrechts „besonders […] beeindruckt“.
Ihr sozialistisches und frauenrechtlerisches Engagement führte Perkins Gilman um die Jahrhundertwende über die Grenzen der USA hinaus nach Europa. So nahm sie 1896 in England als Delegierte des Internationalen Sozialisten- und Arbeiterkongresses teil und erinnert sich nicht ohne Stolz daran, dass sie dort während der Großen Friedensdemonstration zusammen mit August Bebel und Georg Bernard Shaw in einem „Redner-Wagen“ saß. Auf den Versammlungen hörte sie Vorträge von Pjotr Kropotkin, Elise Reclus und Louise Michel, die sie allesamt als „verzweifelt ernste Seelen“ bezeichnet. Es sei aber Jean Jaurés gewesen, der den „großartigste[n] Vortrag [hielt], den ich je gehört habe“. Außerdem lernte sie William Morris, den Verfasser der sozialistischen Utopie News From Nowhere (1890) wenige Monate vor seinem Tod kennen. „Die lebhafteste Erinnerung“ an ihren Besuch bei dessen Familie hat sie allerdings an Jane Morris „das angebetete Modell der Präraffaeliten“, deren „Jugendporträt“ von Dante Gabriel Rossettis sie im Hause Morris bewunderte.
Drei Jahre darauf erfolgte Perkins Gilmans zweite Englandreise. Diesmal als Delegierte für den Kongress des internationalen Frauenrates. Doch wurde sie in Europa „nie […] herzlicher empfangen, nie […] mehr geschätzt“ als auf dessen Folgekongress, der 1904 in Berlin stattfand. Ihre letzte „Europareise“ führt sie 1913 nach Ungarn, wo sie in Budapest an der International Suffragette Convention teilnahm.
Während namentlich die britischen Suffragetten ganz auf die Maxime Taten statt Worte setzten, waren letztere die Waffen der Wahl von Perkins Gilman. So schrieb sie nicht nur unzählige politische Artikel, philosophische Essays sowie Romane, sondern brachte über sechs Jahre hinweg auch ihre „kleine Monatszeitschrift“ Forerunner heraus, deren Beiträge sie ausnahmslos selbst verfasste, bis das Periodikum 1916 eingestellt werden musste.
Überboten wurde Perkins Gilmans Publikationsfreude nur noch durch ihre Vortragstätigkeit, die sie als „Predigten“ bezeichnet. In ihren Tagebüchern hat sie akribisch die alles andere als üppigen Einnahmen festgehalten, die meist durch Spenden des Publikums erfolgten. Einige dieser Einkünfte gibt sie wiederum auf den Penny genau in der Autobiografie wieder. Die Wahl ihrer Themen hätte vielfältiger kaum sein können. An einigen aufeinanderfolgenden Abenden sprach sie etwa aus dem Stehgreif über Die Güte einfacher Leute, behandelte die Frage Wie man gut wird und wie man es bleibt, referierte über Die Helden, die wir jetzt brauchen, stellte Überlegungen zur Philosophie der Kleidung an und theoretisierter über Die neue Mutterschaft, der auch ein Kapitel der vorliegenden Autobiografie gewidmet ist. Ihre Vorträge seien teils positiv, teils negativ aufgenommen worden, erinnert sie sich. Und dazu, dass sie in Oakland einmal „die Medaille für den besten Essay über die Arbeiterfrage“ bekommen hatte, bemerkt sie trocken: „Die anderen müssen in der Tat ziemlich schlecht gewesen sein“.
Am Ende ihrer Autobiografie geht sie auf ihre Krebserkrankung und die mit ihr einhergehende äußerst schmerzhafte Gürtelrose ein. Da sie die damit verbundenen Leiden nicht länger ertragen wollte, setzte sie ihrem Leben im Alter von 75 Jahren kurz nach Beendigung des Manuskripts ihrer Lebenserinnerungen ein Ende.
So verdienstvoll es auch ist, dass Perkins Gilmans Autobiografie nun endlich auch auf Deutsch vorliegt, so ist doch kritisch anzumerken, dass die Übersetzerin Petra Altschuh-Riederer gelegentlich in den Text eingreift, um ihn dem heute als korrekt geltenden Sprachgebrauch anzupassen. So übersetzt sie das Wort „negro“ mit „Afroamerikaner“, das ja, nebenbei bemerkt, nur einen Teil der mit dem ersten, heute negativ konnotierten Begriff gemeinten Menschen umfasst. Immerhin aber wird in einer Endnote auf den Eingriff hingewiesen.
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