Vertane Liebesmüh

Haruki Murakamis „Birthday Girl“ ist edel aufgemacht – da kann der Inhalt nicht mithalten

Von Dennis GerstenbergerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dennis Gerstenberger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine etwa 30-jährige Frau berichtet einem Freund von einem Ereignis, das ihr an ihrem 20. Geburtstag widerfahren ist. Damals war die junge Frau Studentin und arbeitete als Kellnerin in einem Restaurant. Ausnahmsweise musste sie an jenem Abend dem Inhaber des Restaurants das Essen auf sein Zimmer bringen. Dieser Mann erwies sich als eine rätselhafte Figur und gewährte der jungen Frau einen Wunsch, den er zu erfüllen versprach. Was dieser Wunsch war und ob er in Erfüllung ging, bleibt offen.

Der Freund ist erzählende Instanz der Kurzgeschichte, die auf zwei Zeitebenen spielt: zum einen am Abend des 20. Geburtstags der Freundin, zum anderen etwa zehn Jahre später, als sie davon berichtet. Die Frau erinnert sich an das Geschehen, und der Freund und Erzähler ist neugierig und möchte erfahren, was damals geschehen ist. Die zentrale Frage ist, welchen Wunsch die Frau damals äußerte, der unter allen Umständen in Erfüllung gehen sollte. Doch genau das verrät sie nicht. Und der Erzähler traut sich auch nicht, direkt danach zu fragen, sodass eine Spannung aufgebaut wird, die ungelöst bleibt.

Die Kunst Haruki Murakamis besteht darin, eine lebendige, plastisch dargestellte Geschichte aufzubauen, die durch Andeutungen zusätzlich an Spannung gewinnt. Was hat es mit der plötzlichen Krankheit des Geschäftsführers zu tun, der dem Inhaber normalerweise das Essen bringt? Warum kündigt die Frau wenige Wochen später ihren Job im Restaurant? Und: Was hat sie sich damals gewünscht? Ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen? Hier betreibt Murakami Geheimniskrämerei, indem er das allgemein verbreitete Vorurteil ins Spiel bringt, man dürfe seine Wünsche nicht weitersagen, da sie sonst nicht in Erfüllung gingen.

Murakamis Spiel ist riskant, weil er eine Geschichte erzählt, ohne sie wirklich zu erzählen. Der Leser erfährt nämlich nur, dass der Wunsch weder die Schönheit, die Intelligenz, noch den Reichtum der Frau betrifft, und auch keine anderen materiellen Dinge. Und dass die Frau zehn Jahre danach verheiratet ist, zwei Kinder hat und einen Audi fährt. Murakami erzählt von der Begebenheit, als sei sie ein Mysterium, als wäre etwas Übernatürliches passiert. Dabei ist das Geschehen äußerst trivial und zeugt lediglich von der Unfähigkeit der Menschen, große Fragen in ihrer Gesamtheit zu überblicken: Wie wäre das Leben eines Menschen verlaufen, hätte er oder sie sich früher in einer bestimmten Situation anders entschieden? Diese Frage übersteigt die menschliche Vorstellungskraft und bringt uns nicht weiter, weil wir nicht in der Lage sind, das Leben in verschiedenen Varianten auszuprobieren. Wir können nicht in der Zeit zurückreisen, um eine andere Entscheidung herbeizuführen, weswegen die Frage nach alternativen Lebenswegen niemals beantwortet werden kann. Immerhin dient Murakamis Erzählung der Formulierung der Frage, ob und wie sehr uns unsere Wünsche prägen beziehungsweise verändern.

Murakami verpackt seine existenziellen Fragen, die sich jeder von uns schon gestellt hat, in seine typisch mystische Welt, in der vieles bedeutungsschwer erscheint und Fragen kosmischen Ausmaßes suggeriert: Der 20. Geburtstag der Frau fiel auf einen 17. November; das Zimmer des Inhabers hat die Nummer 604; die Illustrationen sind mit vielen Zahlen verziert. Was sollen die Wassertropfen vom nassen Regenschirm im Aufzug? Was mag das alles bedeuten? Nichts, es sind alles leere Luftblasen, die einen weiten Bedeutungshorizont bloß suggerieren, die aber umgehend zerplatzen und keinen Inhalt, keinen weiteren Bedeutungsebene hervorbringen. Auch der zweite, kürzere Teil des Buches, der Bericht „Mein Geburtstag, dein Geburtstag“, ist nichts mehr als belangloses Plaudern aus dem Nähkästchen – ein Lückenfüller, um die 80 Seiten voll zu kriegen.

Sehr ärgerlich ist auch, dass der Verlag DuMont im Buch nicht darauf hinweist, dass die Erzählung Birthday Girl schon öfters im eigenen Haus publiziert wurde: Zum ersten Mal auf Deutsch 2004 im von Murakami herausgegebenen Erzählungsbands Birthday Stories – auf gerade mal 17 Seiten –, in der gleichen Übersetzung von Ursula Gräfe. Und 2006 in zwei weiteren Publikationen, nämlich in Blinde Weide, schlafende Frau und in Frosch rettet Tokyo. Die zugegebenermaßen schönen Illustrationen von Kat Menschik machen aus Birthday Girl in der Neuauflage tatsächlich ein edles Buch. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden hat sich bewährt, denn es ist bereits die vierte Publikation von Kurzgeschichten von Murakami mit Illustrationen von Menschik. Aber die gelungene Aufmachung entpuppt sich als ein bloßes Aufmotzen, denn der Inhalt wird dadurch keineswegs besser. Fast überflüssig zu erwähnen, dass auch der zweite Teil eine Wiederverwertung ist, denn es handelt sich hierbei um die gekürzte Fassung des Vorworts von Birthday Stories. So bleibt ein schaler Nachgeschmack, dass der Verlag ein weiteres Buch von Murakami auf den Markt bringt, um an seinem Namen zu verdienen. Den Literaturnobelpreis aber verdient er sich damit nicht.

Titelbild

Haruki Murakami: Birthday Girl.
Mit Zeichnungen von Kat Menschik.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
DuMont Buchverlag, Köln 2017.
75 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783832198589

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