Schöner Wohnen am Pazifik

Francis Neniks und Sebastian Stumpfs Buch „Seven Palms“ dokumentiert Thomas Manns Villa in Pacific Palisades

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Manns Jahre in Amerika waren alles andere als leicht. Darüber berichten sein Tagebuch und seine Briefe. Das Literaturarchiv in Marbach hat 2019 eine Ausstellung zum Thema veranstaltet und Ulrich Raulff und Ellen Strittmatter haben ein lesenswertes Buch über das Pazifik-Exil herausgegeben

Aber wie genau haben die Manns nun dort gelebt und gewohnt? Wie sah das Haus aus, wer hat es entworfen und gebaut? Wer hat dort Unkraut gejätet, den Garten gewässert und die Böden geschrubbt? All diesen Fragen widmet sich Francis Nenik in seinem Buchprojekt Seven Palms, das er gemeinsam mit dem Fotografen Sebastian Stumpf veröffentlicht hat.

Francis Nenik hat Archive besucht, sich durch Akten, Tagebücher und Briefe gewälzt um sich der Geschichte von Thomas Manns Wohnhaus in Los Angeles anzunähern. Wozu aber all die akribische Recherche? Nenik hat daraus ein spannendes Buch gestaltet, in dem er historische Fakten mit Fiktion verbindet. Immer da, wo die Recherchen nicht weiterführen, fabuliert Nenik darüber, wie es hätte gewesen sein können. Daraus entsteht eine Homestory, die das Leben der Mann-Familie in ihrem neu gebauten, modernen Haus lebendig macht. Nenik stellt Vieles über den Innengestalter (Paul Hudschinsky), den Gartengestalter (Ted Löwenstein), den Architekten (Davidson) und den Bauunternehmer (Ernst Moritz Schlesinger) zusammen. Mit Ausnahme des Architekten sind sie wie die Familie Exilanten, die irgendwie versuchen, unter Sonne und Palmen am Pazifik Fuß zu fassen.

Um Menschen hinter den Namen greifbar zu machen, rekonstruiert er kurze Biografien. Nenik kämpft sich durch die Listen von Auswandererschiffen und durch die Listen von Einwandererbehörden. Er verheddert sich zwischen geänderten Namen und geänderten Berufen und lässt uns auf so unterhaltsame und spannende Weise an seinen Erkenntnissen teilhaben, dass den staubigen Archivrecherchen jegliche Ödnis und jeglicher Muff genommen wird. Es ist anrührend mitzuerleben, wie all diese Menschen plötzlich ein Gesicht erhalten und Konturen bekommen, wie sie für eine kurze Phase dem Vergessen entrissen sind.

Katja und Thomas Mann müssen eine große Menge an Personal in ihrem Haus zerrschlissen haben, auch das beleuchtet Nenik. Wo er nicht weiterkommt (unter anderem, da die Manns selten die Nachnamen ihrer dienstbaren Geister überliefert haben), greift er zu Forschungsliteratur über US-amerikanische Hausmädchen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Und er steigt gemeinsam mit uns – heimlich – in das Zimmer des Hausmädchens ein. Das Zimmer ist düster und winzig. Thomas Mann hatte Unterschiede gemacht zwischen seinen Räumen und denen für das Personal: Linoleum anstelle von Eichenholz-Parkett, die Kleiderhaken aus unverchromtem Metall und die Türen ohne Zierleisten. Aus solchen winzigen Details rekonstruiert Nenik Lebensumstände.

Schön ausbuchstabiert hat der Autor die Geschichte mit dem Star-Architekten Richard Neutra, der gerne für den illustren Bauherrn tätig gewesen wäre. Nach einer Besichtigungstour (mit Damen) durch mehrere von Neutras schicken, hochmodernen Villen hat Thomas Mann genug. Alles endet mit Manns (überlieferten) Ausruf „Haltet mir diesen Neutra vom Leibe!“ Thomas Mann hatte es ja nicht so mit der modernen Architektur.

Nachdem 2016 die Bundesrepublik Deutschland das Anwesen der Manns erworben hatte, bekam der Fotograf Sebastian Stumpf die Gelegenheit, im Januar 2017 durch das leerstehende Haus zu streifen und dort zu fotografieren. Die Fotos, die vom verwilderten Garten und den verlassenen Räumen entstanden sind, üben einen starken ästhetischen Reiz aus. Die kühle fotografische Dokumentation des morbiden Leerstands vermittelt den Eindruck, als wäre nicht der letzte Besitzer (das Rechtsanwaltsehepaar Chet und Jon Lappen) gerade ausgezogen, sondern als wäre man im Jahr 1953, kurz nachdem die Möbelpacker der Manns die letzten Möbel und Kisten aus dem Haus getragen hätten und irgendein namenloses Hausmädchen, das Haus „besenrein“ gemacht hatte. Man würde sich nicht wundern, wenn irgendwo noch ein Zettel läge. Oder ein vergessenes Buch.

Seven Palms war ein schönes Haus. Thomas Mann liebte es, was man verstehen kann. Wir sehen es durch die Augen vom Sebastian Stumpf: Die Gestaltung von Haus und Garten überwältigt in ihrer Großzügigkeit und Schlichtheit. Weite Räume, große Fenster, zeitlose Lampen. Weiße Wände, braune Holzböden. Wir erhaschen sogar einen Blick in das Bad (die mauvefarbenen Fliesen und Objekte, haben sich ebenso erhalten wie die verchromten Waschbecken-Armaturen). Stumpf fängt die Muster ein, die die tiefstehende Wintersonne aus dem Laub der Blätter auf Wände und Böden skizziert oder zeigt Blätter im gefüllten Pool. Die Verbindung von Text und Fotografien ist subtil und lebt eher von Kontrasten denn von expliziten Bezügen: Der Text imaginiert ein von Menschen bewohntes Zuhause, beschreibt das Werden von Architektur und Garten, das Ringen um Gestaltung. Die Fotos zeigen ein geisterhaft leeres Gebäude und einen Garten, der langsam die Regie übernimmt, sich zurückholt, was Thomas Manns fleißige Gärtner vor 80 Jahren der kalifornischen Natur abgetrotzt haben.

Titelbild

Francis Nenik / Sebastian Stumpf: Seven Palms. Das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, Los Angeles.
Spector Books, Leipzig 2018.
320 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783959051804

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