Hemmungslose Retromanie
Mit „Spitzweg“ missglückt Eckart Nickel der Spagat zwischen interessantem Thema und spannender Umsetzung
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Kritikererfolg von Eckart Nickels zweitem Roman Spitzweg mag viel mit einer unerklärlichen Sehnsucht nach der deutschen Romantik zu tun haben. Die Irrwege der Moderne, die zu einer aus den Fugen geratenen postmodernen Welt geführt haben, werden in dieser Fiktion feinsinnig-ironisch seziert und auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt. Die jugendlichen Held:innen haben deutlich mehr von leidenden romantischen Künstler:innen als von jungen Menschen im 21. Jahrhundert, in dem dieser Roman jedoch unverkennbar angesiedelt ist. So lebt Nickels Buch von einem im Grunde sehr reizvollen Spannungsfeld aus Retromanie und Gegenwartskult, das für ein gleichzeitig hintersinnig-amüsantes wie schmachtend romantisiertes Szenario sorgen könnte. Warum aber funktioniert das alles nicht?
Die einfache Antwort wäre: Trotz einer klugen Prämisse, eines reizvollen Settings und interessanten Figuren verliert sich die Geschichte mehr und mehr in jener stilisierten, manierierten Kunstästhetik, die hier eigentlich doch, wenn auch liebevoll-ironisch hinterfragt werden soll. Nach dem ungelenken Showdown, in dem Moderne und Tradition nochmal auf umrühmliche Weise aufeinandertreffen, ist man nur noch froh, dass man die über 250 Seiten des Romans hinter sich hat.
In die Schulklasse des Ich-Erzählers ist vor kurzem ein junger Sonderling namens Carl gekommen, der direkt aus dem späten 19. Jahrhundert transportiert worden scheint: Sein Erscheinungsbild, seine manierierte Sprache, seine künstlerischen Vorlieben, selbst die Einrichtung seiner Dachkammer lassen darauf schließen, dass der junge Mann ein hoffnungsloser Anhänger der Epoche der Romantik ist, der sich nichts sehnlicher wünscht, als sich und seine neuen Freund:innen in den Plot einer romantischen Novelle hineinzuphantasieren. Dieser Kreis besteht neben dem stets naiv wirkenden Ich-Erzähler noch aus Kirsten, die aus einer dem Fortschritt ebenso abgeneigten Öko-Familie stammt, und auf die sich neben unserem schmachtenden Erzähler natürlich auch Carl ein Auge geworfen hat. Letzterer ist weit davon entfernt als skurriler Spinner gezeichnet zu sein; vielmehr ist er ein skrupelloser Manipulator, dem alle auf den Leim zu gehen scheinen. Dies liegt nicht zuletzt, das muss man ihm und seinem Erfinder Eckart Nickel lassen, an der Kraft seiner Vision, die auf seine Mitmenschen verführerisch ausstrahlt. Es kommt schließlich zu einem erst geplanten, dann ungeplanten Verschwinden Kerstins, der Konfrontation mit der Banalität der Gegenwart in Gestalt einer tumben Jugendgang (die sich am Ende jedoch als potentiell gleichwertige romantische Gegenspieler herauskristallisieren werden) und dem bereits erwähnten Showdown.
Spitzweg ist ein Roman, der sich jeglicher Kategorisierung entzieht, und genau darin liegt sein Reiz und seine Stärke. Zum einen stellt er eine deutliche Abrechnung mit der Banalität der Gegenwart dar und hortet den Wunschgedanken, die Jugend von heute habe insgeheim vielleicht doch einen tieferen Zugang zu einem romantischen Kunstideal, in dem das Leben zur Kunst wird – und umgekehrt. Zum anderen persifliert Spitzweg natürlich auch genau jene Vorstellung, indem der Roman die Absurdität einer solchen Vorstellung in Zeiten von Smartphones, Reality-TV und E-Books genüsslich auswalzt. Tatsächlich ist dieser Spagat zwischen Erntshaftigkeit und Selbstparodie auf erstaunliche Weise geglückt.
Leider ist das Buch auch gähnend langweilig, was nicht zuletzt am slapstickhaften Ende und den Irrungen und Verwirrungen liegt, welche die Protagonisten im atemberaubenden Tempo hinsichtlich ihrer Gefühle durchlaufen. Vor allem aber weiß man nie so recht, ob man sich dafür entscheiden soll, Spitzweg als Parodie auf das Bildungsbürgertum, als ernstgemeinte Nostalgie oder vielleicht sogar als beides zu begreifen, was formal zu einem sicherlich bewundernswerten Ergebnis führt, auf der Ebene des Plots allerdings nur für großes Gähnen sorgt. Aber man kann ja nicht alles haben.
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