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Cees Nooteboom betreibt in „Endlose Kreise“ schriftstellerische Reflexionen über das Land der aufgehenden Sonne

Von Eva UnterhuberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Unterhuber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Frühjahr 1977 besucht der bekannte niederländische Autor Cees Nooteboom zum ersten Mal Japan und bereist, allen Sprachbarrieren zum Trotz, drei Monate lang ein für ihn fremdes und widersprüchliches Land. In den Bann gezogen von uraltem Kultur- und Geistesleben, von Traditionen und Geschichte, von Menschen, Tempeln und Gärten, kehrt er in Folge immer wieder dorthin zurück, um den ihn faszinierenden Inselstaat intensiver zu erkunden, um eine Antwort zu finden auf die Frage: Wie „anders“ ist Japan?

Die Antwort darauf gibt Nooteboom sich und seiner Leserschaft in dem nun unter dem Titel Endlose Kreise erschienenen Erzählband, der seine niedergeschriebenen Gedanken zu diesem Thema über einen Zeitraum von fast 40 Jahren nachzeichnet. Beginnend mit dem Reisebericht zu der genannten Japanreise von 1977 spannt der Autor einen Bogen bis ins Jahr 2013, zu einem Essay über den Prinzen Genji, Hauptfigur des berühmten japanischen Klassikers Genji Monogatari aus dem 11. Jahrhundert, der der Hofdame Murasaki Shikibu zugeschrieben wird. Mit offenem Blick, offenem Geist und leisem Humor spürt Nooteboom dabei seiner eigenen Faszination und dem unterstellten Anderssein Japans und seiner Menschen nach, betrachtet unvoreingenommen das für ihn fremde Land, sein Eindringen als gaijin, als Fremder, als Outsider, und illustriert leichthändig seine Versuche, die japanische Kultur und Mentalität, seine Ästhetik und Spiritualität aber auch sein Alltagsleben zu erfassen und diese Erkenntnisse mit seiner eigenen kulturellen Sozialisation als Europäer aus den Niederlanden zu vereinen. 

Das gelingt dem neugierigen Schriftsteller aus „Oranda“, wie seine japanischen Gastgeber seine Heimat nennen, durch das Prinzip der Achtsamkeit, die all seine Niederschriften durchdringt. Ganz gleich ob Nooteboom von einem Besuch in den Palastgärten zum Geburtstag des Kaisers berichtet oder von einer selbst organisierten Pilgerreise zu 33 japanischen Tempeln, sich im luftig-artifiziellen Kosmos des erwähnten Genji Monogatari oder des nicht minder berühmten Kopfkissenbuchs der Hofdame Sei Shōnagon (11. Jahrhundert) verliert oder eine Hokusai-Ausstellung in Paris und die Europalia 1989 in Belgien durchstreift. Durch seine respektvolle und bedächtige Annäherung an diese und unzählige weitere Facetten Japans gibt, Nooteboom somit letztlich nicht eigentlich eine, sondern eine Vielzahl an Antworten auf die eingangs gestellte Frage, worin denn nun dieses „Andere“ des Landes besteht. Auf diese Weise, indem der Autor das Fremde, das Exotische, das häufig und oft klischeehaft als dominierende Facette des Landes hervorgehoben wird, aus seiner persönlichen Perspektive behutsam, gleichsam endlos einkreist, enthüllt er seinen LeserInnen am Ende das vermeintlich so Andersartige Japans als letztlich doch ganz Nahes und Vertrautes.

Titelbild

Cees Nooteboom: Endlose Kreise. Reisen in Japan.
Mit Photographien von Simone Sassen.
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen u. a.
Schirmer/Mosel Verlag, München-Bogenhausen 2021.
220 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783829609166

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