Eine Hütte für mich allein

Petra Ahne schreibt über Hütten als „Obdach und Sehnsucht“

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heidi und Lady Chatterley, Thoreau und Le Corbusier – für sie alle war die Hütte wichtig, jeweils aus einem anderen Grund: Für Heidi war sie eine neue Heimat, für Lady Chatterley der Platz, an dem sie ihren Geliebten treffen konnte, Thoreau spielte hier den Einsiedler (obwohl der nächste Ort in Gehweite entfernt war) und Le Corbusier … der berühmte Architekt zeigte hier die Grundform des Wohnens, aber gleichzeitig scheint seine Hütte direkt neben dem herrschaftlichen Haus auch eine ironische Geste zu sein.

Hütten gab es schon fast immer, seit Adam und Eva. Denn als sie aus dem Paradies vertrieben wurden, mussten sie ja irgendwo unterkommen, dann kamen die ersten beiden Kinder, die man ja auch nicht einfach im Freien schlafen lassen konnte – ein paar Äste übereinandergelegt, ein paar obendrüber, Laub dazu, fertig. Aber es zog natürlich, es regnete rein, es wurde Winter, und so musste der Mensch dann doch richtige Häuser bauen.

In einem hübschen, kleinen Buch führt uns Petra Ahne durch die Geschichte der Hütte – angestoßen von ihren eigenen Erfahrungen, als sie, Stadtbewohnerin, wie so viele ein Domizil auf dem Land suchte. Klein sollte es sein, aber nicht zu klein. Mit schützenden Wänden, die sie aber auch nicht allzu sehr von der umgebenden Natur trennen würden. Und dann fing sie an, darüber nachzudenken und zu forschen, was denn das Wesen so einer einfachen Behausung – einer Hütte – ist und welche Fantasien mit ihr verbunden sind.

In vielen kleinen Kapiteln führt sie den Leser zu den unterschiedlichsten Erfahrungen: Sie zeigt, was Alexis de Tocqueville zu den Blockhütten der amerikanischen Siedler schreibt, beschreibt, wie 1916 die gescheiterte Antarktisexpedition von Ernest Shackleton nur durch den Bau einer Hütte aus umgedrehten Booten überleben konnte, mit dem sich die Abenteurer auf Elephant Island vier Monate lang vor den eiskalten Stürmen schützten. Sie trifft einen 77-jährigen Mann, der seit 55 Jahren allein in einer Hütte lebt, und einen FBI-Beamten, der als erster das Holzhaus des „Unabombers“ Ted Kaczynski in Montana betrat. Natürlich fuhr sie auch zum Walden Pond, um sich Henry David Thoreaus Hütte anzusehen, und trifft die Gründer einer Tiny-House-Siedlung im Fichtelgebirge. Ihre Schlussfolgerungen sind oft knapp und sehr präzise: „Die Hütte – genauer das Blockhaus, die ‚log cabin‘ aus den an den Enden verschränkten Stämmen – wurde der Ort, an dem Amerika entstand.“

Sie gliedert ihre Spurensuche aber zum Glück nicht chronologisch, was wohl ziemlich langweilig wäre, sondern thematisch, Architekturtheorie, Literaturwissenschaft, Archäologie, Kunstgeschichte und Kriminalistik werden spielerisch miteinander verknüpft, ebenso wie ihr eigener Hüttenbau, der immer wieder erwähnt wird. Interessanterweise sind es immer Männer, die allein und abseits wohnen (was nicht ganz stimmt, es gibt, auch heute noch, Einsiedlerinnen, auch wenn sie gegenüber den Einsiedlern in der Minderheit sind): „Eine Frau in einer Hütte? Das muss eine Hexe sein.“ Oder eine Frau, die sexuelle Abenteuer sucht, wie Lady Chatterley: „Die Hütte wird erst zum Ruhepol für die junge Frau, die hier, umgeben von Natur, spürt, wie die Energie in ihren Körper zurückkehrt. Später wird das Häuschen zum Versteck, in dem Constance Sex mit dem Wildhüter hat. Die Affäre macht ihr klar, dass sie ihr altes Leben nicht länger will“.

 Besonders bemerkenswert findet sie die Sommerhütte in Roquebrune-Cap-Martin des Stararchitekten Le Corbusier: „Gerade weil man mitdenkt, was er sonst gebaut hat. Von außen ist sie rustikal und grobschlächtig. Mit ihren unbehauenen Brettern wirkt sie wie ein Blockhaus aus Kanada, das plötzlich an der Côte dʼAzur gelandet ist. Drinnen dann eine große Klarheit, die Wände sind alle glatt, wie aus einem Guss.“ Allerdings: „Er hat aber in dieser Hütte sein Proportionsschema erstmals angewandt: Die Frage, wie hoch, wie breit, wie tief ein Raum sein muss, damit ein Mensch zurechtkommt.“

Erschienen ist Hütten in der von Judith Schalansky herausgegebenen und wunderbar individuell gestalteten Reihe „Naturkunden“. Es ist ein schmales, bibliophiles Buch mit hochwertigem, grünlich getönten Papier und einem Umschlag in Ocker und Grün. Schade nur, dass die Abbildungen viel zu klein und unscharf sind.

Titelbild

Petra Ahne: Hütten. Obdach und Sehnsucht.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
131 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783957577108

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