Von Tränen und Treffern

Thomas Pletzingers „The Great Nowitzki“ ist mehr als nur das Porträt eines Sportlers

Von Vanessa RennerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Vanessa Renner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Irgendwann passiert alles zum letzten Mal“, schreibt Thomas Pletzinger im Prolog von The Great Nowitzki. Doch bei wie vielen Dingen dürfen wir uns darüber bewusst sein, dass wir sie genau in diesem Moment zum letzten Mal in unserem Leben tun? Dirk Nowitzki steht vor seinem Badezimmerspiegel und weiß, dass er sich in diesem Moment zum letzten Mal zu einem Spiel anzieht. Das letzte Mal Pre-Game-Pasta, das letzte Mal Umkleidekabine, das letzte Mal einlaufen, der letzte Wurf. Damit endet die außergewöhnliche Karriere des Ausnahmesportlers.

Thomas Pletzinger ist ein großartiges Buch über Dirk Nowitzki gelungen. Über viele Jahre hinweg hat der Autor, Journalist und Übersetzer den Profisportler begleitet – beruflich und privat. In Hotelzimmern, auf der Rückbank im Auto, in Arztpraxen und staubigen Turnhallen ist er ihm nah gekommen. Und hat zugleich in sensiblen Momenten den nötigen Abstand gewahrt. Wie auf dem Weg zu Nowitzkis letztem Spiel, zu dem er ein Taxi nimmt, während Trainer Holger Geschwindner und Nowitzki gemeinsam im Auto fahren. „Dieser Moment soll unbeobachtet bleiben“, kommentiert Pletzinger.

Aus Dirk Nowitzki schlau werden, sei sein Antrieb gewesen, so der Autor. Dieses Verstehen wollen – es wird auf jeder Buchseite in detaillierten Beobachtungen und reportagehaften Beschreibungen spürbar. Es geht um den Alltag eines prominenten Sportlers. Um Training, Disziplin, Siege und Niederlagen und immer wieder um die harte Arbeit am eigenen Körper, gegen die Zeit und das Älterwerden. Aber es geht auch um eine Spurensuche in Nowitzkis Vergangenheit, sein Elternhaus, die Familie, seine Freunde. Erinnerungen und Lebensbegleiter, die ihn geprägt haben – allen voran sein Mentor und Trainer Holger Geschwindner. Schließlich geht es um die Schönheit des Sports, des Baketballspiels, dem der Autor selbst in großer Leidenschaft verbunden ist. Der perfekte Rhythmus eines Korblegers – tam tam tak –  die exakte Fingerhaltung beim Abwurf des Balls, all das wird in einer Art und Weise geschildert, wie es nur jemand beschreiben kann, der die Faszination für das Spiel teilt. 

Das Ausmaß der Interviews, die für das Buchprojekt geführt wurden, all die Gespräche, Notizen und Manuskriptseiten, lässt sich nur erahnen. Er habe riskiert, sich zu verstricken und zu verzetteln, bekennt Pletzinger an einer Stelle. So wird The Great Nowitzki zugleich zu einem sehr ehrlichen und persönlichen Buch. Das nicht zuletzt von dem Mut handelt, die professionelle Distanz aufzugeben, den wohl durchdachten und gut vorbereiteten Interviewleitfaden über Bord zu werfen, um sich einer Sache ganz und gar hinzugeben und sich auf das Wagnis einzulassen, einen Menschen wirklich kennenzulernen. Darüber ein Buch zu schreiben bedeutet die (vielleicht vergebliche) Suche nach den passenden Worten, einer Sprache, die dem porträtierten Menschen gerecht werden kann. Thomas Pletzinger dabei über die rund 500 Seiten seines gleichsam reflektierten wie unterhaltenden Buch zu begleiten, ist eine große Freude.  

Titelbild

Thomas Pletzinger: The Great Nowitzki. Das außergewöhnliche Leben des großen deutschen Sportlers.
Fotos von Tobias Zielony.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
507 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783462047325

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