Ein Standardwerk für einen unbekannten Autor
Lutz Graner hat mit „Auf meinem Namen sitzt die Laus“ eine Monographie zu Günter Bruno Fuchs vorgelegt
Von Wilfried Ihrig
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLutz Graner hat ein voluminöses Werk über den Schriftsteller und Graphiker Günter Bruno Fuchs veröffentlicht, der nie Erfolg hatte und trotz der dreibändigen Werkausgabe, die Anfang der 90er-Jahre herausgegeben wurde, fast unbekannt ist.
Günter Bruno Fuchs wurde am 3. Juli 1928 in Berlin geboren. Er lebte von 1950 bis 1952 in Herne, wo er anfing zu publizieren. Der größte Teil seines Frühwerks entstand von 1952 bis 1958 in Reutlingen, danach lebte er bis zu seinem Tod am 19. April 1977 in Berlin.
Die Monographie von Lutz Graner hat den Untertitel Dokumentation einer problematischen Rezeptionsgeschichte. Gestützt auf eine umfangreiche, mit äußerster Akribie erstellte Materialsammlung zeigt er die Rezeption anhand von drei Klischees, die über Fuchs entwickelt wurden: Nonsens-Dichter, Berliner Original und Trinker, Kinderliterat. Er belegt, dass die Klischees dem Werk von Fuchs nicht gerecht werden und seine Anerkennung eher behindert als gefördert haben.
In detaillierten, textkritischen Untersuchungen der Druckgeschichte einzelner Texte wird vorgeführt, wie Texte für Nachdrucke verändert oder verfälscht wurden. Viele Beispiele scheinen zu bestätigen, dass die nachlässige Art, seine Werke in Anthologien und Unterrichtswerke zu übertragen, durch seinen Ruf als dichtender Trinker begünstigt wurde. Obwohl er als verspielter, skurriler Autor gilt, seine Texte nicht immer für verbindlich gehalten wurden, hat er unermüdlich an der definitiven Form für seine Gedichte und seine kleine Prosa gefeilt. Durch die textkritische Untersuchung bilden diese kleinen Texte den wichtigsten Gegenstand der Monographie. Die Romane und Erzählungen wurden selten nachgedruckt, können deshalb kaum textkritisch untersucht werden.
Die Dokumentation wird durch Überlegungen zur Interpretation ergänzt, die Rezeptionsgeschichte mit derart vielen Materialien belegt und erörtert, dass der Band ein nahezu umfassendes Nachschlagewerk für das literarische Werk von Fuchs und seine Wirkung darstellt. Das Literaturverzeichnis, über hundert Seiten, erfasst die Publikationen von Texten von Fuchs, auch die Nachdrucke einzelner Gedichte, und die Publikationen über Fuchs, auch wichtige Publikationen, in denen der Name nur einmal genannt wird.
Die Monographie gilt in erster Linie dem literarischen Werk. Das graphische Werk wird in einem Kapitel dargestellt, das ausdrücklich darauf verzichtet, eine genaue Untersuchung zu bieten. Das Literaturverzeichnis erfasst auch die Graphiken in Büchern von Fuchs und in Büchern anderer Autoren, allerdings nicht die übrigen. Die Veröffentlichungen graphischer Arbeiten bilden keinen eigenen Abschnitt der Bibliographie. Ein Werkverzeichnis für den Graphiker Fuchs bleibt ein Desiderat. Graner bietet dafür erstmals viele Materialien. Das Kapitel Abbildungen zeigt kleinformatige Reproduktionen der Buchumschläge und nur einzelne Beispiele für Illustrationen.
In dem Kapitel Thesen zum Werk ergänzt Graner die Rezeptionsgeschichte durch Ansätze zur Interpretation. An die wenigen publizierten Deutungen der Werke von Fuchs anknüpfend, deutet er ihn als sozial- und sprachkritischen Autor. Er belegt, wie sozialkritisch Fuchs unterprivilegierte Figuren den anerkannten Repräsentanten der Gesellschaft entgegengesetzt, wie er auch den Anschluss an die Literatur der 68er-Bewegung gefunden hat. Darüber hinaus zeigt Graner, wie Fuchs ein kritisches Bewusstsein für vorgefundene sprachliche Formeln zu erzeugen versucht, indem er sie aufgreift und verändert. In diesem Kapitel werden die Romane in die Interpretation miteinbezogen.
Die Unterprivilegierten jeder Art sind die Trinker, denen sich Fuchs selbst gerne zugesellte, aber auch einfach Vertreter der Unterschicht, oder die Lumpensammler, die seit Baudelaire für die moderne Literatur wichtig wurden, und, für Fuchs besonders relevant, die „Zigeuner“. Graner hat Belege über sie zusammengestellt, aber dieses Thema hätte wohl eine etwas ausführlichere Darstellung verdient. Der Gedichtband Zigeunertrommel (1955) bildet, vermutlich weil in der DDR veröffentlicht, ein Beispiel für eine fast verhinderte Rezeption. Er ist das einzigartige Gedenken eines deutschen Autors an die Deportation slowakischer Roma, die Fuchs im Frühjahr 1943 miterlebte. Der Band wurde laut Graner nur einmal rezensiert, 1958 von Manfred Bieler in „Neue Deutsche Literatur“, erhält aber zunehmend Bedeutung durch das neuere Bewusstsein für den Völkermord an den Sinti und Roma. Graner belegt wenigstens im Literaturverzeichnis, dass Gedichte aus Zigeunertrommel in eine Festschrift zum 80. Geburtstag von Fuchs aufgenommen wurden und auch die Textgrundlage für die 2017 publizierte, bisher umfangreichste Vertonung aus seinen Werken bilden.
Eine Rezeptionsgeschichte behandelt nur, was tatsächlich rezipiert wurde. Die ersten Bücher von Fuchs wurden fast nicht rezensiert, werden deshalb kaum erörtert, auch nicht das erste Buch mit literarischem Anspruch, Der verratene Messias über Wolfgang Borchert, als Essay bezeichnet, aber als christlich-expressionistische Rede an und über ihn formuliert. Es ist das einzige Buch von Fuchs über einen anderen Autor, ein wenig beachtetes Dokument der zeittypischen Rezeption von Borchert. In der Monographie wird es, weil fast nie wahrgenommen, nur zweimal kurz erwähnt. Natürlich ist es kaum möglich, jede Rezeption eines Autors zu bibliographieren. Aber weshalb Graner die wichtigste Rezeption von Der verratene Messias, den Aufsatz Zur Rezeption Wolfgang Borcherts durch Günter Bruno Fuchs (2003) von Hans-Ulrich Wagner, nur im Literaturverzeichnis anführt, ohne ihn zu erörtern, ist schwer zu erklären. Eine andere Rezeption in der Literatur über Borchert hat Graner nicht registriert, auch nicht das Buch von Marianne Schmidt (Wolfgang Borchert. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1970), die Fuchs rezipiert und Borcherts Entwicklung ebenfalls in Begriffe einer messianischen Leidensgeschichte gefasst hat, als wären ihre Grundgedanken von Fuchs angeregt.
Der Autor hätte den einen oder anderen eigenen Akzent auf weniger vorherrschende Linien der Rezeptionsgeschichte legen können. Im Literaturverzeichnis wird die DDR in den Verlagsangaben durch Fettdruck hervorgehoben, damit der Leser die Rezeption in der DDR rasch erfasst. Das Thema wäre aber ein Textkapitel wert gewesen. Fuchs war einer der wenigen westdeutschen Schriftsteller, die in der DDR wahrgenommen wurden, während der Teilung Berlins einer der wenigen Berliner Autoren, die auf beiden Seiten der Mauer veröffentlicht wurden. Die erste und bisher einzige Ausgabe des Gedichtbands Zigeunertrommel, des wichtigsten Bands aus dem Frühwerk, wurde im Mitteldeutschen Verlag, Halle, publiziert. Außerdem erschienen Auswahlbände und Lizenzausgaben in führenden Verlagen der DDR, Aufbau, Eulenspiegel und Reclam, Leipzig, dazu viele Nachdrucke einzelner Gedichte in Anthologien. Die Bedeutung von Fuchs, der zu den besten Freunden von Johannes Bobrowski, einem der bedeutendsten Lyriker der DDR, zählte, als gesamtdeutscher Autor ist fast unbekannt. Graner hätte ihr ein Kapitel widmen können, aber immerhin hat er für dieses Thema viele Materialien vorgelegt.
Das Buch von Graner ist die aktualisierte Fassung seiner Dissertation an der Universität Bielefeld. Alle angedeuteten Möglichkeiten zur Kritik der Monographie sind von marginaler Bedeutung, betreffen auch fast nur die etwas unterschätzte Rezeption zwei früher Werke. Als literaturwissenschaftliche Arbeit wird die Monographie kaum neue Leser für Fuchs gewinnen, aber sie hat ihm einen Platz in der Literaturgeschichte zugewiesen, um den ihn viele zeitgenössische Autoren beneiden können. Die Werkausgabe, von dem Rezensenten herausgegeben, war schon ein ungewöhnliches Ereignis für die Rezeption eines wenig bekannten Autors wie Fuchs. Textkritische Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte, wie sie Graner erstellt hat, veranstaltet man sonst nur für kanonische Autoren.
Der Band ist erschienen in der Reihe Beihefte zum Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. Die Reihe ist etabliert wie die Zeitschrift, weniger interessiert an Aktualität als an Themen mit literaturgeschichtlicher Relevanz, nicht nur traditionsverbunden, sondern traditionsbegründend. Was in ihr behandelt wurde, darf als literaturgeschichtlich relevant gelten. Eine Monographie über den bisher kaum beachteten Günter Bruno Fuchs in dieser Reihe ist eine Anerkennung, die seiner Aufnahme in den Kanon der von der Wissenschaft anerkannten Autoren gleichkommt. Das Buch von Graner ist das Standardwerk für jede künftige wissenschaftliche Beschäftigung mit dem literarischen Werk von Fuchs. Es enthält auch die erste Materialsammlung zur Erfassung seines graphischen Werks.
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