Im neuen Europa

Ian Rankin bringt Zuwanderungsprobleme ins Krimiformat

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zuwanderer, die in luftdicht verschlossenen Containern ersticken, seeuntüchtige Boote mit hunderten von Afrikanern, die die südeuropäischen Küsten zu erreichen versuchen, oft vergeblich, Asylbewerber, die jahrelang untätig herumsitzen, bis über ihren Antrag entschieden ist, illegale Einwanderer, die sich unter unwürdigen Bedingungen durchschlagen und auf ihre Legalisierung hoffen, Abschiebekandidaten, die tödlich verunglücken - das neue Europa, das zwar immer mehr Staaten umfasst, dabei aber seine Grenzen immer fester schließt, schlägt sich mit dem Ansturm auf seine Grenzen herum. Die Armen drängen dorthin, wo es Wohlstand gibt oder wenigstens die Chance zu überleben. Für viele Bewohner eines von Krisen geschüttelten Afrikas, von Ländern der Dritten Welt, von Schwellenländern ist Europa eine Insel des Glücks, zumindest solange sie nicht da sind. Für die Bewohner dieser mittlerweile recht großen und befestigten Insel sind diese Zuwanderer zumindest irritierend, eine Mahnung vielleicht, dass sie mit ihrem Wohlstand sorgfältig umgehen sollten, eine Mahnung aber auch, dass jeder Mensch das Recht hat auf ein menschenwürdiges Dasein, also auch darauf, sich seinen Lebensunterhalt selbst erarbeiten zu dürfen. Sie sind allerdings auch Gelegenheit, endlich wieder auf jemanden einzuprügeln, der in der Hierarchie noch unter jedem steht, der von hier stammt. Sie sind ein politisches Problem, und vielleicht sogar ein wirtschaftliches. Aber soweit wollen wir gar nicht gehen. Auch Ian Rankin will das nicht.

Denn sein Anliegen ist es offensichtlich klarzulegen, dass sich die Probleme der globalen Ungleichheit weder verleugnen lassen noch dass sie durch ein allgemeines Wohlwollen zu lösen sind. Hinzu kommt, dass er vorzuführen weiß, dass auch die derzeitigen praktischen Lösungen kaum Anspruch darauf erheben können, einigermaßen angemessen oder auch nur human zu sein. Sein Detective Inspector John Rebus ist bei allen eigenen Problemen, die er von Beginn seiner Romankarriere an mit sich herumträgt, und obwohl er auf der Seite derer steht, die sich um Recht und Ordnung kümmern sollen, eine Instanz. Eine Instanz deshalb, weil er sich nicht von politischen Rücksichtnahmen leiten lässt, sondern davon, das herauszufinden, was wir gemeinhin Wahrheit nennen. Die Probleme sind größer als wir, wir können sie nicht lösen, aber wir müssen uns ihnen stellen, und am besten tun wir das, indem wir unseren Job so gut wie möglich tun. Auch wenn er darin besteht, Morde aufzuklären.

John Rebus geht langsam seiner Pension entgegen. Das lässt erwarten, dass man ihn nach und nach durch jüngere Kollegen ersetzt, am besten durch solche, die teamfähig und kommunikationsbereit sind und sich nicht in Hirngespinste verstricken. Seine Versetzung in ein ruhiges Revier, in dem man nicht einmal einen Schreibtisch für ihn bereithält, ist da nur der erste Schritt. Der nächste ist die Abschiebung aufs Altenteil, selbstverständlich verdient. Zum Glück wissen wir (allerdings wissen das auch die Vorgesetzten von Rebus), dass er sich in Detective Sergeant Siobhan Clarke eine angemessene Nachfolgerin herangezogen hat, von der wir annehmen können, dass sie nicht minder bissig und unangenehm werden kann wie Rebus, und die wohl eine ähnlich unglückliche Karriere machen wird. Wir lieben unsere unangepassten, sozial auffälligen und zu Alkoholabusus neigenden Heldinnen und Helden des Alltags, von denen wir immerhin mit gutem Grund annehmen können, dass auch sie sich lieben. Umso unwilliger nehmen wir zur Kenntnis, dass beide sich im neuen Romangeschehen nach anderen Lovern umsehen, wo ihnen der bereits absolvierte Kuss, dem beide immer wieder nachhängen, zeigen müsste, wer hier zu wem gehört. Aber Romanfiguren sind mindestens so starrsinnig wie echte Menschen.

In diesem Fall macht das sogar Sinn (eine verbotene Formulierung, wie ich gelesen habe, aber ich mag sie trotzdem), denn getrennt recherchieren heißt, am Ende zum selben Ergebnis zu kommen. Dabei scheinen die drei Fälle, mit denen sich Rebus und Clarke beschäftigen, überhaupt nichts miteinander zu tun zu haben: Ein dunkelhäutiger Mann wird in einer Hochhaussiedlung am Rande von Edinburgh erstochen, im Keller einer Kneipe findet man das Skelett einer Erwachsenen und eines Kindes im Betonboden eingegossen, die jüngere Tochter eines Ehepaares verschwindet. Das Bild, das sich nach kurzer Zeit herausschält, steigert die Verwirrung noch: Die Skelette entpuppen sich als Schaustücke aus der alten anatomischen Sammlung einer Klinik, ein Mord liegt also nicht vor. Den Mord an dem illegalen Einwanderer könnten rassistische Bewohner der Hochhaussiedlung begangen haben. Die vermisste junge Frau ist vielleicht ins Prostituiertenmilieu abgedriftet. Dass am Ende alles enger zusammenhängt, als es auf den ersten paar hundert Seiten scheint, ist dem Genre geschuldet, dem Rankin hier das Futter gibt, das es braucht. Leserinnen und Leser sollen es kaufen und nicht enttäuscht werden. Rankin ist mittlerweile immerhin eine Marke.

Andererseits interessiert Rankin in diesem Text die Detektion offensichtlich noch am wenigsten. Sein Thema sind die illegalen Einwanderer, die Asylsuchenden, die vor dem Elend ihrer Welt davongelaufen sind, um hier in die Fänge von skrupellosen Ausbeutern zu geraten, die willfährig halten wollen, was ihnen maximalen Profit verschafft. Im Bodensatz unserer Gesellschaft (und wir gehen jetzt davon aus, dass sich solche Verhältnisse nicht nur im schottischen Zentralland finden lassen) tut sich eine Menge, und wenn es sein muss, scheuen sich die Klein- und Halbkriminellen und teilweise auch nur gedankenlosen Akteure, hinter denen Rebus und Kollegen her sind, auch nicht davor zurück, jemandem das Leben zu nehmen, das zu bewahren er nach Europa gekommen ist.

Rankin schafft es dabei, und das ist bemerkenswert, wunderbar Balance zu halten zwischen dem Entsetzen, das die Lebensverhältnisse der ungebetenen, dennoch aber präsenten Gäste auslöst, der moralischen Empörung, das dem folgt, und der Konzentration auf die eigenen Aufgaben, mit der Rebus sich selbst zu schützen versucht. Allerdings schließt er nicht die Augen: Er öffnet sie. Und das macht ihn, dieses Mal auf andere Weise, zu einem außergewöhnlich sympathischen Helden. Und das macht dieses Buch zu einem außergewöhnlich hellsichtigen. In dieser Sache sind wir Europäer immer, auf die eine oder andere Weise, auf der schlechten Seite.


Titelbild

Ian Rankin: So soll er sterben. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Heike Steffen und Claus Varrelmann.
Manhattan Verlag, München 2005.
573 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3442546052

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