Ein Europäer auf afrikanischer Höllentour

Hans Christoph Buch schildert in seiner Essaysammlung "Black Box Afrika" mit einem distanziert-europäischen Kopfschütteln die Krisenherde des Afrikanischen Kontinents

Von Tobias NolteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Nolte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die erste Irritation überkommt den Leser von Hans Christoph Buchs Essaysammlung "Black Box Afrika" schon beim Betrachten des Buchcovers. Man wird durchdrungen vom stechenden Blick eines rotäugigen, psychotisch grinsenden afrikanischen Machthabers. Er ist ausgestattet mit den Insignien der Macht - Krone und Zepter - und voodooresken Schmuckutensilien. Neben dieser Karikatur afrikanischen Machtmissbrauchs und Despotismus' tanzt ein in ein traditionelles Stammesgewand gehüllter kopfloser Mann, dem das Blut aus dem freigelegten Rumpf spritzt.

Schon an diesem frühen Punkt der Auseinandersetzung mit "Black Box Afrika" ahnt man, ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben, was einen erwartet. Wenn der Leser dennoch den Schritt wagt, sich auf den Inhalt des Buches einzulassen, wird der erste visuelle Eindruck zweifelsfrei noch unterstrichen: Afrika am Abgrund.

"Black Box Afrika" ist eine Essaysammlung, die Texte und Reisebeschreibungen abdruckt, die Hans Christoph Buch in den vergangenen zehn Jahren auf verschiedenen Afrika-Reisen verfasst hat und die in bedeutenden Zeitungen wie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dem "Cicero" oder der "Zeit" publiziert wurden. Thematisiert werden die großen Krisenregionen des afrikanischen Kontinents: vom Kongo über Ruanda, von Liberia und Sierra Leone bis in den Sudan und Darfur wird vor keiner humanitären Katastrophe halt gemacht. Dass hierbei allerdings der Sensations- den Informationsgehalt stetig überschreitet, kristallisiert sich im Verlauf der Lektüre mehr und mehr heraus.

Die ersten beiden Texte des Buches - "Kollateralschaden Kongo" und "Trompeten der Nacht" - beschäftigten sich mit dem Kongo. Der dortige Konflikt, der auch als afrikanischer Weltkrieg bezeichnet wird, wird von Buch fast vollkommen eindimensional bewertet. Statt die vielfältigen Einflüsse und Interessengruppen zu betrachten, die auf die Instabilität des Kongos einwirken, reduziert der Autor die Probleme des Landes beinahe durchweg auf die militärische Präsenz des kleinen Nachbarlandes Ruanda in den Ostprovinzen des Kongo. Zugegebenermaßen ist es eines der Hauptprobleme des Kongo, dass der Osten des Landes von Tutsi-Milizen aus Ruanda besetzt ist und von dort wertvolle Rohstoffe in den Nachbarstaat ausgefahren werden.

Aber das ist nur ein Teil des Problems: Buchs Versuch, "deutschen Lesern eine afrikanische Tragödie zu erklären", greift viel zu kurz. Neben dem Einfluss von anderen Anrainerstaaten wie Unganda, Burundi oder Sudan sowie des mit der kongolesischen Regierung alliierten Simbabwe tragen auch die Interessen internationaler Konzerne zur Instabilität des Kongos bei. Erst wenn man der Multidimensionalität dieses Konflikts Rechnung trägt, kann man die umfassenden Probleme des Landes im Ansatz erfassen. Der Kongo ist eines der besten Beispiele dafür, wie aus dem scheinbaren Segen von Rohstoffreichtum durch die Interessen und Einflüsse unterschiedlichster Gruppen ein Fluch für die Bevölkerung werden kann. Als erster, kurzer Überblick sind Buchs Essays über den Kongokonflikt akzeptabel. Sein Anspruch, hier "deutschen Lesern eine afrikanische Tragödie zu erklären", scheitert jedoch an der eigenen Oberflächlichkeit.

Im nächsten Essay "Hier viele, viele Massaker" scheint Buch dann endlich das ansprechen zu können, was ihn schon in den beiden Kongo-Essays immer wieder vom eigentlichen Thema abdriften ließ, nämlich die Nachwirkungen des ruandischen Völkermordes von 1994. Der Autor beschreibt das noch immer vom Konflikt zwischen Hutu und Tutsi geprägte Alltagsleben in Ruanda und Burundi. Buch geht dabei allerdings rein deskriptiv vor, schildert oft unzusammenhängend Gespräche mit UN-Diplomaten, Flüchtlingshelfern, Opfern des Genozids oder rassistischen Autoersatzteilhändlern. Der Leser wird mit den Interviewaussagen alleingelassen, ohne Kommentar oder Einordnung in einen größeren Sinnzusammenhang. Die Frage: "Warum passiert was durch wen?" bleibt zumeist unbeantwortet.

Ähnlich verhält es sich auch in den folgenden Essays über Liberia und Sierra Leone. Immer wieder trifft man auf weitgehend unanalytischen Katastrophen- und Sensationsjournalismus. Hier die Rebellen, dort die Regierungstruppen, ab und an eine internationale Friedenstruppe, Kindersoldaten und dann auch mal Charles Taylor - der ehemalige Rebell und spätere Diktator, der mittlerweile auf seinen Prozess vor dem UN-Menschenrechtstribunal in Den Haag wartet. Und zwischendurch, nicht gerade sanft eingestreut, immer wieder die Beschreibungen kriegerischer, menschlicher oder hygienischer Katastrophen. Warum passiert das alles, wer sind "die Guten", wer "die Bösen", oder zumindest: wer verfolgt welche Interessen? Das alles lässt Buch unbeantwortet. Exemplarisch wird seine Art der Berichterstattung in dem Satz: "Ich erspare den Lesern weitere Einzelheiten des Verhörs, in dessen weiterem Verlauf Doe [der ehemalige Präsident Liberias, von dessen Folterung durch den Rebellenführer Prince Johnson Videokassetten auf liberianischen Märkten verkauft werden] seine eigenen Ohren aufessen muß, die ihm vor laufender Kamera abgeschnitten worden sind." Buch schreibt für "Die Zeit", will scheinbar aber auch die "BILD"-Leser mit ins Boot holen. Das ist bei einem so sensiblen Thema wie den Krisen, Kriegen und Konflikten, denen Menschen in Afrika ausgesetzt sind, ein unmöglicher Spagat.

Auch der Sudan und seine Krisenregion Darfur dürfen auf Buchs Katastrophenagenda nicht fehlen. Doch auch hier geht der Einblick nicht über kurze Andeutungen zur politischen Situation hinaus. Nie werden die Informationen von Buch zu einem verständlichen Gesamtbild zusammengefasst. Warum bekriegen sich der Nord- und der Südsudan, Araber und Schwarzafrikaner? Was ist mit Lösungsansätzen wie etwa einer Teilung des Landes? Welche Rolle spielen die riesigen Ölvorkommen? Und wie sind internationale Akteure wie China und die USA in den Konflikt involviert?

Diese wirklichen Fragen werden immer nur in Nebensätzen angeschnitten. Jegliches Problemverständnis scheitert an der Kürze und analytischen Gehaltlosigkeit der Buch'schen Essays. Stattdessen arbeitet der Autor mit Elendsbeschreibungen: "Zu Skeletten abgemagerte Kinder kriechen mit Spinnenbeinen auf dem Boden herum. Ein sechsjähriger Junge kauert im Schlamm, sein kleines Schwesterchen auf dem Schoß, das er mit nackten Armen vor dem Regen zu schützen versucht." Buchs Beschreibungen wirken zumeist seltsam distanziert, er beobachtet und berichtet, aber stets erscheint seine Art der Darstellung wie der ungläubige Blick aus den Augen eines Fremden. Buch beschreibt nur, nie kommentiert und analysiert er, nie wirken seine Worte wie ein Plädoyer für Afrika, immer hat man das Gefühl, dass ein distanziertes Kopfschütteln in seinen Worten mitschwingt.

"Black Box Afrika" zeichnet, wie schon aus dem Untertitel hervorgeht, das Bild eines "abdriftenden Kontinents". Hans Christoph Buch bereist die Krisengebiete und liefert dem europäischen Leser Katastrophenjournalismus - die Bestätigung des Bildes vom hoffnungslosen, verlorenen Kontinent. Er gebraucht hierfür (teilweise sicherlich berechtigte) Stereotype von der Machtgier, Skrupellosigkeit und Gewalttätigkeit, die den Kontinent zu regieren scheinen. Auch ein Verweis auf kannibalische Rituale darf dabei nicht fehlen. Hans Christoph Buch erinnert an den Großmeister der klischeebehafteten Auslandsreportage, Peter Scholl-Latour. Wie dessen "Afrikanische Totenklage" bleibt "Black Box Afrika" zumeist eindimensional, unanalytisch, eurozentrisch und frei von Empathie. Beide stehen sie in der Tradition Heredots, der schon wusste, "dass es zu den ungeschriebenen Gesetzen der Reiseliteratur gehört, die bestandenen Risiken und Gefahren maßlos zu übertreiben". Auch bei Hans Christoph Buch gehen "Exotismus und Sensationalismus eine innige Verbindung ein, so als hätte der Reisende auf Schritt und Tritt sein Leben aufs Spiel gesetzt".

Wer sich wirklich mit Afrika und seinen vielfältigen Problemen beschäftigen will, sollte sich die Mühe machen, etwas tiefer in die Gründe für Krisen, Kriege und Konflikte einzutauchen. Und man sollte die Augen offen halten für Entwicklungen auf dem Kontinent, die immer wieder darauf hoffen lassen, dass Afrika doch nicht so verloren ist, wie es nach der Lektüre von Hans Christoph Buchs Essays erscheinen mag.


Titelbild

Hans Christoph Buch: Black Box Afrika. Ein Kontinent driftet ab.
zu Klampen Verlag, Springe 2006.
160 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3934920942

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