Von City- und anderen Girls

Zwei Bände unterschiedlicher Qualität zu Frauenbildern im Stummfilm und im Kino Hollywoods

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein nicht nur in Norddeutschland gerne im Mund geführtes Sprichwort besagt bekanntlich, dass "dem einen sin Uhl dem andern sin Nachtigall" sei. Spätestens seit Elaine Hoffman Baruch in den 1970er-Jahren anheim stellte, die Utopien der Männer seien die Dystopien der Frauen, wissen wir, dass sich die Spruchweißheit auch geschlechterspezifisch pointieren lässt. Nun wird zu Beginn der 21. Jahrhunderts kein gendertheoretisch einigermaßen aufgeklärter Mensch mehr den bei Hoffman Baruch mitschwingenden Geschlechter-Essentialismus teilen wollen. Dennoch lässt sich, auch ohne größere Erhebungen ins Werk zu setzen, allein durch zufällige empirische Beobachtungen der menschlichen Spezis schnell bemerken, dass eine Angehörige des einen Geschlechts erschrocken den bedrohlich scheinenden Ruf des Totenvogels hören kann, während sich ihr Begleiter durch die wohlklingende Stimme einer Sängerin der Nacht bezaubert fühlen mag; umso mehr dann, wenn das Verhältnis der Geschlechter zueinander zur Debatte steht. Und dies natürlich auch schon lange vor der Zweiten Welle der Frauenbewegung, aus deren später Phase Hoffman Baruchs Annahme stammt.

So freute sich Dinah Nelken in der Zeitschrift "Elegante Welt" etwa, dass sie und ihre Geschlechtsgenossinnen der roaring twenties nun endlich auch "in der Bahn stehen" können, "seit wir gelernt haben, am Steuer eines Autos zu sitzen; wir können unbegleitet gehen, seit wir zu gehen gelernt haben; wir können uns selbst schützen, seit unsere Röcke das Davonlaufen gestatten, wir können...". Kurz: Sie konnten alles. So sagen es uns die von der Autorin gesetzten drei Punkte. Etwa zur gleichen Zeit aber sah Don Alvarado in der Nachtigall seiner Kollegin eine "Uhl". Im "Picture-Play Magazin" trauerte er dem "sweet, oldfashioned girl" nach und wünschte sich, "some wizard would stand her [die emanzipierte Frau der 20er-Jahre R.L.] in corner and say ,Hocuspocus' over her and change her back to her real self".

Gabriele Jatho hat die Zitate von Nelken und Alvorado aufgestöbert und in ihrem einleitenden Beitrag zu einem gemeinsam mit Rainer Rother herausgegebenen wunderbaren und reich illustrierten Band über "Frauenbilder im Stummfilm" nebeneinander gestellt. "City Girls" lautet der Titel ihres Beitrages wie auch des Buches. Der Titel ist einem (fast) gleichnamigen Film von Murnau aus den Jahren 1929/30 entliehen, der für sein Werk allerdings den Singular "City Girl" gewählt hatte.

Neben wissenschaftlichen Beiträgen heutiger AutorInnen enthält der Band etliche zeitgenössische - meist journalistische - Texte etwa von so prominenten Autorinnen wie Vicki Baum oder Gabriele Tergit. Auch der österreichische Schriftsteller und Theaterkritiker Alfred Polgar ist vertreten. Ebenso einige heute kaum noch bekannte Namen wie der Jo Lederers, der vergessenen Verfasserin des Romans "Das Mädchen George", oder der Anita Daniels, die schon damals die noch immer ausstehende "Männer-Emanzipation" forderte.

Schlug ein Werbeslogan in den letzten Jahrzehnten dem Publikum nur noch recht nüchtern vor, doch ins Kino zu gehen und sich "ein paar schöne Stunden" zu machen, so war das Kintopp zu Beginn seiner Existenz im jungen 20. Jahrhundert noch voller "Glücksversprechen". Diese greift der Titel der von Rother verfassten Einleitung auf. Für die damaligen Kinogängerinnen gingen diese Glücksversprechen untrennbar mit dem "Image" der Neuen Frau einher, die "jung, schlank, sportlich, kurzhaarig, als nahezu androgyn, dabei klug, selbstbewusst und zielgerichtet" war. Wie Rother konstatiert, zweifellos "ein Image, das sich vor allem als Gegenentwurf und damit als Befreiung präsentierte". Aber eines, gibt er zu bedenken, war es "sicher nicht", "nämlich Befreiung davon, Idealbild zu sein". Jedenfalls aber ein Bild, das "auch heute noch nicht anachronistisch oder antiquiert" wirkt. Dürfte das Bild der Neuen Frau Rother zufolge in den 1920er-Jahren auch stets eher Möglichkeit als Wirklichkeit gewesen sein, so gab es sie nun doch - anders als noch im Fin de Siecle - wenigstens, was ja immerhin die Voraussetzung dafür ist, ihre Realisierung anstreben zu können. Frauen, die dem stets etwas opaken Bild der Neuen Frau nacheiferten oder sich als solche sahen - es dürften nicht wenige gewesen sein - bekamen in den Frauenjournalen und eben auch im Kino gleich mehrere einschlägige Rollenmodelle angeboten wie etwa den Garçonne oder das Girl.

Daniela Sannwald zufolge thematisierten zahlreiche Filme der 1920er-Jahre die zu dieser Zeit überall virulenten Kämpfe der Frauen um "ökonomische und soziale Unabhängigkeit" und erzählten davon, dass die von ihnen ersehnte Autonomie "weder als Luxusehefrau, Goldgräberin oder Edelprostituierte noch als Tippfräulein, Kellnerin oder Revuegirl zu erreichen war". Wie sie in ihrem Beitrag "Überlebenskünstlerinnen" weiter bemerkt, "markieren" die Figuren des Vamps und des Flappers "die extremen Positionen des Spektrums begehrenswerter Frauen, das der Stummfilm anbietet". Der eine ebenso wagemutige wie flatterhafte junge Frau bezeichnende Begriff des Flappers geht ebenso wie der des It-Girls auf einen Filmtitel zurück. 1920 übernahm Olive Thomas die Titelrolle in dem Film "The Flapper", sechs Jahre darauf spielte Cara Bow in Clarence Badgers Film "It", die Figur Betty Loa, die 'das gewisse Etwas' hatte. Als wohl prominentestes "Opfer des Flapperismus" macht Sannwald den "Vamp" Luise Brooks aus, deren Erfolg und Nachruhm, errungen etwa durch die Rolle der Thymian in der Literaturverfilmung "Tagebuch einer Verlorenen" (1929), diese 'Opferrolle' durchaus nicht schadete. Allerdings ist es unter den AutorInnen des vorliegenden Bandes nicht unstrittig, ob Brooks den Vamp verkörpert oder, wie Annette Brauerhoch meint, als "Inbegriff des Flappers" gegolten habe.

Aus den insgesamt sehr lesenswerten Beiträgen ragt Heike-Melba Fendels Essay über "Mädchen und Backfische, Girls und Flappers" noch einmal heraus. Dies nicht zuletzt wegen seines geradezu überbordenden Reichtums an originellen Topoi, Bonmots und Aperçus, die von der Autorin mit einer Geschwindigkeit aneinander gereiht werden, dass man ihnen kaum zu folgen vermag. Auch sie konzentriert sich auf die 1920er-Jahre, auf jenes Jahrzehnt also, in dem die jungen Frauen "alles wollten, vieles konnten und so manches durften, wovon die Generation ihrer Mütter nicht einmal zu träumen wagte". Die "lasterhaften Girls" der neuen Generation "mit den schlechten Manieren und den guten Absichten" wurden vom Kino der Zeit in dem Glauben bestärkt, "das Wildeste" zu sein, was die 1920er-Jahre zu bieten hatte. Doch gerieten "rebellisches Verhalten und Styling wie auch erotische Verführungskraft" der Protagonistinnen von Backfisch- und Flapper-Film "eher possierlich als bedrohlich, eher vorläufig als dauerhaft".

Den "finalen Akt" beider Genres bildete noch immer eine "Eheschließung mit durch Alter, Status oder Wohlstand autorisierten Männern". Denn ebenso wie für die Generation ihrer Mütter und Großmütter war auch für die Film-Backfische und -Flappers der Ehemann die "ultimative Trophäe". Wie Fendel moniert, lautete die "schlichte Genre-Lösung" des Flapper-Films denn auch: "Ab in die Konvention". Doch während die Flapper on screen in aller Regel im Hafen einer wohlbestallten Ehe anlegten, haben diejenigen "off screen einen meist hohen Preis für private Verwegenheit bezahlt". Die wirklichen Heldinnen der Zwanziger "waren nicht dem Klischee, sondern dem Experiment und seinem möglicherweise tragischen Ausgang verpflichtet. Dafür muß man sie lieben. Und vermissen", konstatiert Fendel abschließend. Wie sehr auch die damaligen Filmheldinnen - nicht nur dem gegenwärtigen Mainstream-Kino - fehlen, lässt dieser schön aufgemachte Band mit seinen sehenswerten Bildern und lesenswerten Texten deutlich vor Augen treten.

Mit cineastischen Frauenbildern beschäftigt sich auch eine weitere Neuerscheinung: Robin Britta Georgs Studie "Goodwifes, Karrierefrauen und andere Heldinnen". Dass ihre Ausführungen zur Stummfilmära nicht an diejenigen des Sammelbandes von Jatho und Rother heranreichen, liegt nicht zuletzt an dem geringen Umfang des schmalen Bändchens. Auf kaum mehr als 150 Seiten galoppiert die Autorin durch die Filmgeschichte Hollywoods von deren Anfängen bis hinein in die 1990er-Jahre. Allerdings scheint sich Georg nur Filme des letzten Dezenniums angeschaut zu haben. Jedenfalls führt die Filmografie ihres Buches nur nach 1990 entstandene Filme an. Dem entspricht die eilige und darum oft recht holzschnittartige Abhandlung der Zeit davor, die insgesamt gerade mal 35 Seiten umfasst. Die Zahl der auf ihnen angetippten Filme übertrifft die Anzahl der Seiten um ein Vielfaches.

Diesem Parforceritt schließt sich ein durchaus passabler Abschnitt über Inhalte und Abfolge diverser Ansätze, Theorien und Entwicklungen der feministischen Filmwissenschaft an. Dass die feministische Filmtheorie bis heute eine "Spurensuche weiblicher Subjektivität im Mainstream-Kino" verweigert, trifft allerdings mitnichten zu. Hier nimmt Georg Susanne Weingartens "Bodies of Evidence, Geschlechtsrepräsentationen von Hollywood-Stars" ebenso wenig zur Kenntnis wie den von Claudia Liebrand und Ines Steiner herausgegebenen Sammelband "Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film". Man mag es der Autorin nachsehen, sind beide Bücher doch erst im Jahr 2004 erschienen.

Im sich dem theoretischen Teil an- und das Buch abschließenden Kapitel werden einige Filme der 1990er-Jahre nicht nur ausführlicher vorgestellt, sondern auch detailliert interpretiert. Insbesondere Ridley Scotts Film "G. I. Jane" (1998), in dem Demi Moore die Titelheldin verkörpert, wird genauer unter die Lupe genommen. Georg unterzieht einzelne Szenen sogar einem close reading, dessen Ergebnisse man allerdings nicht immer teilen muss. Ein besonderes Augenmerk richtet die Autorin zudem auf lesbische Protagonistinnen, cineastische "Lolitas, Ehefrauen und Bräute" sowie auf die Situation afroamerikanischer Schauspielerinnen, Produzentinnen und Regisseurinnen dieses Jahrzehnts. Ihre Ausführungen in diesem letzten, den 1990er-Jahren gewidmeten Abschnitt lassen vermuten, dass ein umfangreicheres Buch, in dem sie die vorangegangene Zeit ebenso ausführlich hätte würdigen können, durchaus wünschenswert gewesen wäre.


Titelbild

Gabriele Jatho / Rainer Rother: City Girls. Frauenbilder im Stummfilm.
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2007.
176 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783865051776

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Robin B. Georg: Goodwifes, Karrierefrauen und andere Heldinnen. Frauenbilder in der Filmgeschichte Hollywoods.
diametric Verlag, Würzburg 2007.
182 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783938580080

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